Vegetarisch essen, kein Vollbad: Ratgeber des Jobcenters Pinneberg sorgt für Aufregung
Pinneberg. Sie ist gut gemeint, aber sie kommt schlecht an: Eine Broschüre des Jobcenters in Pinneberg mit Ratschlägen an Arbeitslose sorgt bundesweit für Aufregung bei den Sozialverbänden. Kritisiert werden vor allem die Spartipps an die Adresse von Hartz-IV-Empfängern.
Am Beispiel der fiktiven Familie Fischer aus Barmstedt erklärt die 112 Seiten starke Handreichung das Thema „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ – mit Hilfe von erdachten Dialogen und Comic-Zeichnungen. So rät Schnäppchenjägerin Martina Familienmutter Sylvia beim Einkauf, am Sechserpack Selters vorbeizugehen. „Wusstest du, dass Leitungswasser oft eine bessere Qualität hat als Mineralwasser?“, fragt die Freundin die Hartz-IV-Anwärterin. Beim Essen überlegt Familie Fischer, wie sie fortan Geld sparen kann. Erster Beschluss: eine Woche auf Fleisch zu verzichten. „Ich will sowieso Vegetarier werden“, erklärt Tochter Lara in bester Laune den Lesern des Ratgebers.
Der unverschuldet in die Bredouille geratenen Familie Fischer wird außerdem geraten, alte Möbel im Internet zu versteigern, beim Einkauf von Kleidung auf den Schlussverkauf zu warten und auf die Vorjahreskollektion zurückzugreifen. Die Broschüre hält auch Wasserspartipps bereit: „Duschen Sie, anstatt ein Vollbad zu nehmen.“ Auch beim Toilettengang könne man sich bescheiden: „Manchmal hilft es schon, ein paar Steine in den Spülkasten zu legen. So können Sie bei jedem Gebrauch mehrere Liter Wasser sparen“, raten die Autoren. Bettwäsche, Bücher und Schuhe gebe es preiswert im Sozialkaufhaus.
„Der Ratgeber schießt eindeutig über das Ziel hinaus“, kritisiert Brigitte Döcker vom Vorstand des Awo-Bundesverbandes in Berlin. „Selbst wenn diese Vorschläge gut gemeint sein sollten, stellen sie eine Diskriminierung der Betroffenen dar.“ Noch drastischer formuliert es der Pinneberger Bundestagsabgeordnete Ernst Dieter Rossmann (SPD): „Das sind Empfehlungen an der Menschenwürde vorbei. Das muss schnell korrigiert werden.“ Ähnlich sieht es auch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin, Ulrich Schneider. „Die Broschüre ist völlig verunglückt. Ich verstehe Menschen, die sich bei der Lektüre verunglimpft fühlen. Ich empfehle dringend, die Broschüre einzustampfen“, sagt Schneider. „Sie schadet dem Image des Pinneberger Jobcenters.“
Die Bundesarbeitsagentur kann die Aufregung dagegen nicht nachvollziehen. „Wir finden die Broschüre gut gelungen und witzig“, sagt Sprecherin Anja Huth. „Sie ist für Menschen gedacht, die von jetzt auf gleich in eine Notsituation geraten. Sie bietet klassische Verbrauchertipps, die in jeder Zeitschrift zu finden sind.“ Auch der Pinneberger Landrat Oliver Stolz und Thomas Kenntemich, Leiter der Agentur für Arbeit in Elmshorn, verteidigen den Ratgeber. „Damit soll eine komplizierte Materie verständlicher gemacht werden.“ Enthalten seien auch wichtige regionale Hinweise über Ansprechpartner, Adressen und Telefonnummern.