Seit Mai gilt ein neues Denkmalrecht. Es soll den Schutz historischer Bauten verbessern. Ein Diskurs über die Frage „Was ist schön, was kann weg“ und warum die Antwort schwierig ist.
Die Theorie ist klar: Das neue Denkmalschutzgesetz soll schneller greifen und die Vorgänge transparenter machen. Die Erhaltung von Baugeschichte ist im Sinne von Nachhaltigkeit wichtig, darin sind sich alle Beteiligten einig. In der Praxis prallen aber nach wie vor die Interessen der Eigentümer, der Politik und der Stadtbewohner aufeinander.
Auf Einladung des „Hamburger Abendblatts“ und des Unternehmens Reemtsma haben sich sechs Experten getroffen, um die Frage „Wie viel Denkmalschutz braucht Hamburg“ zu diskutieren. Das Treffen, das einmal pro Quartal unter dem Namen „Kulturmahl“ stattfindet und sich als Debattenforum der Gesprächskultur widmet, fand diesmal in der Vinothek im „Sofitel Hamburg“, Alter Wall, statt.
Teilnehmer waren Frank Pieter Hesse, oberster Denkmalpfleger der Stadt, Heinrich Stüven, Vorsitzender des Grundeigentümerverbandes, Ex-Senatorin Christa Götsch (Bündnis90/Die Grünen Hamburg), Uli Hellweg, IBA-Geschäftsführer, Lisa Kosok, Direktorin Hamburg Museum und Patrick Rüther, Geschäftsführer der Gastronomie-Betriebe „Bullerei“ und „Altes Mädchen“.
Svea Schröder, Pressesprecherin von Reemtsma, freute sich am Ende besonders über eine innige Umarmung der Herren Hesse und Stüven, in ihrer Funktion nicht immer einer Meinung: „Das ist es, was das Kulturmahl ausmacht. Intensiver Diskurs und persönliche Wertschätzung.“
Hamburger Abendblatt: Herr Hellweg, welches denkmalgeschützte Gebäude ist Ihnen besonders nahe?
Uli Hellweg: Meine Standardantwort darauf lautet, das, womit ich am meisten zu tun habe. Und das ist die Veddel, da wir hier der großen Herausforderung der denkmalgerechten energetischen Modernisierung eines historischen Quartiers aus den 20er-Jahren gerecht werden mussten. In einem Projekt mit 68 Wohnungen haben wir gezeigt, dass man die Schumacher’sche Bausubstanz tatsächlich auf Neubaustandard bringen kann, ohne die historische Fassade anzupassen.
Heinrich Stüven: Ich denke sofort an die alte Süderelbebrücke. Es gehört zu meinen schönsten Momenten, dort zu stehen, den Blick ins Industriegebiet gerichtet. Für mich ist das ein Platz, wo ich gut entspannen kann und den ich auch Besuchern gern zeige, eben weil er nicht so bekannt ist.
Christa Goetsch: Mit fallen spontan die Schumacher-Schulbauten ein. Ich finde es spannend, wie sich moderne Pädagogik mit diesen alten, wunderschönen Bauten verbindet.
Lisa Kosok: Als Kind des Ruhrgebiets, ich komme aus Bottrop, schlägt mein Herz ebenfalls für die Industrie-Architektur. Ich liebe deshalb die 50er-Schuppenanlage des Museumshafens. Diese Anlage aus der Jahrhundertwende ist für mich eine logistische Meisterleistung. Sie begründete Hamburgs Ruf als schneller Hafen. Das ist großartig.
Patrick Rüther: Mein Herz hängt natürlich an meinem Arbeitsplatz, der „Bullerei“ in den alten Markthallen. Aber was mich wirklich berührt, ist der Fernsehturm. Er ist das Erste, was man sieht, wenn man nach Hamburg kommt. Deshalb bin ich befremdet, wie die Stadt mit diesem Symbol umgeht.
Wie meinen Sie das?
Rüther: Damals, als wir auf der Suche nach einer geeigneten Lokalität waren, habe ich mir auch den Fernsehturm ansehen wollen. Also habe ich die Funkturm-AG der Telekom angeschrieben. Aber das war denen tatsächlich total egal, dass da Menschen bereit waren, Geld zu investieren, damit dieses wunderbare Bauwerk wieder eine Funktion für Besucher bekam. Die hätten ja glatt 15.000 oder 20.000 Euro Miete kassieren können. Aber in diesem Staatsunternehmen war eben kein Controller, der aufgeschrien hat ...
Es melden sich ja immer mal wieder Interessenten für den Fernsehturm...
Frank Pieter Hesse: Alle zwei Jahre gibt es neue Anfragen. Aber die meisten Interessenten haben nur Dollarzeichen in den Augen. Das Problem sind der Brandschutz und die Aufzüge. Das ist höchst kompliziert. Andererseits, in Berlin beim Funkturm funktioniert es.
Rüther: Ich habe mich seinerzeit schlaugemacht. Man könnte Doppelfahrstühle einbauen, eine Sammelstelle für die Besucher einrichten. Es ist möglich. Aber es passiert leider nichts. Stichwort Bestandsschutz.
Hesse: Der ist seit 2005 perdu. Und das ist das Problem. Nach einer Stilllegung muss man nun neue technische Voraussetzungen schaffen.
Rüther: Ich habe mich seinerzeit schlau gemacht. Man könnte Doppelfahrstühle einbauen, eine Sammelstelle für die Besucher einrichten. Es ist möglich. Aber es passiert leider nichts. Stichwort Bestandsschutz.
Hesse: Für Investoren gilt: Es kann nur dann etwas erhalten werden, wenn es im Gegenzug dafür etwas gibt. Also Fläche. Nehmen Sie das ebenfalls denkmalgeschützte Unileverhaus. Es war für den Umbau als Gebäude mit 20 Stockwerken beantragt. Inzwischen ist es auf 24 angewachsen. Durch die zusätzliche Bebauung hin zur Musikhalle ist es schon seit Jahren nicht mehr als Solitär im Stadtbild wahrzunehmen und ein Beispiel für die zunehmende Verdichtung. So geht es an vielen Stellen in der Stadt zu. Man hat sich längst von den Idealen des durchdachten Städtebaus verabschiedet.
Es scheint schwierig herauszufinden, welche Gebäude den Hamburgern am Herzen liegen und welche nicht?
Hesse: Das gilt nicht nur für die Laien sondern auch für die Profis. Am Ende hat es eben nichts mit Schönheit zu tun, sondern mit der Frage, ist es wichtig für die Nachwelt, dass etwas erhalten bleibt. Natürlich ist Schönheit ein gutes Vehikel in der Frage, erhalten oder nicht. Aber auch die Nachkriegsmoderne wie eben das Unileverhaus oder die City-Nord gilt es zu bewahren, weil sie Teil der Geschichte dieser Stadt ist.
Götsch: Denkmalschutz ist ein hoch emotionales Thema. Denken Sie beispielsweise an das Bismarckbad, das gegen den Bürgerprotest abgerissen wurde. Inzwischen haben sich die Wellen gelegt, und die Bürger sind glücklich mit ihrem neuen, modernen Schwimmbad.
Mal provokativ gefragt, wir diskutieren über die zunehmende Gentrifizierung in der Stadt. Ist Denkmalschutz da nicht uncool?
Rüther: Alte Bauten sind etwas Besonderes. Wir haben unsere Location danach ausgesucht, weil sie eine Geschichte hat, etwas erzählt über die Menschen, die dort gearbeitet haben.
Hesse: Das glaube ich Ihnen nicht. Die Hallen sind ein top-zentraler Standort. So etwas haben Sie woanders nicht!
Rüther: Ich muss widersprechen. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir die Hallen sogar so gelassen wie sie waren. Und wir hätten viel mehr mit den Kontrasten gespielt. Aber da gab es Auflagen. Andererseits hat sich das Denkmalschutzamt sehr kooperativ gezeigt. Denen gefiel unser Konzept: Ein Deli-Bistro, nicht hochpreisig, denn wir wollen uns nicht die Taschen vollmachen ...
Stüven: Das Denkmalschutzthema wird zunehmend ein Problem für die Kommunen. Die Bevölkerung wächst, Wohnraum muss her. Andererseits braucht eine Metropole wie Hamburg ihre Historie. Es ist eine Gratwanderung. Aber wenn wir der nachfolgenden Generation etwas übergeben wollen, müssen wir aufzeigen, das war die Entwicklung eurer Stadt. Ich bin sicher, irgendwann wird man auch die Teherani-Glasbauten schön finden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Nierentische noch einmal eine Renaissance feiern würden. Aber so ist es, und deshalb sollten wir alle gemeinsam versuchen, für unsere Denkmäler zu werben.
Alles Hässliche wird also irgendwann Kult?
Kosok: Natürlich finden Kinder cool, was ihre Eltern verdammen würden. Aber man muss den Blick schärfen auf das gesamte Stadtbild, das man nicht begreifen kann ohne die Details. Diese unterschiedlichen Bautypen, die so typisch sind für Hamburg, die müssen wir bewahren, statt sie zu eliminieren. Sie sind das Gedächtnis der Stadt. Genau deshalb fühlen sich Touristen in unserer Stadt wohl, aber genau diese Atmosphäre spüren doch auch wir, die wir hier leben. Aber auch das ist Hamburg-typisch: Einfach mal Tabula rasa machen und gucken, was dabei rauskommt. Wie bei der Hafencity. Da wurde zerstört, was 100 Jahre wichtig war.
War das falsch?
Kosok: Das kann man so nicht sagen. Man hat mit der Speicherstadt ein komplettes barockes Quartier zerstört, es in Teilen ins Museum geschafft. Ob das falsch oder richtig war, werden die Generationen nach uns beurteilen.
Hellweg: Ich finde, dass die Hafencity lebenswichtig für die Entwicklung der Innenstadt ist. Es gäbe keinen Sprung über die Elbe ohne die Hafencity. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Es dauert seine Zeit, bis so ein neuer Stadtteil funktioniert. Andererseits darf man nicht vergessen, dass Denkmalschutz nicht nur Sache des Gesetzgebers ist, er greift ja auch massiv ins Privateigentum ein.
Herr Stüven, es gibt inzwischen 3000 sogenannte erkannte Gebäude, die nach dem neuen Gesetz einen höheren Schutzstatus haben. Wie gehen Vermieter und Eigentümer damit um?
Stüven: Es herrscht große Unsicherheit. Es kann ja sein, dass ich qua Gesetz plötzlich in einem Denkmal lebe, ohne es zu wissen. Natürlich haben die Menschen Angst, was darf ich noch. Gerade sind die Handwerker bestellt, um neue Fenster einzubauen. Ist das noch zulässig? Aber ich denke, das ist nur eine Übergangszeit und ansonsten eine Frage der Aufklärung. Ich glaube nämlich, dass das neue Prinzip gegen die Verfassung verstößt. Aber darüber habe ich mich mit Herrn Hesse schon genug gestritten. Vielleicht sollte man verfassungsrechtlich klären lassen, dass Gesetze dazu da sind, den Bürger vor dem Staat zu schützen und nicht um die Verwaltung zu schützen und den Bürger zu belasten.
Hesse: Auch wenn ich mich wiederhole, Herr Stüven: Hamburg ist das 13. Bundesland, dass das Gesetz eingeführt hat. Wäre mir neu, dass das grundgesetzwidrig ist …
Stüven: Nur weil alle bei Rot über die Ampel laufen, heißt es ja auch nicht, dass es erlaubt ist …
Wurde schon geklagt?
Hesse: Nein. Es gab Versuche. Natürlich greifen wir mit dem Denkmalschutz ins Eigentum ein. Im öffentlichen Interesse beschränken wir diese Verfügungsgewalt. Deshalb gibt es eine strenge Auswahl. Das neue Gesetz ist also keine kalte Enteignung!
Das Problem werden wir in dieser Runde nicht lösen können ...
Götsch: Es gab ja eine Expertenanhörung. Professor Greipel aus Bayern, der sich seit 40 Jahren mit dem Thema beschäftigt, sagt zu Recht, dass es mehr Aufklärung zu dem Thema bedarf. Juristisch ist das Gesetz wasserdicht.
Kosok: Zur juristischen Sachlage kann ich nichts beitragen. Aber ein besserer Denkmalschutz im Sinne von Schutz und Sicherung charakteristischer Stadtprägung ist natürlich im Sinne von uns allen. Wenn Besucher sagen, dass Hamburg eine der schönsten Städte Deutschlands ist, dann sind das positive Gefühle, die diese Stadt hervorbringt. Ohne die gebaute Charakteristik gäbe es sie nicht. Deshalb ist Denkmalschutz gut für die Identität Hamburgs.
Wie passt dazu, dass die City-Hochhäuser, obwohl denkmalgeschützt, abgerissen werden sollen? Und das ist nur ein Beispiel von vielen aus der Vergangenheit. Geht der Staat willkürlich mit seinem Denkmalschutzauftrag um?
Hesse: Ende Juli, Anfang August wird die Stadt Rechenschaft über ihre staatlichen Denkmäler ablegen. Aber diese Auseinandersetzung, was darf der Staat, was nicht, ist nicht neu. Doch trotz aller Diskussionen, meist kriegen wir es für alle Beteiligten ziemlich gut hin.
Konkret gefragt: Werden die City-Hochhäuser abgerissen?
Hesse: Es gibt keinen Abbruch-Antrag. Wenn etwas passiert, ist es eine politische Entscheidung.
Rüther: Entscheidend ist doch, was die handelnden Personen aus dem Denkmalschutz machen. Natürlich darf es keine Willkür geben. Und es hilft auch nicht weiter, wenn vom Schreibtisch aus entschieden wird, diese Wand darf nur ochsenblutrot gestrichen werden.
Dann brauchen wir einen Denkmalschutz, der losgelöst ist von persönlicher Meinung und Zeitgeist?
Rüther: Man muss Bedingungen schaffen, die nachvollziehbar sind. Und nicht Ermessensentscheidungen treffen…
Stüven: Jetzt muss ich aber mal eine Bresche für den Denkmalschutz schlagen. Es geht nicht darum, Menschen mit Ansprüchen zu bedienen. Baukultur muss Bestand haben.
Welche Rolle spielt dabei die Internationale Bauausstellung? Zeigt sie den Zeitgeist der Zukunft?
Hellweg: Natürlich ist so eine IBA ein Motor für die Stadtentwicklung, aber ebenso ist sie eine laborhafte, experimentelle Konzept-Disziplin. Sie zeigt den Wohnraum gebaut nach den Bedürfnissen der Menschen für viele Jahre antizipiert. Unser Thema ist: Wie wollen und werden wir leben.
Kosok: Das Gänge-Viertel und seine Rettung vor dem Abriss ist so etwas wie ein Hamburger Wunder. Wenn die Protestkultur nicht so ausgeprägt wäre, gäbe es das Gängeviertel nicht mehr. Das gilt auch für andere Ensemble. Grundsätzlich finde ich aber, dass gerade die Bewegungen einer Stadt, auch baulich gesehen, sie spannend machen. Im Kampf der Interessen sollten wir deshalb mehr darauf setzen, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen alle überleben können. Es hilft nicht weiter, alles auf die böse Politik, die bösen Besetzer oder die bösen Grundeigentümer zu schieben.