Der Eppendorfer Schriftsteller galt als moralische Instanz und prägte die Streitkultur der Bundesrepublik. Im Alter von 90 Jahren verstarb der ETV-Fan und „Redner der Nation“ nach langer Krankheit.
Hamburg/Tübingen. Der Hamburger Publizist und Philologe Walter Jens ist tot. Der berühmte Schriftsteller, der in Eppendorf aufwuchs, sei am Sonntagabend im Alter von 90 Jahren gestorben. Das bestätigte sein Sohn Tilman Jens am Montag. Jens, unter anderem Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg, war seit längerem demenzkrank, konnte schon seit Jahren nicht mehr reden und nicht mehr schreiben.
Der emeritierte Tübinger Rhetorikprofessor und ehemalige Präsident der Berliner Akademie der Künste war in Wort und Schrift als kämpferischer Wächter der Demokratie hervorgetreten und hatte wie kaum ein anderer die tolerante Streitkultur in der Bundesrepublik geprägt. Viele sahen in Jens (wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann zum 85. Geburtstag) eine „moralische Instanz“ und einen engagierten Demokraten. Die Berliner Akademie der Künste ehrte ihn als einen Autor, Rhetoriker und Kulturpolitiker, der Geschichte geschrieben habe.
Jens, der zunächst als Wissenschaftlicher Assistent und später als Honorarprofessor an der Uni Hamburg tätig war, galt als die Verkörperung des klassischen „homme de lettre“ und war gleichzeitig ein engagierter Radikaldemokrat in Gestalt des ungemein belesenen „gelehrten Dichters“. Intellektuelle müssten sich einmischen und warnen, lautete sein Credo. Er demonstrierte gegen die Nachrüstung in der Bundesrepublik ebenso wie gegen den Irak-Krieg und meldete sich auch zur Rechtschreibreform und zur deutschen Einheit zu Wort. „Juden und Christen in Deutschland“ und „Feldzüge eines Republikaners“ heißen Werke von Jens und könnten für sein Leben stehen, das er in den Dienst der Aufklärung stellte. Ein Schatten fiel auf seine Vita, als 2003 seine NSDAP-Mitgliedschaft bekannt wurde, an die er sich nach eigener Aussage nicht mehr erinnern konnte.
ETV-Sturm blieb Jens im Gedächtnis
Sein Abitur machte Jens 1941 am Hamburger Johanneum, studierte anschließend Klassische Philologie und Germanistik in Hamburg und Freiburg. Von 1963 bis 1988 hatte Jens den bundesweit ersten Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik an der Eberhard-Karls-Universität-Tübingen inne. Von 1976 bis 1982 war er Präsident des PEN-Zentrums der Bundesrepublik und von 1989 bis 1997 Präsident der Berliner Akademie der Künste, deren Ehrenpräsident er wurde.
Seit 1947 schrieb Jens Romane, Essays, Dramen und Hörspiele und gehörte der legendären Schriftsteller-„Gruppe 47“ an. Er erzählte die Odyssee nach, übersetzte den Römerbrief des Neuen Testaments, widmete sich dem „Fall Judas“ und schrieb zuletzt zusammen mit seiner Frau Inge Jens, die auch die Tagebücher von Thomas Mann edierte, die Bücher „Frau Thomas Mann“ und „Katias Mutter“, die Bestseller wurden.
Der Literaturprofessor galt zudem als leidenschaftlicher Fußballfan, war Mitglied im Eimsbüttler TV. „Wenn ich den letzten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler Sturm noch aufzählen können - Dehrle Ahlers, Otto Rohwedder, Herbert Panse, Kalli Mohr und Hanno Maack“, wird Jens auf der Internetseite des ETV zitiert.