2 Kilogramm Vollkornbrot, 1,4 Kilogramm Kirschen im Glas, 56 Liter Wasser: Das und mehr braucht eine Person, um im Katastrophenfall einen Monat lang zu überleben. Doch bei allem gilt: bloß keine Panik!
Hamburg. Zwei Kilogramm Vollkornbrot. 600 Gramm Bockwürstchen. 56 Liter Mineralwasser. Trockenpflaumen, eingemachtes Obst, Konserven, Nüsse, Corned Beef. Die Einkaufsliste für den Fall des Falles ist lang – die Lebensmittel türmen sich immer höher im Einkaufswagen auf, so dass es nicht ohne einen zweiten geht. 600 Gramm Kalbsleberwurst. Drei Dosen Erbsen und Wurzeln, dazu 800 Gramm Mais. Damit ein einzelner Mensch im Katastrophenfall 28 Tage lang überleben kann, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen, muss er Essen und Getränke mit einem Gesamtgewicht von fast 98 Kilogramm anhäufen. Jedenfalls dann, wenn er täglich 2200 Kalorien zu sich nehmen und sich einigermaßen ausgewogen ernähren will. Es folgen zwei Kilogramm Kartoffeln, eine halb so große Menge an Zwiebeln, dazu noch frische Äpfel, Bananen und Birnen. Und oben drüber schwebt die große Frage: Wer soll das alles bloß essen?
Die Antwort ist simpel: wir. Diese Empfehlungen stammen nämlich von einem sogenannten „Vorsorgekalkulator“. Bereit gestellt wird er im Internet auf der Seite www.ernaehrungsvorsorge.de vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Berlin. Kein Scherz. Per Mausklick und Tastatur kann hier jeder berechnen lassen, wie viel Essen und Getränke man braucht, um sich und seine Lieben für eine bestimmte Anzahl von Tagen über die Runden zu bringen. „Es ist äußerst ratsam, stets einen Nahrungsmittelvorrat für einen Zeitraum von 14 Tagen im Haus zu haben“, heißt es dort. „So stehen Sie und Ihre Familie in einem Notfall nicht mit leerem Magen da. Denken Sie bei der Planung Ihrer individuellen Vorratshaltung an die Essgewohnheiten und geschmacklichen Vorlieben Ihrer Familienmitglieder. Dann sind Sie für alle Eventualitäten bestens gerüstet.“
Nanu? Welche Eventualitäten? Schnell schieben sich Bilder von Hollywood-Katastrophenszenarien vor das innere Auge, in denen wahlweise eine Alien-Invasion, der schmelzende Erdkern oder ein unkontrollierbares Killervirus die gesamte Menschheit dahinzuraffen droht und in sie in anarchische Zustände stürzt. Geplünderte Supermärkte, leere Straßen, nackte Angst. Doch schnell weg mit dem Gedanken – denn mit solcherlei Katastrophen haben die tatsächlich möglichen Eventualitäten dann doch nichts zu tun. Aber sie sind da. Auch in der Hansestadt.
„Hamburg ist am ehesten von Sturmfluten bedroht“, klärt Holger Poser auf. Er ist stellvertretender Leiter des Referats für Katastrophen- und Bevölkerungsschutz bei der Innenbehörde. „Darauf haben wir uns genauso wie auf andere Katastrophenszenarien planerisch vorbereitet.“ Welche das sein können, hat die Behörde ebenfalls auf ihrer Internetseite in einem „Gefahrenkatalog“ aufbereitet. Neben den Naturkatastrophen zählen demnach Großschadensereignisse wie Flugzeugabstürze oder Zugunglücke dazu, außerdem „unsichtbare Gefahren“ wie chemische Dämpfe oder Epidemien.
Von mathematischen Wahrscheinlichkeiten mache man die Notwendigkeit der Planung aber nicht abhängig, so Poser. „Denn beispielsweise liegt die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Elbehochwasser bei einem Mal in 1000 Jahren und trotzdem hatten wir in den letzten elf Jahren jetzt schon zwei Elbehochwasser.“
Da hat er Recht, auch wenn man nicht weiß, ob man das alles nun beruhigend oder doch beunruhigend finden soll. Gleiches gilt für die Tatsache, dass es riesige staatliche Nahrungsreserven gibt, an mehr als 100 Standorten im gesamten Bundesgebiet. Gelagert wird zum einen die „zivile Notfallreserve“, die aus Reis besteht (Lang- und Rundkorn!), außerdem aus Erbsen, Linsen und Kondensmilch. Die so genannte „Bundesreserve Getreide“, aufbewahrt in der Nähe zu Mühlen, umfasst Weizen, Roggen und Hafer. Kostenpunkt für den Unterhalt: Rund 15 Millionen Euro. „Auch in Hamburg gibt es Lebensmittelnotvorräte“, sagt Poser. Für diese gebe es aber keine Extra-Lager, sondern sie seien Teil des bestehenden Versorgungssystems. Das heißt, dass Lebensmittelunternehmen, die ohnehin Essen und Getränke lagern, immer auch eine gewisse Menge für die Notfallreserve zurückhalten. Wo sich diese Vorräte befinden, ist aber sowohl für Hamburg als auch für die ganze Bundesrepublik streng geheim. „Bei einer Veröffentlichung der Standorte der Lagerstätten würde die Wahrscheinlichkeit, dass in einer Versorgungskrise die Lager das Ziel von Plünderungen würden, deutlich zunehmen“, heißt es zur Begründung. Da wären wir dann wieder bei den Hollywood-Szenarien.
Gerade in Hamburg könnte im schlimmsten Fall sogar anfällig für so etwas sein. „Ich habe den Eindruck, dass in einer Großstadt wie Hamburg nur sehr wenige Menschen für den Katastrophenfall vorsorgen“, klagt Poser. „Wir haben uns ja daran gewöhnt, dass immer alles im nächsten Supermarkt verfügbar ist. Das Wasser kommt aus dem Hahn, der Strom aus der Steckdose und das Brot vom Bäcker. Wenn irgendetwas davon auf einmal nicht mehr geht, wären viele völlig aufgeschmissen. Es wird leider so gut wie keine Vorsorge getroffen.“ Er selbst horte zwischen 60 und 80 Liter Wasser zu Hause, was eigentlich auch zu wenig sei.
„Man muss es ja nicht übertreiben und riesige Lebensmittelberge anhäufen“, sagt er. „Aber zur Grundversorgung gehört aus meiner Sicht ein Transportkanister, vor allem für Wasser.“ Sinnvoll sei auch, einen kleinen Vorrat der wichtigsten Medikamente zu Hause zu haben. Und es seien Konserven wichtig, die man zur Not auch kalt essen kann. „Am allerwichtigsten ist Trinkwasser. Gerade als Familie dürfen es gut und gerne 150 Liter sein.“
Aber kann wirklich etwas passieren, was Deutschland zurück in die Steinzeit katapultieren kann? Nach einem Blick etwa ins Internetauktionshaus Ebay schwant einem Schreckliches, dann mancherorts scheinen die Vorbereitungen darauf längst zu laufen: Schutzanzüge gegen Strahlung sind schon für zehn Euro zu haben, Notzelte fallen in die gleiche Preiskategorie. Davon hält Poser allerdings überhaupt nichts. „Wenn tatsächlich Strahlung oder chemische Substanzen in der Luft sind, gilt grundsätzlich: Fenster und Türen geschlossen halten und warten, bis es Entwarnung oder eine Aufforderung zum Verlassen des Gebietes gibt.“
Auch sonst gilt: Keine Panik! Bisher ist der Einsatz der staatlichen Notreserve nicht nötig geworden, auch nicht bei der Flut 2002. Und wer nicht weiß, wohin er mit dem vielen Essen aus seinem Privatvorrat, findet sicher einen kreativen Weg. Hungrige Freunde, die sich sich nur allzu gern zum Essen einladen lassen, gibt es ja schließlich immer.