Feuergeruch weht aus dem Schmiedehaus, Hufengeklapper hallt über das Kopfsteinpflaster, ein Mädchen hütet Gänse. Willkommen im 19. Jahrhundert!
Hamburg. Feuergeruch weht aus dem Schmiedehaus, Hufengeklapper hallt über das Kopfsteinpflaster, ein Mädchen hütet Gänse. Mägde mit Kopftüchern und Leinenschürzen rücken mit einem hölzernen Milchwagen an, haben Eier und Blumen in geflochtenen Körben dabei. Frauen mit Sonnenschirmen, Strohhüten, Kostümen und Kopfschmuck steigen aus einer Kutsche. Willkommen im 19. Jahrhundert!
So wie damals bei der großen Landlustwelle Bürger auf Bauern trafen, landen Besucher des Museumsdorfs Volksdorf heute mitten in der Vergangenheit, treffen auf das Leben ihrer Vorfahren. Das Freilichtmuseum und der Verein „De Spieker“ feiern am Sonntag, 30. Juni, 50. Jubiläum mit einem großen Festzug in historischen Kostümen und Arbeitskleidung. Auch Dorothee Stapelfeldt (SPD), Hamburgs zweite Bürgermeisterin, wird in einer Kutsche vorfahren. Die Welt hat sich vorab schon unter die Mägde und Bürger gemischt.
Sieben historische Gebäude, teils aus dem 17. Jahrhundert, allerlei Gerät und viele Tiere vermitteln eine Vorstellung davon, wie es vor hundert Jahren auf dem Lande aussah. Ein Hahn kräht, Schafe und Ziegen grasen, zwei Schleswiger Kaltblüter trotten über die wilde Wiese – es dürfte wenige Plätze geben, an denen man der Großstadt ferner ist.
Museumswart Egbert Läufer lebt in dieser Idylle. Das Leben seiner Vorfahren ist sein Alltag. Den Reet gedeckten Harderhof, erbaut 1757, teilt er sich mit zwei Pferden, zwei Katzen, einem Schäferhund, vier Schafen und fünf Ziegen mit acht Jungtieren. Er lebt oben in einer Wohnung, die Tiere sind unten im Stall untergebracht. Im Sommer sind sie großteils draußen. Insgesamt gehören fünf Hektar zum Museumsdorf. Das Futter für die Tiere muss Läufer selbst auf dem Feld anbauen und ernten. Heute hat er 130 ehrenamtliche Helfer. Und das Museumsdorf hat einen zweiten Angestellten, den Kutscher Maik Sonnenberg. Das war nicht immer so.
Angefangen hat Egbert Läufer vor 20 Jahren. „Das war ein Hausmeister-Job“, sagt der 49-Jährige. Eingezogen ist er mit seiner Frau, doch das Landleben wie vor 100 Jahren ist nichts für jeden. „Der Kleiderschrank hängt voller Duftsäckchen, weil der Geruch sehr in die Klamotten zieht“, sagt Jessica Läufer. Die 19-Jährige Tochter des Museumswarts ist in der Vergangenheit aufgewachsen. „In der Pubertät fand ich es schon manchmal doof und wollte hier nur weg“, gibt die gelernte medizinische Fachangestellte zu, die inzwischen in Bergstedt wohnt.
Heute kommt sie aber jeden Tag nach der Arbeit zurück zu ihren Wurzeln. Und: „Wenn mein Papa in den Ruhestand geht, würde ich den Job gerne übernehmen“, sagt Jessica. Das nimmt man ihr glatt ab, wenn man gesehen hat wie sie die kräftigen Pferde vor die historische Kutsche gespannt hat. Nicht ohne Stolz sagt ihr Vater über sie: „Jessica ist einfach ein Brückenkind, da treffen Welten aufeinander.“ Das Museumsdorf sei die perfekte Burn-out-Prophylaxe, sagt sie mit einem breiten Lächeln. Wenn man da arbeitet, wo andere Urlaub machen, sei es andersherum, sagt er: „Man muss auch mal raus aus der Idylle.“ Am liebsten nach Dänemark, da sei es schön ruhig. Das ist es im Museumsdorf nämlich nur selten. Besucher können einfach kommen, über das Gelände schlendern, oder eine Besichtigungstour der Häuser buchen. Eine Besucherin habe ihn mal gefragt: „Was ist denn das für ein hässliches Tier?“ Dabei zeigte die Frau auf das schwarze Gefiedertier mit dem roten Hals – ein Puter. „So etwas würde ich ja nie essen!“ Da habe Läufer sie nur gefragt, ob sie denn keine Pute esse.
„Die Leute sind sehr weit weg von ihrem Essen, wissen gar nicht mehr wo es herkommt, deshalb ist auch unsere Museumspädagogik so wichtig“, sagt Läufer. Zusammen mit der ehrenamtlichen Museumsleiterin, Karina Beuck, und weiteren Ehrenamtlichen betreut er Schulklassen und hat viel bewegt in seinem Dorf. Erst letzten Dezember hat in dem Wohnteil der Schmiede Emmis Krämerladen eröffnet. Ein liebevoll eingerichteter Gemischtwarenhändler des vorherigen Jahrhunderts. Es gibt Bonbons aus großen Gläsern, Holzspielzeug und Kinderbücher. Wolfgang Schmidt ist Rentner und steht als Ehrenamtlicher während der Öffnungszeiten Dienstag, Donnerstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr hinter der Verkaufstheke. Nebenan gibt es Kaffee, frisch gemahlen und gebrüht auf einem Herd aus dem Jahre 1905. Museumswart Läufer macht sich lieber zur Abwechslung mal einen in seiner modern ausgebauten Küche im Harderhof. Für ihn ist jede Tasse ein Ausflug in die Gegenwart.
Das Gelände ist von Dienstag bis Sonntag von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Die Häuser können im Rahmen einer Führung besucht werden, die jeweils um 15 Uhr beginnt und rund 90 Minuten dauert. Preis: 3 Euro für Erwachsene und 1 Euro für Kinder.