Ein Harburger Ehepaar, 51 und 68, fuhr zur künstlichen Befruchtung nach Tschechien. Jetzt ist der kleine Kay Iulius viereinhalb Monate alt und die Dörings erzählen ihre ungewöhnliche Geschichte.
Harburg. Wenn sie ihm das Fläschchen macht, muss Christiane Döring die Brille abnehmen. Altersweitsicht. Mit zusammengekniffenen Augen fixiert die 51-Jährige die Abmessstriche auf der Plastikflasche, füllt abgekochtes Wasser ein und gibt Löffel für Löffel Milchpulver dazu. Dem viereinhalb Monate alten Kay Iulius schmeckt es. Ob es ihm auch schmeckt, die ältesten Eltern Hamburgs zu haben, kann man den kleinen Jungen mit den blaugrünen Augen zwar fragen, die Antwort ist aber immer ein Lächeln.
Dafür kann man die Eltern fragen, wie es ist, ständig für Oma und Opa gehalten zu werden: Manfred Döring, pensionierter Philosophielehrer, ist 68 Jahre alt, seine Frau Christiane, Lehrerin für Latein und Französisch, 51. „Das kommt oft vor, stört uns aber nicht. Wir bekommen meist positives Feedback, wenn wir mit unserem Kuschelchen unterwegs sind“, sagt die wohl älteste Mutter Hamburgs.
Laut Statistikamt Nord lag das Durchschnittsalter von Hamburger Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes bei 31,03. Das Alter der Väter wird nicht erfasst. Unter den 17.125 Hamburgerinnen, die 2011 ein Kind zur Welt gebracht haben, war nur eine 50-Jährige. Damit war diese Mutter ein Jahr jünger als Christiane Döring, als sie am 8. Februar 2013 ihren Sohn in der Asklepios Klinik Harburg zur Welt brachte. „Leider musste er am Ende doch per Kaiserschnitt geholt werden, die Wehen wollten einfach nicht einsetzen.“
Sie verlässt das Wohnzimmer und holt das Fotoalbum. Bilder einer erschöpften Frau, umgeben von grünen Tüchern auf einem Bett im Kreißsaal, auf dem nächsten Foto ist der Vater abgebildet. Im Arm hält er seinen Sohn. In beiden Gesichtern Falten. Manfred Döring ist gezeichnet vom Leben, Kay Iulius startet erst ins Leben. Das Ehepaar aus Harburg will kinderlosen Paaren Mut machen. „Wir wollen alten, aber auch gleichgeschlechtlichen Paaren zeigen, dass es immer Wege gibt, auch wenn in Deutschland vieles verboten ist“, sagt Christiane Döring. Deshalb wollen sie ihre Geschichte erzählen.
Es ist eine Geschichte, die von großer Hoffnung und großer Enttäuschung erzählt, von kleinen Erfolgen und großen Rückschlägen. Und es ist eine Geschichte, die letztlich doch ein gutes Ende nimmt. Als die Dörings ihre Geschichte erzählen, hält die 49 Jahre alte Freundin Gülmira aus Kirgistan das Baby des Paares im Arm. Die befreundete Lehrerin hat selbst zwei Kinder großgezogen und gibt jetzt den Dörings Tipps. Nachhilfe für ein Lehrerpaar.
Ein Paar, das gern Klartext redet: „Mein Mann ist zeugungsunfähig, und meine Hormone waren auch nicht mehr so dolle.“ Neben ihr auf der durchgesessenen Couch mit Blumenmuster sitzt Manfred Döring und nickt. 20 Jahre lang haben sie „es versucht“ und die Hoffnung nicht aufgegeben. Doch Christiane Döring wurde einfach nicht schwanger.
So wie den Dörings geht es 15 Prozent aller Paare in Deutschland. Sie bleiben ungewollt kinderlos. „Etwa vier Millionen Menschen leiden an dem Schicksal der Unfruchtbarkeit“, sagt Professor Christoph Keck, Leiter des Fachbereichs Gynäkologie am Endokrinologikum Hamburg.
Drei Viertel aller Deutschen unter 50 Jahren wünschen sich Kinder. Obwohl die Geburtenraten sinken, bleibt der Wunsch, Nachwuchs zu bekommen, ein Lebensziel. Viele wollen zunächst medizinisch abklären lassen, dass sie Nachwuchs bekommen können. Und wenn es dann einfach nicht funktioniert, leiden die Paare im Verborgenen. Wie die Dörings trauen sich viele erst nach einer quälend langer Zeit aus dem gesellschaftlichen Abseits.
Zwar gilt Zeugungsunfähigkeit als medizinisch behandelbar, aber sie ist noch immer ein Tabu. Und das, obwohl mehr als 50 Prozent der über 35-Jährigen mit Kinderwunsch eine künstliche Befruchtung nutzen. Vor 15 Jahren waren es noch weniger als 40 Prozent. Auch Christiane Döring und ihr Mann wagten den Schritt und besuchten 2008 zum ersten Mal das Endokrinologikum Hamburg. Und zum letzten Mal. Wie die Ärzte mit ihnen umgegangen seien, das habe ihnen gar nicht gefallen. „Sie haben gleich zu mir gesagt, dass sie das nicht machen könnten. Meinem Mann haben sie nach einem Spermiogramm eine Krebsvorsorgeuntersuchung empfohlen“, sagt Christiane Döring empört. „Da sind wir geflohen.“
Die Dörings ziehen sich wieder zurück in das gesellschaftliche Abseits. Zurück in ihre abbezahlte Reihenhaushälfte in einer beschaulichen Seitenstraße neben der Technischen Uni Harburg. Im Verborgenen suchen sie nach Lösungen, um sich ihren Kinderwunsch doch noch zu erfüllen. „Wir haben irgendwann auch versucht, ein Kind zu adoptieren“, sagt Christiane Döring. Die Organisation Help a Child habe auf ihr Schreiben aber nur geantwortet: „Es tut uns leid, Sie sind zu alt. Wir sind eine seriöse Organisation.“
Das war 2010, als das schlimme Erdbeben Haiti erschüttert hatte. „Ich hätte ja sogar perfekt Französisch sprechen können mit dem Kind.“ Dass es allein an ihrem hohen Alter scheitern sollte, das hat sie nie akzeptiert wollen. Im Internet finden die Dörings Organisationen, die kinderlosen Paaren aus ganz Deutschland helfen. Die Dörings, die der Schulmedizin misstrauen, entscheiden sich für die letzte Möglichkeit, sich den Kinderwunsch doch noch zu erfüllen. „Wir waren auf Fremdmaterial angewiesen – wir brauchten nicht nur einen Samenspender, sondern auch eine Eizellenspenderin“, sagt Christiane Döring. Dass Männer in Deutschland legal spenden dürfen, Frauen aber nicht, können die Dörings nicht verstehen, sagen sie.
Ähnlich sieht das auch Professor Christoph Keck vom Zentrum für Fortpflanzungsmedizin in Hamburg. Der Leiter des Fachbereichs Gynäkologie am Endokrinologikum Hamburg findet das Verbot der Eizellenspende in Deutschland unsinnig.
„Wir kämpfen seit Jahren diesbezüglich gegen die veralteten Regelungen des Embryonenschutzgesetzes von 1991, in dem das Verbot verankert ist. Als Arzt mache ich mich angreifbar, wenn ich verzweifelten Frauen sagen würde, dass die Eizellenspende in Ländern wie Spanien, Tschechien, Russland legal ist“, sagt Keck. Dabei sei die Eizellenspende in kontrolliertem Umfeld genauso vertretbar wie die Samenzellenspende, aber Deutschland sei da „rückständig“. Bei Frauen ab 45 Jahren sei die Eizellenspende aber oft der einzige Weg, um sich noch den Kinderwunsch zu erfüllen. „In der Zeit des Internets ist es Augenwischerei, dass schon die Beratung durch einen Arzt wie das Anstiften zu einer Straftat gewertet wird. Und das, obwohl eine medizinisch fundierte Beratung auch aus ethischer Sicht sehr wichtig wäre“, sagt Keck.
Auch die Dörings suchten ohne medizinische Beratung nach einer geeigneten Organisation. „Wir haben einfach einen Preis-Leistungs-Vergleich gemacht und dann die Organisation ausgewählt, die am wenigsten Untersuchungen von uns verlangt hat.“ Das ist der Grund, warum sich die Dörings für Tschechien entschieden haben. Eine Auswahl nach diesen Kriterien findet der Hamburger Experte für Fortpflanzungsmedizin unverantwortlich. „Die Hightech Medizin in Anspruch zu nehmen, sich aber vor sinnvollen und medizinisch indizierten Vorsorgeuntersuchungen zu drücken, das halte ich für fahrlässig“, sagt Professor Christoph Keck.
Die Dörings schwärmen von dem unkomplizierten Ablauf der Behandlung und natürlich von dem Ergebnis. Die Kosten: 7000 Euro. Während der kleine Kay Iulius sein Fläschchen wegputzt, erklärt seine Mutter Fachbegriffe aus der Fortpflanzungsmedizin. „Die In-vitro-Fertilisation ist einfach eine künstliche Befruchtung im Reagenzglas. In unserem Fall wurde eine Eizelle von einer Tschechin mit einem Samen eines Tschechen befruchtet“, sagt Döring.
Das Ehepaar aus Harburg hat unterschrieben, nie nach der Identität der Spender zu suchen. „Es sollen Studenten sein, haben wir gehört. Sicher ist, dass beide unter 25 Jahre alt sind.“ Mehr wird der kleine Kay Iulius wohl nie über seine leiblichen Eltern erfahren. Um ihren Sohn auszutragen, musste sich Christiane Döring Hormone spritzen, die ihren eigenen Haushalt völlig abschalteten. „Gut, dann melden wir uns, wenn die Eizelle befruchtet ist“, sagten die Tschechen. Nur vier Tage später kam der Anruf. Die Dörings fuhren mit dem Zug nach Tschechien. Der Eingriff, bei der die befruchtete Eizelle (nach der ersten Zellteilung als Blastozyste bezeichnet) mit einem Schlauch in ihre Gebärmutter eingesetzt wurde, dauerte nur zehn Minuten. „Dann musste ich noch eine halbe Stunde liegen bleiben, damit sich die Eizelle einnistet“, sagt Döring.
14 Tage später machte sie zu Hause den Schwangerschaftstest und weckte ihren Mann. „Du, ich glaub, das ist was geworden. Das habe ich damals, glaube ich, gesagt.“
Doch Dörings Geschichte ist auch eine der großen Ängste und Zweifel. „Ich konnte es gar nicht glauben, deshalb habe ich das nochmals im Labor mit einem Bluttest bestätigen lassen.“ In der Schwangerschaft ohne Komplikationen bleibt den Dörings viel Zeit für ausführliche Namenslisten. „Wir haben erst mal 150 Namen notiert, die in die engere Auswahl kamen. Vier sind es jetzt geworden“, sagt Christiane Döring. Ihr Sohn heißt: Kay Iulius Donatos Manfredo Döring. „Kay haben wir in Anlehnung an Cäsar gewählt, und Donatos ist das Partizip Perfekt Passiv des lateinischen Verbs donare. Das bedeutet spenden“, sagt sie und guckt ihren Mann Manfred an. „Donatos Manfredo“ ist „dem Manfred geschenkt“.
„Mit einem Kind sieht man alles neu, ein großes Glücksgefühl“, sagt Manfred Döring. Einige seiner ehemaligen Kollegen hätten ihm nicht gratuliert. Er findet es ungerecht, dass seiner Frau und ihm Egoismus vorgeworfen wird. „Das ist doch unfair. Als ob wir kein Kind mehr aufziehen könnten.“
Um ihr hohes Alter machen sich die Dörings aus Harburg keine Sorgen. „Wir sind doch beide top gesund. Und falls doch mal was sein sollte, haben wir alles schon testamentarisch geregelt“, sagt Christiane Döring. Das Akademikerpaar sieht das Leben pragmatisch. „Wenn wir beide sterben, wird unser Sonnenschein bei einer guten Freundin aufwachsen.“
Auch wenn Christiane Döring gerade erst lernt, wie man eine Datei an eine E-Mail anhängt, macht sich die 51-Jährige keine Sorgen, dass sie ihrem Sohn nichts beibringen können. „Am Computer können wir ihm später zwar nichts erklären, aber dafür gibt es ja Computerunterricht in der Schule“, sagt die Mutter, die plant, ihrem Sohn ihr eigenes Hobby nahezubringen: Christiane Döring ist im Stenografen-Verein Winsen.