Der Streit mit einer Autofahrerin ist ein YouTube-Hit. Doch das schockierende Video hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Der Rad-Rebell rechtfertigt sich bei abendblatt.de.

Hamburg. Es ist ein Film, der zeigt, dass zwei Minuten und 30 Sekunden ausreichen, um eine heftige Empörungswelle auszulösen. „Hysterisch-Cholerisch-Autofahrer“ ist der Titel des YouTube-Videos, das anmutet wie ein Roadmovie, der völlig aus dem Ruder läuft. Die Hauptdarsteller: Ein Radfahrer, der offenbar relativ mittig auf der Friedrichsberger Straße/Ecke Dehnhaide in Hamburg-Barmbek unterwegs ist. Und eine genervte Autofahrerin, die ihn mit sehr geringem Abstand überholt. Dann stoppen beide. Und es wird richtig laut: „Ich zeig dich an“, „Du dummer Sack“, „Dachschaden?“

Wer an der Situation die Schuld trägt, darüber gehen die Meinungen im Netz weit auseinander. Fahrradrowdy oder Auto-Zicke? Und wieso ist da überhaupt einer mit einer Videokamera am Fahrrad unterwegs?

Um die Situation aufzuklären, hat sich der Fahrradfahrer jetzt bei abendblatt.de gemeldet. Seinen richtigen Namen möchte er lieber nicht sagen. Die Beschimpfungen im Internet der vergangenen Tage haben Thomas — so nennen wir ihn — gereicht. Die anderen Fahrrad-Videos, die er auf YouTube hochgeladen hat, hat er vorsichtshalber jetzt aus dem Netz genommen. So hatte er sich das ganz sicher nicht vorgestellt.

Im März hat sich der Anfang 30 Jahre alte Hamburger dazu entschlossen, eine Kamera an seinen Fahrradlenker zu montieren. Damit will er den Alltagskampf auf Hamburgs Straßen dokumentieren. 16 Kilometer legt er jeden Tag zurück — das reicht offenbar für jede Menge Stoff. Besonders brenzlige Situationen lud er auf YouTube hoch. „Ich wollte mit meinen Videos deutlich machen, wie man sich im Straßenverkehr besser verhalten sollte“, sagt er. Als Mahnung.

Aus seiner Sicht ist es so: „Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Verkehrsteilnehmer aller Art aneinandergeraten, ist zwar nicht höher geworden. Aber wenn sie aneinandergeraten, eskaliert die Situation schneller.“ Woran liegt das? „Jeder beharrt auf seinem Recht und denkt nur daran, dass er es eilig hat. Dazu kommen Stammtischmeinungen, die dann ihr übriges dazu tun.“ Als Beispiel nennt er die Frage, ob man Fahrradwege eigentlich benutzen soll, kann, darf oder muss. „Die meisten gehen fälschlicherweise davon aus, dass Fahrradfahrer die Radwege benutzen müssen und regen sich dann auf, wenn ich auf der Straße fahre. “

Hier kann der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) für Klarheit sorgen: „Radfahrer müssen grundsätzlich die Fahrbahn benutzen. Diese Vorschrift der Straßenverkehrsordnung hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 18. November 2010 bestätigt. Bereits seit dem 1. Oktober 1998 dürfen Radfahrer auf der Fahrbahn fahren“, so ein Sprecher. Die Radwegebenutzungspflicht sei eine absolute Ausnahmeregelung, die durch eine besondere Gefährdung der Radfahrer begründet werden müsste. An diesen Stellen könnte die Straßenverkehrsvehörde dann ein blaues Radwegeschild aufstellen. Laut ADFC ist das Problem, dass die Polizei den Gefährdungsnachweis nicht liefere. „Die Schilder sind dementsprechend rechtswidrig.“

Seit einigen Jahren versucht der Senat, mit verschiedenen Maßnahmen gegenzusteuern. Mit Radwegebegradigungen, übersichtlicherer Beschilderung und immer mehr Radwegen auf der Fahrbahn. Nach Thomas’ Ansicht seien diese immer „gut gemeint“, aber nicht immer zielführend. Etwa, wenn Radwege auf die Straße gezogen werden, an der auch seitlich Autos parken. Um nicht zu riskieren, gegen eine unachtsam geöffnete Tür zu fahren — im Biker-Slang: „gedoort zu werden“ — muss man Abstand halten. Und das provoziere eben Streit mit Autofahrern. So, wie es sich wahrscheinlich auch in dem Video zugetragen hat.

Interessant zu wissen: Der YouTube-Film wäre wahrscheinlich sogar gerichtsfest. Vor wenigen Tagen erst hatte das Amtsgericht München ein privat gedrehtes Video eines Radfahrers als Beweismittel in einem Zivilprozess zugelassen — jedoch am Ende nicht zugunsten des Radfahrers entschieden.

Unabhängig davon geht die Diskussion im Netz munter weiter. Der aktuellste Kommentar auf Facebook fasst es ganz gut zusammen: „Es gibt auf beiden Seiten jede Menge Vollidioten (Autofahrer wie Radfahrer). Man kann alles auch im Klein-Klein zerreden. Und diese Diskussion zeigt ja, dass einem die Rechtsauslegung wichtiger ist, als die Toleranz und mal zu sagen: Ok, dumm gelaufen, passiert ist nichts, tut mir leid, nächstes Mal gebe ich mehr Obacht.“