Asiatisch zu kochen reizte sie nie. Inzwischen gehört die Gewürz-Küche der Sarah Henke zum Besten. Hier geht es um Gewürze und Aromen, um Schärfe und Geschmack vorwiegend asiatischer Herkunft.
Hamburg. Kann es eine noch kürzere Verbindung zwischen zwei Punkten geben als eine Gerade? Wer Sarah Henke beobachtet, wie sie in ihrer offenen Küche im „Spices“ ihre Gerichte zusammensetzt, könnte sich diese Frage stellen, so entschieden, kurz und knapp, so gezielt, so direkt sind ihre Bewegungen. Sie ist nur einen Meter sechzig groß, verschwindet fast in ihrer schwarzen Kochmontur, dennoch füllt sie den Raum hinter dem Pass, wo an die fünf Köche werkeln, so deutlich aus, dass klar ist, wer hier die Chefin ist.
Das „Spices“ ist das zweite Restaurant des Spa-Resorts „A-Rosa“ in List auf Sylt neben dem mit zwei Michelin-Sternen dekorierten „La Mer“ von Sebastian Zier und Christian Hümbs. Es macht seinem Namen Ehre, denn hier geht es um Gewürze und Aromen, um Schärfe und Geschmack vorwiegend asiatischer Herkunft. „Das passt“ wird man meinen, wenn man Sarah Henke anschaut, denn sie hat das schwarze Haar, die dunklen Augen und den olivfarbenen Teint einer Koreanerin. Doch wenn sie wie beim Festival der Sterne im Hörnumer Hotel „Budersand“ die Gästeschar mit einem vergnügten „Moin, Moin“ begrüßt, ist man irritiert. Des Rätsels Lösung: Sarah Henke, Young Sun im Original, ist ein Findelkind aus Korea, das als Baby von einem Ehepaar in Niedersachsen adoptiert wurde und mit den anderen Kindern des Paares und vielen, vielen Tieren auf dem Land aufwuchs.
Sie kann also weder Koreanisch, noch verstand sie etwas von asiatischer Küche und Kochkultur. Doch Frank Nagel, Geschäftsführer der A-Rosa-Gruppe und selbst ehemaliger Spitzenkoch, entdeckte sie in der Küche von Sven Elverfeld, Drei-Sterne-Koch im Wolfsburger „Aqua“. Nagel war auf der Suche nach jemandem, der die asiatische Küche vertreten konnte, denn die fehlte im nicht gerade mageren Sylter Angebot an Küchen und Stilen. So richtig begeistern konnte er sie nicht, als er ihr Jahre später die ersten Sushi ihres Lebens im damaligen „Spices“ vorsetzen ließ. Langweilig. Sie leitete zu der Zeit ein kleines Restaurant in Göttingen, das ohne größeren Zuspruch blieb. Aber Reis mit rohem Fisch, Curry- und Wok-Gerichte reizten sie nicht zum Wechsel.
Die Wende brachte ein Dessert von Patissier Christian Hümbs. Ihn kannte Sarah Henke aus Elverfelds Küche. Als sie seine höchst kreativen Kunstwerke sah, die wie kleine Gärten anmuten, mit Steinen und Ästen aus Schokolade, mit aromatischem Staub und Crunch und Schaum und Gelees aus Nüssen, Früchten und sogar Gemüsen, da war die Sache perfekt. Wenn sie sich so ausleben durfte – dann nur zu.
Henke, die keinerlei Vorstellung hatte von japanisch/chinesischem Essen, begann, sich eine Matrix zu machen. „Ich habe alles, was ich für geeignet hielt, aufgeschrieben und versucht, mir vorzustellen, wie ich es kombinieren kann.“ So findet man auf ihrem Teller Dinge wie Erdnuss oder Zitronengras, Gurke, Karotte, Koriander oder Knoblauch, auch Kirsche oder Yuzu, eine spezielle Zitrusfrucht, in vielen Varianten, als Creme, Schaum, Gelee, Püree, Chip, Soße, Mayonnaise, Sud oder als Krümel. Sie begleiten in Form von Tupfen, Halbkugeln oder Würfelchen Rind, Schwein, Fisch, Lamm oder Krustentiere. Schärfe kommt von Chili, verschiedenen Pfeffersorten, Peperoni und gemischten Gewürzen. Auf der Speisenkarte ist der jeweilige Schärfegrad vermerkt.
Alle modernen Kochtechniken werden angewendet. Und wenn aus dem schwarzen, gusseisernen Teekännchen Krustentiersud auf den im Vakuum gegarten Kaisergranat gegossen wird, zischelt es ein wenig und das zarte Fleisch gart noch weiter dem perfekten Biss entgegen. Es wird mariniert, geschmort, gedämpft und gebraten, Sojasoße und Sesamöl, Austern- und Fischsoße eingesetzt zum Würzen.
I-Tüpfelchen sind Kresseblättchen, die von Töpfen hinter Glas an der Rückwand der Küche gezupft werden. Alle Grün-Schattierungen sind dabei und auch dunkles Rot. Aber die Farbwirkung auf dem Teller ist schmückendes Beiwerk. „Entscheidend ist der Geschmack“, sagt Henke. Nur wenn diese Nuance von bitter, säuerlich, saftig, herb oder süßlich zum Gericht passt, dann wird mit Kresse garniert. „Nur Show gibt es nicht. Das habe ich bei Sven Elverfeld gelernt.“ Der Meister kann stolz sein.
Nicht nur er ist stolz, ihre Familie auch. „Mama war schon mal hier und fand es toll“, sagt Henke. Die Eltern hatten schon zwei Söhne und wünschten sich, als die Jungen so zehn und zwölf Jahre alt waren, noch ein Mädchen. Das fanden sie in Sarah. Abgeholt wurde sie aus Seoul. Aber niemand von der Familie war später mal wieder da. Auch Sarah nicht. Sie hat sich aber einen Ruck gegeben und ist mit ihrem Freund, der im Hessischen kocht, in Thailand gewesen. Dass die Reise ins Land der Früchte, Düfte und Aromen inspirierend war, versteht sich von selbst.
Die schwarzen Haare haben inzwischen schicke Strähnchen und sind modisch auf den Kopf getürmt. Wenn sie aus der Montur steigt, dann gern in High Heels und flotte Kleider. Auf Feiern wird auch gern abgehottet. Was ist auch schöner als tanzen, wenn man in Hamburg im Curio-Haus von San Pellegrino vor 200 Kollegen zur besten Köchin des Jahres ernannt wird? Die Gourmet-Gazette „Feinschmecker“ einen zur „Köchin des Monats Juni“ kürt? Der Gault-Millau einen mit 16 Punkten schmückt und auch noch als „Aufsteigerin des Jahres“ einstuft? Eine Handtasche kaufen! Shoppen tut die 31-Jährige nämlich auch gern.
Nur nach Korea zu reisen traut sie sich im Moment noch nicht. Da hat sie Bauchgrummeln. Also kocht sie lieber, experimentiert mit Kimchi, einer Spezialität Südkoreas. Aber selbst dieses sehr durchdringend schmeckende, fermentierte Gemüse wird modern interpretiert und schmeckt auch Hiesigen. Korea kann warten.