2000 Hamburger forderten bei einem Protestzug Asyl für Edward Snowden. Ein Demonstrant kletterte auf die Rednerbühne und warf Burkhard Müller-Sönksen zu Boden. Dabei wurde er leicht verletzt.
Hamburg. Rund 2000 Menschen haben nach Polizeiangaben in Hamburg am Sonnabend friedlich gegen die Überwachung durch Geheimdienste demonstriert. Die Veranstaltung ist Teil eines deutschlandweiten Aktionstages, den das Bündnis „Demonstrare“ in 39 Städten ausgerufen hat. Der Protest wurde vom Hamburger Bündnis gegen Überwachung organisiert, dem auch der Chaos-Computer-Club sowie einige Parteien angehören. Die Veranstalter sprachen im Gegensatz zur Polizei von 3000 Teilnehmern.
Während einer Rede des FDP-Bundestagsabgeordneten Burkhard Müller-Sönksen kam es zu einem Zwischenfall. Ein Demonstrationsteilnehmer kletterte auf den Lastwagen, der als Rednerbühne diente, und warf Müller-Sönksen zu Boden, berichtete Bündnissprecher Jan Girlich. Dabei sei der FDP-Politiker leicht verletzt worden. Müller-Sönksen hatte sich gegen Überwachung ausgesprochen, wurde aber von den Teilnehmern wegen der Haltung der FDP innerhalb der Koalition ausgebuht. „Müller-Sönksen war geschockt und überrascht“, sagte Girlich, der sich von der Aktion distanzierte. „Der Chaos-Computer-Club verurteilt Gewalt und ruft zu friedlichem Protest auf.“
Am Nachmittag startete der Aktionstag nahe dem Hauptbahnhof, danach wollten die Aktivisten zur Reeperbahn marschieren, wo es eine Abschlusskundgebung geben sollte. Das Aktionsbündnis fordert ein Ende der Massenüberwachung sowie Asyl für den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der die umfangreichen Überwachungspraktiken aufgedeckt hatte.
Demonstrationen in mehreren deutschen Städten
Mehrere tausend Menschen haben am Sonnabend auch in anderen deutschen Städten gegen die Datenüberwachung durch Geheimdienste protestiert. Die Demonstrationen bei rekordverdächtigen Sommertemperaturen fielen aber zum Teil kleiner aus als von den Veranstaltern erhofft. Ein Bündnis verschiedener Organisationen – allen voran die Piratenpartei – hatte zu den Protesten aufgerufen. Die SPD griff Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut scharf an und forderte von ihr mehr Engagement, um die Ausspähung zu stoppen.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) will vor dem Hintergrund des Spähskandals einen Beauftragten für „Cyber-Außenpolitik“ einsetzen. Schon vor Wochen war ans Licht gekommen, dass der US-Geheimdienst NSA wohl im großen Stil die Kommunikation von Bürgern in Deutschland auskundschaftet. Details und Umfang sind aber weiter unklar. Die Bundesregierung bemüht sich bislang mit begrenztem Erfolg, nähere Informationen aus den USA zu bekommen. Offengelegt hatte den Skandal der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden.
Ein Bündnis von Organisationen und Parteien hatte in mehr als 30 Städten zu Protesten gegen die Geheimdienstüberwachung aufgerufen. In Frankfurt am Main, wo die Veranstalter mit 5000 Teilnehmern gerechnet hatten, beteiligten sich laut Polizei nur rund 1000 Menschen. In München, Berlin und Karlsruhe demonstrierten jeweils rund 500 Bürger gegen die Ausspähung. Auch in Dresden und Leipzig protestierten mehrere hundert Menschen. In Stuttgart, Ulm und Tübingen zählte die Polizei jeweils mehr als 100 Demonstranten.
In anderen Städten fiel das Interesse deutlich geringer aus. Zum Teil versammelten sich nur ein paar Dutzend Menschen, zum Teil fielen angekündigte Proteste ganz aus. Die Demonstranten forderten ein Ende der Abhöraktionen und Schutz für Whistleblower wie Snowden.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bekundete Respekt für den Ex-Geheimdienstmann. „Snowden hat ein Maß an zivilem Ungehorsam gezeigt, das ich bewundere“, sagte Steinbrück der „Welt am Sonntag“. Ohne die Zivilcourage des Amerikaners gäbe es die aktuelle Debatte nicht. „Dafür sollten wir Snowden dankbar sein.“
Steinbrück griff Merkel erneut scharf an und verlangte von ihr einen offensiveren Umgang mit den USA. Merkel sei den Amerikanern gegenüber „zu unkritisch“ und gehe mit dem Abhörskandal „mehr als lässlich“ um. Er forderte mehr Engagement von Merkel. Die Kanzlerin habe „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Merkel im „Tagesspiegel am Sonntag“ vor, sie nehme Grundrechtsverletzungen in Kauf und ducke sich weg.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nahm Merkel in Schutz und bezeichnete Gabriels Wortmeldungen in der Debatte als „ständige Flegeleien“. Während der SPD-Chef den „Wahlkampf-Lautsprecher“ bediene, kümmere sich die Regierung um Aufklärung, sagte Gröhe der Nachrichtenagentur dpa.
Ein Außenamtssprecher bestätigte einen Bericht der „Süddeutschen Zeitung“, wonach Westerwelle einen Beauftragten für „Cyber-Außenpolitik“ berufen will. Den Posten soll der Diplomat Dirk Brengelmann übernehmen, der bisher als beigeordneter Generalsekretär für politische Angelegenheiten und Sicherheitspolitik bei der Nato tätig war. Brengelmann soll auf internationaler Ebene „deutsche Cyber-Interessen vertreten“.
In der Spähaffäre waren zuletzt auch die deutschen Nachrichtendienste wegen ihrer Kooperation mit der NSA in die Kritik geraten. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) hatte Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst aber einwandfreie Arbeit bescheinigt. Nach Ansicht von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen sind damit alle Vorwürfe vom Tisch. Der Zeitung „Die Welt“ sagte Maaßen: „Was die angeblichen Verfehlungen der deutschen Nachrichtendienste angeht, bleibt festzustellen: Nichts ist übrig geblieben.“