Weil einige Gefährdungsszenarien nicht geprüft wurden, hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig am Mittwoch die Genehmigung für das Zwischenlager im Atomkraftwerk Brunsbüttel aufgehoben.
Schleswig. Ein Gericht in Schleswig-Holstein hat dem nationalen Konsens in Sachen Atommüllzwischenlagerung einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig hob gestern die Genehmigung für das Zwischenlager im Atomkraftwerk (AKW) Brunsbüttel auf. Begründung: Einige Gefährdungsszenarien fürs Lager seien nicht geprüft worden. Ausgerechnet in Brunsbüttel sollte ein Teil des atomaren Abfalls aufgenommen werden, der derzeit in England und Frankreich aufbereitet wird. Ab 2015 sollen die 26 Castor-Behälter nach Deutschland gebracht werden.
„Das Urteil kann sich auf die aktuelle Diskussion über das Endlagersuchgesetz und die damit zusammenhängende Frage der Zwischenlagerung von Castoren aus der Wiederaufbereitung auswirken“, räumte am Mittwoch der Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne) ein. Habeck hatte sich dafür stark gemacht, dass Brunsbüttel einige der Castoren aus England und Frankreich aufnimmt. Im Zwischenlager Gorleben sollen sie nicht mehr untergebracht werden. Nur unter dieser Bedingung war die niedersächsische Landesregierung bereit, einer neuen Suche nach einem Standort für die Atommüllendlagerung unter Einbeziehung von Gorleben zuzustimmen. Peter Altmaier (CDU), der Bundesumweltminister, hatte diesen Kompromiss herbeiverhandelt. Und Robert Habeck hatte ihm dabei geholfen, indem er Brunsbüttel als Zwischenlager anbot. Habecks Bedingung: Es könne nicht Brunsbüttel allein sein, mindestens zwei weitere Länder müssten ebenfalls Müll aufnehmen. Nur eines fand sich: Die Suche nach einem weiteren Land wurde jüngst auf Anfang 2014 verschoben.
Dies ist nun alles obsolet. Das Brunsbütteler Lager hat keine Genehmigung. Stefan Mohrdiek, der Bürgermeister der Stadt, kann sich nicht vorstellen, dass man unter diesen Bedingungen weitere Castoren im AKW unterstellen kann. „Das ist vom Tisch“, sagte er. Auch andere Lager in anderen Bundesländern kämen nun nicht mehr in Frage. „Für die gilt ja auch das, was das OVG jetzt in Brunsbüttel bemängelt hat: dass es den Absturz eine A380 nicht aushalten würde.“
In der Tat ist dies eines der Hauptkritikpunkte des 4. Senats unter dem Vorsitz des Richters Dierk Habermann. Das Bundesamt für Strahlenschutz habe nicht hinreichend untersucht, welche Folgen „terroristische Angriffe unter anderem durch den gezielten Absturz eines Airbus A380 oder des Einsatzes moderner panzerbrechender Waffen der sogenannten dritten Generation für den Kläger hätten“, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts.
In der Zwischenzeit muss Brunsbüttel mit der Gewissheit leben, ein ungenehmigtes Atommülllager in der Nachbarschaft zu haben. Ober muss man es jetzt schließen? Für diese Frage ist wiederum die Atomaufsicht zuständig, und die gehört zum Kieler Sozialministerium. Derzeit gilt als wahrscheinlich, dass sie das Lager dulden wird – gewissermaßen als rechtsfreien Raum der besonderen Art.
Habeck nimmt das Urteil zum Anlass, um erneut auf die Absurdität der Situation aufmerksam zu machen. „Einmal mehr wird deutlich, in welch elende Lage uns die Atomkraft geführt hat: Wir produzieren Atommüll und wissen nicht, wohin damit. Neben der Notwendigkeit, das bestmögliche Endlager zu finden, wird einmal mehr deutlich, dass wir so wenig Atommüll wie möglich produzieren sollten und so schnell wie möglich damit aufhören sollten.“
Auch der Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat Grund, sich zu ärgern. Denn das Urteil hätte wohl auch anders ausfallen können. „Dem Gericht war ein wesentlicher Teil der Unterlagen der Genehmigungsbehörde unter Berufung auf Geheimhaltung nicht vorgelegt worden“, heißt es in der OVG-Pressemitteilung. „Wir durften nicht mehr Unterlagen vorlegen“, sagte dazu Florian Emrich, der Pressesprecher des Bundesamts für Strahlenschutz. „Das war so mit dem Bundesumweltministerium abgestimmt.“
In Deutschland gibt es derzeit drei genehmigte zentrale Zwischenlager (Gorleben/Ahaus/Lubmin) sowie zwölf Standort-Zwischenlager, die jeweils den Kernkraftwerken zugeordnet sind. Mit der Einrichtung dieser Zwischenlager wollte die damalige rot-grüne Bundesregierung unter dem Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) die Müll-Transporte in die Wiederaufbereitungsanlagen überflüssig machen. Der Müll an den Standorten der Atommeiler soll nach mindestens 30 Jahren direkt in ein noch zu bestimmendes Endlager gebracht werden.
In der Vergangenheit hatten sowohl der bayerische Verwaltungsgerichtshof wie die Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Schleswig alle Klagen von Bürgern gegen die Genehmigungen der Zwischenlager verworfen. So wie das OVG Schleswig muss laut Bundesamt für Strahlenschutz demnächst auch das OVG Lüneburg im Falle der Klage von zwei Bauern gegen das Zwischenlager am Atommeiler Unterweser auf Anweisung des Bundesverwaltungsgerichts erneut verhandeln.