In Hamburg betreut eine Vollzeitkraft rein rechnerisch mehr als fünf Ganztagskinder in der Krippe. Mit dieser Betreuungsquote ist Hamburg das Schlusslicht der westlichen Bundesländer
Hamburg/Gütersloh. Es fehlt an Erzieherinnen in Hamburg. Auf diese knappe Formel bringt die Bertelsmann Stiftung die Ergebnisse ihrer jüngsten Studie über die Betreuungsquote in den Krippen der Hansestadt. Die Quote liegt bei eins zu 5,2.
Das bedeutet, dass eine sogenannte Vollzeitkraft rein rechnerisch mehr als fünf Ganztagskinder betreut. Damit ist Hamburg Schlusslicht der westlichen Bundesländer, wo im Schnitt 3,7 Kinder pro Erzieher betreut werden. Im Vergleich zu den ostdeutschen Ländern haben die westdeutschen traditionell eine bessere personelle Ausstattung. Doch nun konnte sogar Thüringen ein mit einem Wert von eins zu 5,0 eine bessere Quote aufweisen als Hamburg.
Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt einen Personalschlüssel von eins zu drei. Bislang erfüllt nur Bremen diesen Wert, wo ein Erzieher im Durchschnitt für 3,1 Kinder verantwortlich ist. Die Autoren der Studie berufen sich auf Untersuchungen, wonach bessere Personalschlüssel mehr „bildungsanregende Interaktion und Aktivitäten für Kinder“ ermöglichten. Zudem habe sich gezeigt, dass Kinder ihre sprachlich-kognitiven und sozialen Fähigkeiten besser entwickelten, wenn sich mehr Erzieher um sie kümmerten. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, mahnt: „Der notwendige Ausbau der Kita-Plätze darf nicht zulasten der Qualität gehen. Die unter Dreijährigen finden in Hamburg schon heute alles andere als optimale Bedingungen.“
Die Sozialbehörde verweist auf den massiven Ausbau der Kitas in Hamburg. Die Stadt gebe pro Kind unter sechs Jahren nach Berlin so viel Geld aus wie kein anderes Bundesland, nämlich 4411 Euro pro Jahr. Die Ausgaben in der Kindertagespflege haben sich laut Nicole Serocka, Sprecherin der Behörde, in den vergangenen zehn Jahren auf 475 Millionen Euro pro Jahr mehr als verdoppelt. Die Hansestadt stehe aus ihrer Sicht im Bundesvergleich vorbildlich da. 35,8 Prozent aller unter drei Jahre alten Kinder in Hamburg würden in einer Krippe betreut. Das sei mehr als der Bundesdurchschnitt von 27,6 Prozent. „Auch wenn ein solcher Wert wie von der Bertelsmann Stiftung aus pädagogischer Sicht wünschenswert sein mag, kann er derzeit von keinem Bundesland mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen realisiert werden.“
Und wie kommen die Krippen mit einem Personalschlüssel von eins zu fünf um? Christina Koch, Leiterin der Kita „Kinderzimmer“ im Astra-Turm am Zirkusweg (St. Pauli), sagt, dass sie diesen Wert nicht überschreite. „Im Moment haben unsere drei Gruppen sogar nur acht, sechs und vier Kinder“, sagt Koch. Die Sozialpädagogin ist damit zufrieden. Es sei möglich, „pädagogisch hochwertig“ zu arbeiten. Drei Gruppen mit Kindern von sechs Monaten bis drei Jahren werden hier betreut.
Je zwei Erzieher kümmern sich um eine Gruppe. Zum Frühstück gibt es Bio-Brot, das Mittagessen wird aus der Kantine eines benachbarten Großunternehmens geliefert. Wenn sie möchten, können die Kinder nach dem Essen schlafen. Die Räume der Kita sind nach unterschiedlichen Themen konzipiert.
Etwa zweimal pro Woche wechseln die Gruppen die Räume, um Abwechslung zu schaffen. Es gibt einen Bewegungsraum mit einem Bällebad, ein Matratzenlager zum Kuscheln und ein Zimmer mit einer kleinen Kletterwand. Auf Augenhöhe der Zweijährigen sind englische Begriffe an Wänden und Möbeln angebracht, „Door“ steht da und „Shelf“. Drei der sechs Erzieher sprechen zwei Sprachen und mit den Kindern nur Englisch. Mit flexiblen Öffnungszeiten und einem 24-Stundenprogramm will die Kita auf die Bedürfnisse von Berufstätigen und Alleinerziehenden eingehen. „Im Notfall übernachten wir mit den Kindern auch hier“, sagt Christina Koch.
Auch wenn es vor Ort gut aussehen mag, die Reaktionen auf die Studie sind eindeutig. „Hamburg muss die Rote Laterne in der Krippenbetreuung dringend loswerden“, sagt Björn Stachen, Vorstand des Landeselternausschusses. Er fordert, das Kita-Plus-Programm auf die Krippen auszuweiten.
Bislang erhalten damit lediglich Kitas in sozial benachteiligten Stadtteilen einen höheren Betreuungsschlüssel. Christoph de Vries, familienpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion sagt: „Wer eine gute frühkindliche Betreuung will, muss dafür auch Geld investieren. Der Senat setzt einseitig auf kurzsichtige Beitragsentlastungen, anstatt der Verbesserung der Betreuungsqualität den Vorzug zu geben.“
Christiane Blömeke (Grüne) sieht sich mit der Bertelsmann-Studie in ihrer Kritik bestätigt. „Die Krippen-Qualität ist das Stiefkind der Senatspolitik. Der Senat ruht sich darauf aus, beim Krippenausbau einen Spitzenplatz zu belegen.“ Finn Ole Ritter (FDP) sagt: „Bisher ist der Senat nach dem Motto ‚Masse statt Klasse‘ vorgegangenen. Der Ausbau des Betreuungsangebots ging aber zulasten der Qualität.“ Und Mehmet Yildiz (Linke) befürchtet, dass der eigentliche Personalschlüssel bis zu eins zu neun betragen könne. „Dies liegt daran, dass in den offiziell angegebenen Schlüsseln weder Urlaub und Krankheit, noch Vorbereitungszeiten oder Elterngespräche berücksichtigt sind.“