Elektroschrott wird knapp in Hamburg – weil dubiose Händler viele alte Geräte nach Afrika exportieren. Aber auch bei Müll für Verbrennungsanlagen drohen Engpässe.
Hamburg. Ihr Geschäft findet meist in Hinterhöfen statt. Von der Billstraße in Hamburg aus schaffen Müllsammler Elektrogeräte und andere Produkte ins Ausland, die Metall, Kupfer oder Stahl enthalten. Meist werden die Geräte in alte Autos gepackt und vom Hamburger Hafen aus nach Afrika exportiert. Die Gegenstände bekommen sie von arglosen Bürgern. „Die Müllsammler stehen vor unseren Recyclinghöfen und sprechen die Autofahrer, die dort hinfahren, an, ob sie alte Geräte wie Fernseher abgeben wollen“, sagt Reinhard Fiedler, Sprecher der Hamburger Stadtreinigung.
Auch über Haushaltssammlungen werden altgediente Dinge abgeholt. Dahinter könnten laut Andreas Habel, Experte für Elektroschrott beim Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse), ebenfalls die Müllsammler stehen: „Vorsichtig sollte man vor allem dann sein, wenn auf den Zetteln, mit dem die Sammlung angekündigt wird, kein Absender steht. Mit solchen Aktionen entgehen den deutschen Recyclingbetrieben 150.000 Tonnen Schrott im Jahr“, sagt er. Die Branche büßt damit Einnahmen im mehrstelligen Millionenbereich ein.
In Afrika schlachten die Menschen die Geräte aus, holen Kupfer, Silber, Aluminium oder andere Edelmetalle heraus. Aber Fernseher, Computer oder Kühlschränke enthalten auch giftige Stoffe. Das scheint den Müllverwertern egal zu sein. Oder sie wissen nicht, dass Röhrenfernseher und Monitore bleihaltiges Glas enthalten. In den verwendeten Leuchtstoffen stecken zudem Schwermetalle. In Deutschland würden solche Geräte fachgerecht recycelt, in Afrika fließen die Gifte in den Boden.
Den Exporteuren ist kaum beizukommen, denn sie nutzen eine Gesetzeslücke aus. Während die Ausfuhr von Elektroschrott verboten oder nur mit Ausnahmegenehmigung erlaubt ist, dürfen funktionsfähige Elektrogeräte ausgeführt werden. Ob die Ware auf den Schiffen Schrott oder tatsächlich noch intakt ist, wird kaum kontrolliert. Vermutlich war der Hintergedanke des Gesetzes, dass Menschen in Entwicklungsländern sich über günstige Fernseher, Computer oder Tastaturen freuen. Doch die Rechnung geht nicht auf. Habel und sein Verband fordern von der Politik nun eine Gesetzesänderung. „Die Beweispflicht muss umgekehrt werden. Die Exporteure müssen belegen, dass sie tatsächlich nur funktionsgerechte Geräte exportieren.“
Das Potenzial ist hoch. In Deutschland fielen 2011 rund 387 Millionen Tonnen Müll an, davon ist die Hälfte Bauschutt, 13 Prozent sind Hausmüll und Abfall von kleineren Gewerbebetrieben, der oft in die Verbrennungsanlagen geht. Rund 20 Millionen Tonnen Müll wurden 2011 in Deutschland verbrannt, zumeist in Müllheizkraftwerken, aber zum Beispiel auch als Zugabe zu konventionellen Kohlekraftwerken. Das Geschäft lohnt sich. „Müll ist ein Wirtschaftsgut wie jedes andere“, sagt Reinhard Fiedler, Sprecher der Hamburger Stadtreinigung.
Etwa 50 Milliarden Euro setzt die deutsche Entsorgungsbranche mittlerweile um. Diese Zahl dürfte weiter steigen, da die Verbraucher immer mehr Computer, Handys und Zweitfernseher kaufen – die irgendwann entsorgt werden müssen. Doch das Geschäft hat auch Risiken. „Die Preise schwanken“, sagt Fiedler. Im Moment werden für eine Tonne Papier nur rund 30 Euro bezahlt. Das sei viel zu wenig, sagt Fiedler. PET-Flaschen, die den deutschen Entsorgern vor zwei Jahren noch von den Chinesen aus der Hand gerissen wurden, sind heute fast wertlos, während eine Tonne Altkleider 500 Euro kostet.
Wie die Müllentsorgung fachgerecht durchgeführt werden kann, zeigt die Hamburger Müllverbrennungsanlage (MVB) Borsigstraße. Wer dort ankommt, nimmt zunächst den Geruch wahr. Es riecht – nicht draußen auf dem Gelände, sondern nahe dem Bunker in der MVB. Bis zu 12.000 Tonnen Haushalts- und Gewerbemüll passen in das Lager der MVB – Essensreste, Stoffe, alte Kleider, Geschirr, Papier, Pappe, aber auch Metalle. Für Laien ist der Geruch möglicherweise störend, Experten jedoch riechen auch hier das große Geschäft. Abfall ist viel Geld wert, wenn er fachgerecht bearbeitet wird. In der MVB werden mithilfe von Magneten Schrotte aus dem Müll herausgetrennt. Allein im vergangenen Jahr wurden so 8000 Tonnen Metalle gewonnen. Anders als bei den Hamburger Müllsammlern stellt die MVB sicher, dass der Arbeits- und Umweltschutz beachtet wird.
„Wir scheiden auch Schwefel ab. Zudem gewinnen wir aus dem Chlor im Müll technisch nutzbare Salzsäure“, sagt Martin Mineur, der technische Geschäftsführer der Anlage. Die Metalle verkauft das Unternehmen an Stahlwerke. Kupfer und Aluminium werden ebenfalls aus der Müllschlacke getrennt. „Jedes Jahr liefern wir rund 1000 Tonnen Kupfer oder Aluminium an Recyclingbetriebe“, sagt Mineur. Inzwischen werden mehr als 40 Prozent des deutschen Stahls aus Schrott hergestellt. In der Papierindustrie liegt die Recyclingquote bei über 70 Prozent.
Die klassischen 69 Müllverbrennungsanlagen in Deutschland sind zwar noch gut ausgelastet, doch das könnte sich ändern. Die Verbraucher haben ein Bewusstsein fürs Recycling entwickelt und sind darin sogar Weltmeister. Vieles wandert in die Biotonne, Plastikflaschen werden geschreddert und zu Parkbänken verwandelt. Das spürt auch die MVB. Der einzige Kunde, die Hamburger Stadtreinigung, will 2014 ihren seit Jahren laufenden Vertrag mit der Anlage nicht verlängern, weil die Müllmengen sinken. „Wir wollen auch in Zukunft mit der MVB eine wichtige Rolle im Abfallkonzept der Stadt spielen“, sagt Stefan Kleimeier, Sprecher von Vattenfall, dem größten Anteilseigner der Anlage. Eine weitere Alternative wäre, Müllmengen zuzukaufen. „Wir werden eine Ausschreibung machen, an der sich auch die MVB beteiligen kann. Allerdings wird das Volumen geringer als bisher“, sagt Fiedler. Auch die Müllverbrennungsanlage in Stapelfeld hat den Auftrag der Stadtreinigung verloren. Die Zeiten, in denen die vier Verbrennungsanlagen in Hamburg, darunter die am Rugenberger Damm und in Stellingen, gerade reichten, um den Müll zu vernichten, sind vorbei.
Bis Jahresende hat die MVB noch Zeit. Die zwei Linien der Anlage verbrennen rund 1000 Tonnen Müll am Tag, das bedeutet inklusive der Wartungsarbeiten und Stillstände 320.000 Tonnen im Jahr. Jede Linie wird einmal im Jahr gewartet. Dann kommen neben den 90 Mitarbeitern noch rund 200 Fachkräfte von Fremdfirmen aufs Gelände. Es hämmert laut während der Revisionsarbeiten. Schweißbrenner senden gleißendes Licht in die abgedunkelte Umgebung. Peter Nathrath schaut sich den 34 Meter hohen Kessel Stück für Stück an. Der Experte einer Fremdfirma klopft auf Eisen, testet, ob Teile bereits angerostet sind und ausgetauscht werden müssen. Ein anderer Arbeiter schweißt nebenan an einer Naht. Eine mühsame Handarbeit.
Überprüft werden vor allem die kleinen Rohre, die, mit Wasser gefüllt, beim Verbrennen des Mülls erhitzt werden, um dann in das Fernwärmenetz von Vattenfall zu gelangen. Der Dampf der Anlage kann etwa 54.000 Haushalte mit Fernwärme versorgen. Das entspricht einem Fünftel aller an das Hamburger Wärmenetz angeschlossenen Haushalte. Diesen Service will die MVB weiter anbieten. Auch deshalb wird um neue Aufträge gerungen. Der Kampf um den Müll hat Hamburg erreicht.