Der neue Hoffnungsträger des europäischen Flugzeugbauers hat erstmals abgehoben. In Hamburg erlebten fast 10.000 Beschäftige auf Finkenwerder das Ereignis per „Public Viewing“ mit.

Hamburg Um Punkt 10 Uhr brandete Beifall auf, als der weiße, schlanke Flieger auf den beiden Großbildschirmen die Nase in den Himmel hob. Knapp 10.000 Mitarbeiter von Airbus hatten sich auf dem Hamburger Werksgelände vor der A380-Ausstattungshalle, nur wenige Meter vom Elbufer entfernt, zum Public Viewing versammelt. Viele hielten das für den Flugzeugbauer historische Ereignis mit der Smartphone-Kamera fest: Der neue Hoffnungsträger des Konzerns, der mittelgroße Langstreckenjet A350, war im südfranzösischen Toulouse zum Erstflug gestartet.

Auf Finkenwerder ruhte am Freitagvormittag ebenso wie in anderen Airbus-Werken zeitweise die Produktion. Zu Fuß und in extra für diesen Zweck gecharterten Bussen hatten sich die Beschäftigen etwa eine halbe Stunde vor dem angekündigten Starttermin auf den Weg zu der riesigen Freifläche vor den beiden, auf Lkw montierten Bildschirmen im Zehnmeterformat gemacht. Die Stimmung eines Fußballländerspiels kam zwar nicht auf. Ein besonderer Moment war es gleichwohl. „Ich bin total gerührt“, sagte der Hamburger Standortleiter Georg Mecke in einer kurzen Ansprache an die Beschäftigten, „das mit Ihnen zusammen erleben zu dürfen.“

Noch stärker bewegt zeigte sich Frank Dohrmann, Leiter der A350-Kabinenentwicklung in Hamburg: „Ich gebe zu, ich musste mir eine kleine Träne wegwischen“, sagte er. „Für jemanden, der Flugzeuge lebt, ist das der emotionalste Moment.“ Dohrmann war in den nächsten Stunden aber auch näher am Geschehen als die meisten seiner Kollegen in der Hansestadt: „Mein Team hat die Klimaanlage und die Kabinendruckregelung in dem Testjet entwickelt, und unsere Spezialisten haben während des gesamten Fluges die zum Boden gesendeten Messwerte zu diesen Systemen in einem Kontrollraum in Hamburg überwacht.“ Dies sei eine Premiere gewesen; in keinem Airbus-Programm vorher habe man diese Daten in Echtzeit auf Finkenwerder verfolgt.

Dagegen gingen die anderen Beschäftigten des Flugzeugbauers schneller wieder zur Tagesordnung über. Schon 15 Minuten nach dem Start hielten sich nur noch wenige Menschen vor den Bildschirmen auf. Die faszinierenden Videobilder aus einem kleinen Begleitflugzeug, das den A350 mit noch immer ausgefahrenem Fahrwerk in majestätischen Kurven über einer durchbrochenen Wolkendecke zeigten, bekamen sie nicht mehr mit. Die Landung etwa vier Stunden später verfolgten jedoch viele per Internet-Liveübertragung an den Arbeitsplätzen.

Zwei Piloten und vier Ingenieure waren an Bord des Jets, zur Sicherheit mit Fallschirmen auf dem Rücken. „Es ist einfach fantastisch“, jubelte Airbus-Chef Fabrice Brégier über den erfolgreichen Erstflug. Der Manager dürfte sich nicht zuletzt darüber gefreut haben, dass es nun doch noch gelang, den neuen Jet vor Beginn der für die Branche sehr wichtigen Luftfahrtmesse in Paris/Le Bourget am Montag in die Luft zu bringen. Airbus wollte denn auch nicht ausschließen, dass der Prototyp in der kommenden Woche auf den Luftweg von Toulouse nach Paris geschickt wird. „Ich könnte mir vorstellen, dass er über Le Bourget fliegt“, sagte Tom Enders, Chef des Mutterkonzerns EADS.

Selbst wenn er nicht in Paris landen wird, könnte der Flieger zu den Höhepunkten der Messe zählen und mancher Maschine auf dem Rollfeld die Schau stehlen. Enders erwartet auf der Luftfahrtschau einige Hundert Bestellungen für Airbus.

Erst kürzlich hat die Konzernspitze ihre Zielvorgabe für die Verkaufszahl 2013 von 700 auf 800 Maschinen heraufgesetzt. Enders sieht weiter Luft nach oben: „Es gibt immer noch Raum für Spontanität.“

Auch der Erzrivale Boeing hofft in Le Bourget auf neue Bestellungen. Die Amerikaner legen den Fokus bei der Bekanntgabe von Großaufträgen allerdings weniger stark als die Europäer auf solche Messen. Airbus werde sich Mühe geben, „die Fans zu unterhalten“, prophezeit Boeing-Marketingmanager Randy Tinseth, „für uns ist das eine von 52 Wochen des Jahres.“ Boeing zeigt auf der Branchenschau das von Pannen geplagte Modell 787 Dreamliner, schickt gegen den A350 aber auch eine modernisierte Variante des bewährten Zweistrahlers 777 ins Rennen.

Für beide Hersteller sind die Typen dieser Kategorie sehr wichtig: Gemessen an den für die nächsten 20 Jahre erwartete Nachfrage der Fluggesellschaften machen die mittelgroßen Langstreckenflugzeuge nach Schätzung von Airbus immerhin 44 Prozent des Marktwertes aus. Sie sind damit für das Unternehmen mindestens ebenso wichtig wie die Kurz- und Mittelstreckenjets der A320-Familie.

Bis zur ersten Auslieferung eines A350, die für die zweite Hälfte 2014 geplant ist, liegt aber noch viel Arbeit vor dem Programmteam: Mit fünf Testjets müssen 2500 Flugstunden absolviert werden, bis die neue Maschine die Zulassung erhält. Frank Dohrmann fiebert schon dem nächsten Meilenstein entgegen: Die dritte Testmaschine, die Anfang 2014 fliegen soll, enthält erstmals eine komplette Kabinenausstattung.