Die Hochbahn hatte viel vor, plante Strecken, baute komplette Tunnel - und doch wurde nichts aus den U-Bahn-Verbindungen nach Lurup oder Winterhude, nach Bramfeld oder Eppendorf.

Hamburg. Jeden Morgen der gleiche Ärger: Der Frust fährt mit. Wer sich mit dem Bus oder Auto aus Richtung Bramfeld oder Lurup gen Innenstadt quält, schimpft auf die Stadtplaner und Verkehrspolitiker vergangener Jahrzehnte. Nach Feierabend wiederholt sich der Verdruss - nur umgekehrt. In Hamburg gehört Stau zum Alltag. Vor allem in diesen Tagen und in den kommenden Wochen, wenn diverse Großbaustellen die Plage noch steigern. Andere haben mehr Glück - und eine U- oder S-Bahn-Station in der Nähe der Wohnung. Wohl dem, der freie Fahrt genießen darf.

Ein Blick auf das Streckennetz des Hamburger Verkehrs-Verbundes demonstriert das Dilemma. Es gibt viele weiße Flecken, im Volksmund U-Bahn-Löcher genannt. Nicht nur Bramfeld und Lurup, sondern auch große Teile Winterhudes, Jenfelds, Finkenwerders oder beispielsweise Rönneburgs sind vom Schienenverkehr abgeschnitten. Für viele Bürger dort ist es kein Trost, dass der Senat für das Projekt Busbeschleunigung 259 Millionen Euro eingeplant hat. Wer auf der Straße aktuell von Altona via Hallerstraße zum Rotherbaum will, hat eine Vorahnung, was uns noch erwartet. Es geht schlicht und ergreifend geradeaus nicht weiter.

Nicht weiter - das ist auch das Stichwort für einen stillgelegten U-Bahn-Tunnel unter dem Hauptbahnhof. Als Filmkulisse - so beispielsweise im in der ARD ausgestrahlten Fernseh-Thriller "Blutadler" - taugt der Tunnel schon, für die Fahrten von U-Bahnen hingegen nicht. Künstler haben deshalb die tote Röhre mit Sternen verziert. Sieben dieser "Himmelsstücke" stürzen - im übertragenen Sinne - aus allen Wolken. "Firmament" heißt das mehr oder weniger unbekannte Werk unter der Erde.

Nur noch ältere Hanseaten erinnern sich: Die Haltestelle Hauptbahnhof Nord wurde Ende der 1960er-Jahre mit vier Bahnsteigröhren ausgestattet, von denen derzeit nur die beiden mittleren für die Linie U 2 genutzt werden. Die beiden anderen wurden vorsorglich gebaut - für eine ursprünglich geplante Bahnlinie zwischen Winterhude und Lurup. Die Anwohner dort blicken, um im Bild zu bleiben, nach wie vor in die Röhre. Der ungenutzte Tunnelbereich ist teilweise betriebsfertig ausgestattet und sogar mit Werbeflächen plakatiert. Seit Eröffnung der Haltestelle am 29. September 1968 herrscht dort Ruhe. Verschlossen. Fast vergessen.

Doch es gibt noch weitere Mahnmale, die auf wieder eingestellte Versuche verweisen, das gesamte Stadtgebiet schienentechnisch anzubinden. Guten Willens wurde geplant, gebuddelt und gebaut.

Hamburger Schildbürgerstreiche gab es schon immer. Wie die Haltestelle Beimoor im Norden der Stadt beweist. 1927 fertiggestellt, sollte sie Endpunkt der Linie U 1 nach Großhansdorf werden. Die dort vorgesehene Siedlung wurde nie gebaut. Die Haltestelle indes steht noch, Oberbau und Brückenwiderlager inklusive. Die ehemalige Bahnhofshalle ist zugemauert, das Gebäude auf dem Damm abgewrackt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde es von Anwohnern abgerissen, um Holz zum Verfeuern zu haben.

Eine weitere Bahnlinie fiel den Bombenangriffen zum Opfer. In der Nacht zum 28. Juli 1943 wurde die S-Bahn-Strecke von der Innenstadt über Spaldingstraße, Süderstraße und Brückenstraße nach Rothenburgsort fast komplett zerstört - und nie wieder aufgebaut. Übrig blieben 300 Meter Tunnel. In der Nähe des Besenbinderhofs ist die Öffnung noch heute zu erkennen.

Jüngeren Datums sind bis vor Kurzem tote Gleise am Jungfernstieg. Auch sie wurden für die Ende der 60er-Jahre geplante Bahnverbindung nach Lurup gebaut. Zwei von ihnen werden neuerdings für die U 4 in die HafenCity genutzt.

Zum Bedauern der Bewohner im Westen Hamburgs wurde das ursprünglich vorgesehene Projekt dieser Schnellbahn nach Lurup irgendwann still und heimlich beerdigt. Dabei hatte der damalige Wirtschaftssenator Helmuth Kern im September 1973 klipp und klar erklärt: "Die Luruper erhalten eine U-Bahn!" Umgerechnet 250 Millionen Euro sollte die Linie kosten - rund ein Drittel mehr als die von der Bundesbahn favorisierte S-Bahn. Aus beiden Ideen wurde nichts.

Wie so oft in der Geschichte Hamburgs. Mit immensem Aufwand erarbeitete Streckennetze, zum Beispiel aus den Jahren 1969, 1973 und 1983, sollten die weißen Löcher im Schienenplan schließen. Die Winterhuder, Bramfelder und Steilshooper warten immer noch auf Gleichbehandlung im öffentlichen Nahverkehr. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass es auch im Erdreich unterhalb des Einkaufszentrums Steilshoop eine unbekannte Haltestelle gibt. "Wir kennen diese Geschichten", sagt Hochbahnsprecher Christoph Kreienbaum. So heftig seien die Gerüchte gewesen, dass wider besseres Wissen nachgeforscht wurde. Indes hätten sich "keinerlei Hinweise" wie Pläne oder Bauunterlagen ergeben.

Dafür existieren die U-Bahn-Löcher. Dies sind Orte, die nicht im 400- bis 600-Meter-Radius von Schienen liegen. Der CDU-Verkehrspolitiker Klaus-Peter Hesse fordert deshalb, das U- und S-Bahn-Netz endlich umfassend auszubauen. "In der Innenstadt fehlt es nicht an Verbindungen, dafür aber in der Peripherie der Stadt. Daran müssen wir etwas ändern, das würde auch gegen die Wohnungsnot helfen", sagt Hesse. Ein Busbeschleunigungsprogramm reiche nicht aus. Hesse möchte die neue U-Bahn-Linie 4 bis nach Kirchdorf in den Süden der Stadt ausbauen. Doch allein die Verlängerung der U 4 von der HafenCity zu den Elbbrücken kostet knapp 180 Millionen Euro.

Auch Martina Koeppen (SPD) wünscht sich den Sprung über die Elbe mit der U 4. "Aber das ist Zukunftsmusik, weil die Projekte an der Finanzierung scheitern", sagt die Verkehrspolitikerin. Ein Kilometer U- oder S-Bahn kostet rund 100 Millionen Euro. Das bestätigt auch der Verkehrsexperte Birger Wolter. Der Hamburger Vorsitzende des Verbraucherverbands Pro Bahn kritisiert: "Als der Betrieb der Straßenbahnen in Hamburg 1978 eingestellt wurde, versprachen die Politiker den Menschen in den Großsiedlungen eine U-Bahn-Anbindung." Doch auch 35 Jahre später ist nichts passiert.

Prioritäten setzen ist die Devise, und die Siedlungen außerhalb der Innenstadt stehen offenbar nicht an erster Stelle auf der To-do-Liste der Stadt. Helma Krstanoski, Sprecherin der Wirtschaftsbehörde, sagt, dass Hamburgs Fokus derzeit auf der Entwicklung der S-Bahn-Linie 4 über Rahlstedt bis Bad Oldesloe liege.

"Was den Sprung über die Elbe angeht, so wird die Haltestelle Elbbrücken vorsorglich so angelegt, dass die Strecke in späteren Jahrzehnten in weiteren Ausbauschritten mittels einer neuen Brücke über die Norderelbe in Richtung Süden verlängert werden könnte", sagt Krstanoski. Doch noch gibt es keine Alternative, um die Elbe in Richtung Süden zu überqueren. Pendler müssen die oft überfüllten Problemlinien S 3 und S 31 nach Harburg nutzen. Anjes Tjarks, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen Bürgerschaftsfraktion, schlägt kreative Lösungen vor: "Die überfüllte S 3 braucht eine schnelle Entlastung. So könnte die Seilbahn nach Wilhelmsburg hier eine Alternative sein. Leider funktioniert es nicht so schnell, weitere Züge einzusetzen. Eine Taktverdichtung ist nur möglich, wenn neue Fahrzeuge bestellt und gekauft werden. Und dieser Vorgang dauert mehrere Jahre."

Das war vor gut einem Jahrhundert nicht anders. Am 15. Februar 1912 startete der erste U-Bahn-Zug der Hochbahn vom Rathausmarkt Richtung Barmbek. Zuvor waren Pläne ad acta gelegt worden, eine Schwebebahn nach Wuppertaler Vorbild zu errichten.