John Neumeier zählt zu den renommiertesten Choreographen weltweit. Seit 40 Jahren leitet der gebürtige Amerikaner das Hamburg Ballett. Auch mit 71 Jahren denkt er nicht ans Aufhören.
Hamburg. John Neumeier hat in der Ballettwelt alles erreicht, was ein Choreograph erreichen kann: Mit 27 Jahren wird der gebürtige Amerikaner der jüngste Ballett-Direktor Deutschlands, heute mit 71 Jahren ist er der dienstälteste Ballettchef der Welt. Seine mehr als 140 Choreographien sind längst Klassiker und werden von Compagnien weltweit getanzt. Unzählige Auszeichnungen folgen, 2007 wird er als einer der wenigen Künstler zum Ehrenbürger der Stadt Hamburg ernannt. Passend zu seinem 40. Jubiläum mit dem Hamburg Ballett erhielt er vor wenigen Tagen die höchste Auszeichnung, die in der Welt des Tanzes vergeben wird: den „Benois de la danse“, den Ballett-Oscar für sein Lebenswerk.
Ans Aufhören denkt Neumeier, der nur für seine Kunst lebt, dennoch nicht. „Wenn man für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird, hat man das Gefühl, es ist zu Ende. Aber das Leben geht weiter“, sagt der Ballett-Chef im dpa-Interview. In wenigen Tagen starten die 39. Hamburger Ballett-Tage, der Höhepunkt der Jubiläums-Spielzeit. „Die Ballett-Tage sind ein Versuch, ein Resümee dieser 40 Jahre zu zeigen.“ 23 verschiedene Ballette stehen vom 9. bis 30. Juni auf dem Programm – ein neuer Rekord. „Viele Kollegen aus der ganzen Welt halten mich für verrückt. Kaum eine Compagnie auf der Welt wagt ein so großes Ballett-Festival“, meint der Ballett-Chef.
Zu sehen sind Klassiker des Hamburg Balletts wie die „Die Dritte Sinfonie von Gustav Mahler“, „Ein Sommernachtstraum“, „Nijinsky“ oder „Die kleine Meerjungfrau“. Ein Höhepunkt neben der „Nijinsky-Gala“ zum Abschluss ist sicherlich auch die vierstündige „Matthäus-Passion“ im Michel, die 1980 für hitzige Debatten sorgte. „40 Jahre Hamburg Ballett, das ist für mich nicht zu fassen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich irgendwo 40 Jahre gewesen bin, sondern dass ich 40 Jahre unterwegs gewesen bin hier in Hamburg mit dieser Compagnie“, meint der Choreograph rückblickend.
Es begann 1973 mit einem Eklat. Der 31-Jährige hatte es gewagt, die Verträge von 16 Tänzern nicht zu verlängern, was lautstarken Protest hervorrief. Erst langsam eroberte er die Herzen der Hanseaten. Seine erste Ballett-Werkstatt, eine Art öffentliches Training, habe das Eis gebrochen, erinnert sich Neumeier: „Als ich versuchte, emotional dem Publikum „Klassische Technik in der modernen Choreographie“ zu erklären, hatte ich auf einmal meinen Text vergessen, entschuldigte mich, und während ich meine Notizen suchte, wurde ich vom warmen Applaus des Publikums überrascht. Mein Herz ging auf – für das kühle nordische Publikum, vor dem man mich gewarnt hatte.“ Trotz verlockender Angebote hält er Hamburg die Treue.
Aufgewachsen ist der Kapitänssohn mit einer polnischen Mutter und einem deutschen Großvater in Milwaukee. Bereits als kleiner Junge wollte er Tänzer werden. Ein erstes Engagement führt ihn 1960 zu Sybil Shearer nach New York, 1962 geht Neumeier an die Royal Ballet School nach London. Marcia Haydée und Ray Barra holen ihn nach Stuttgart, wo John Cranko die Ballettcompagnie der Staatsoper neu formierte. Er unterstützte ihn in seinem Wunsch, selbst zu choreografieren – mit 27 Jahren wird Neumeier in Frankfurt jüngster Ballettdirektor Deutschlands. August Everding, Intendant der Hamburger Staatsoper, holt den jungen Amerikaner 1973 an die Elbe.
„Ich bin so lange in Hamburg geblieben, weil ich immer das Gefühl hatte, in Bewegung zu sein und weiterzukommen“, sagt Neumeier. 1985 handelt er einen neuen Vertrag aus, in dem ihm auch der Umbau einer alten Schule für sein Ballettzentrum mit Internat zugesichert wurde. Im Herbst 1989 bezogen die Compagnie und die 1978 gegründete Ballettschule das „Ballettzentrum Hamburg – John Neumeier“, eine der wichtigsten Ausbildungsstätten für Ballettnachwuchs weltweit. 2006 gründet Neumeier die in seinem Haus beheimatete und nach ihm benannte Stiftung, 2010 das Bundesjugendballett. Noch nicht erfüllt hat sich sein Wunsch nach einem Ballettmuseum, das seine weltweit einzigartige Sammlung zur Geschichte des Tanzes beherbergen soll.