Schüler haben heute größere Probleme in der Orthografie. Die Lehrer sind gefordert
Es kommt bei den großen schulpolitischen Streitthemen nicht häufig vor, dass sich alle einig sind – jedenfalls in der Problembeschreibung. Ja, um die Rechtschreibleistungen der (Grund-)Schüler steht es nicht gut. Viele Väter und Mütter dürften sich gelegentlich ziemlich verwundert die Augen reiben angesichts der Fehler ihrer Kinder oder deren Freunde.
Vielleicht wundern sich Erwachsene bisweilen auch über die vermeintliche pädagogische Nachsicht, mit der manche Lehrer diesem Phänomen begegnen. In Hamburg gab es bis vor Kurzem sogar ein Diktatverbot in der Grundschule. Das klingt ein bisschen so, als ob man es so genau auch nicht wissen wollte mit den Rechtschreibleistungen der Schüler. In regelmäßigen Abständen klagen Ausbildungsbetriebe und Kammern dagegen über die lausige Orthografie des Berufsnachwuchses, selbst an Universitäten ist das Thema nicht fremd.
Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass es wenig belastbare Fakten gibt. Zwar weisen Langzeitstudien darauf hin, dass die Rechtschreibleistungen der Schüler seit Anfang der 70er-Jahre insgesamt gesunken sind. Aber es fehlt zum Beispiel ein Vergleich der Leistungen Hamburger Grundschüler mit ihren Altersgenossen in anderen Ländern über einen längeren Zeitraum. Nicht beruhigend ist allerdings der Befund, dass bei der letzten Studie aus dem Jahr 2004 Hamburg auf dem vorletzten Platz landete.
Angesichts der fehlenden Datenbasis ist Alarmismus nicht angebracht. Nur darf dieser Befund nicht dazu führen, dass das Thema zu den Akten gelegt, also vergessen wird.
Es ist ohne Zweifel so, dass die Schülerschaft des Jahres 2013 in ihrer Zusammensetzung nicht ansatzweise mit der des Jahres 1970 zu vergleichen ist. Gerade in großen Städten wie Hamburg gibt es heute nicht wenige Klassen, in denen mehr Kinder mit ausländischen Wurzeln sitzen als deutsche Muttersprachler. Der häufig zitierte Migrationshintergrund führt dazu, dass auch Kinder ohne oder mit ausgesprochen geringen Deutschkenntnissen eingeschult werden. Diese Defizite zum Start sind im Laufe einer zehnjährigen Schulkarriere in etlichen Fällen nicht mehr aufzuholen.
Nur dürfen wir auch nicht die Augen vor der gesamten Realität verschließen: Auch Kinder von Akademiker-Eltern versagen in der Rechtschreibung. Das führt zu einem weiteren wichtigen Punkt: Der Stellenwert, den die Rechtschreibung traditionell hatte, ist in der heutigen Schule gesunken. Das „Bimsen“ der richtigen Schreibweise ist aus der Mode geraten. Vor die Basisqualifikationen, zu denen auch das Kopfrechnen zählt, ist die Entwicklung von Kompetenzen und kommunikativen Fähigkeiten getreten. Dies stellt sich nun als Fehler heraus.
Es ist eine paradoxe Situation: Wer in unserer hochtechnisierten und digitalisierten Welt nicht lesen und schreiben kann, der ist schnell ausgeschlossen. Auf der anderen Seite wird in E-Mails und SMS häufig munter losgeschrieben ohne Rücksicht auf Orthografie und Interpunktion. Wer nach Begriffen im Internet sucht, kann sich durch Mehrfacheingaben an die richtige Schreibweise herantasten. Nur: Wer sich zum Beispiel um einen Ausbildungsplatz bewirbt, der muss imstande sein, eine fehlerfreie Bewerbung abzuliefern.
Es ist richtig, die unterschiedlichen Methoden, Lesen und Schreiben zu lernen, endlich auf den Prüfstand zu stellen, wie es in Hamburg jetzt geplant ist. Was nicht mehr in die heutige Zeit passt oder sich nicht bewährt hat, darf nicht mehr angewendet werden. Mindestens ebenso wichtig ist aber eine Rückbesinnung auf die Bedeutung der Rechtschreibung für die Schulbildung. Lehrer sollten, ja müssen dieser zentralen Kulturtechnik wieder mehr Aufmerksamkeit schenken. Es wäre übrigens zu eindimensional, wollte man diese Aufgabe ausschließlich der Grundschule überlassen. Die Übung des korrekten Schreibens bleibt eine Aufgabe auch der weiterführenden Schulen.