Am 1. Mai brannte ein Frachter mit Gefahrgut im Hafen. Die “Atlantic Cartier“ ist kein Einzelfall: 16 Millionen Tonnen gefährliche Güter werden pro Jahr umgeschlagen.
Hamburg. Der schwere Brand auf dem Frachtschiff "Atlantic Cartier" am 1. Mai wirft viele Fragen auf - auch die nach dem generellen Umgang mit Gefahrgut im Hamburger Hafen. So wurde erst jetzt bekannt, dass das für den Schiffsverkehr im Hafen zuständige Oberhafenamt nicht über die radioaktive Ladung des Schiffes informiert gewesen ist. Erst als die Wasserschutzpolizei am Brandort eintraf, erfuhr die Hafenverwaltung von der Gefährlichkeit der Fracht. Das räumte der zuständige Hafenkapitän Jörg Pollmann am Freitag ein. "Für uns war das ein ganz gewöhnlicher Frachter." In der Regel werde die Hafenverwaltung nur bei besonders gefährlichen Schiffstransporten im Vorhinein informiert, beispielsweise wenn ein Tankschiff vollgeladen mit Flugbenzin Hamburg anläuft. "Dann gibt es je nach Gefährlichkeit besondere nautische Vorschriften", sagte Pollmann.
Solche Schiffe dürften nicht bei Nebel und starkem Wind im Hafen navigieren. Auch die Anzahl der Schlepper richte sich nach dem Gefährdungspotenzial. Dieses sei bei der "Atlantic Cartier" aber als normal eingestuft worden. Tatsächlich ist es gang und gäbe, dass strahlendes Gefahrgut im Hafen verladen wird. In den drei Monaten seit dem 7. Februar hat es 21 radioaktive Schiffstransporte gegeben - neunmal für den Export zehnmal für den Import. In zwei Fällen wurde die Fracht nur im Transitverkehr umgeladen. Auffallend oft dabei, die "Atlantic Cartier" mit dem hochgefährlichen Uranhexafluorid. Dieses wird verwendet, um Uran 235 von Uran 238 zu trennen. Aus Uran 235 werden Brennelemente für Atomkraftwerke oder Nuklearmaterial für Atombomben hergestellt.
Der Hafen ist eine Drehscheibe für Gefahrgut. Rund 16 Millionen Tonnen wurden allein im vergangenen Jahr umgeschlagen. 197.000 Container wurden gemeldet. Zahlreiche Hallen im Hafen sind als Gefahrstofflager zugelassen. Eines der größten liegt direkt neben dem Musical "König der Löwen". "Es gibt so gut wie kein großes Seeschiff, das ohne Gefahrgut den Hamburger Hafen anläuft", sagt Frank-Martin Heise, Chef der Hamburger Wasserschutzpolizei. "Das kann sich um eine Kiste Feuerzeuge handeln, die in einem der Container ist, bis hin zur größeren Mengen Gefahrgut."
Über das, was per Schiff in Hamburg umgeschlagen wird, ist man bei der Wasserschutzpolizei durch das bereits 1990 eingeführte Gefahrgutinformationssystem Gegis im Bilde. Bereits vor dem Einlaufen der Schiffe wird den Behörden gemeldet, was wo in welcher Menge auf einem Schiff ist. Im Fall des Frachters "Atlantic Cartier" hätten die Informationen aus Gegis und die Gegebenheiten auf dem Schiff exakt übereingestimmt, so Heise. Täglich würden die besonders geschulten Hafensicherheitsbeamten der Wasserschutzpolizeiwachen unterwegs sein, um die Einhaltung der Gesetze - das Hafensicherheitsgesetz wurde zuletzt 2013 modifiziert - zu überwachen. "Wir sind da pingelig", versichert Heise.
Während die Grünen glauben, Hamburg sei bei dem Brand auf dem Frachter am 1. Mai "nur knapp an einer Katastrophe vorbeigegangen", auch weil nahe der Unglücksstelle in der HafenCity fast zeitgleich der Eröffnungsgottesdienst des Kirchentags gefeiert wurde, ist bei dem Vorfall nach Einschätzung von Wasserpolizeichef Heise zumindest aus Sicht der Einsatzkräfte "alles gut gelaufen". Auch Feuerwehrchef Klaus Maurer sagt: "Für uns war es ein ausgewachsener Einsatz, der gut abgearbeitet wurde." Die Feuerwehr sei grundsätzlich gut aufgestellt. Die Standorte der umliegenden Feuerwachen, darunter die Technik- und Umweltwache, seien auf den Hafen abgestimmt. Die zukünftige Feuerwache Finkenwerder wird einen Standort bekommen, der zur besseren Abdeckung beiträgt. Mittelfristig wird es neue Löschboote geben. An der Konzeption wird gearbeitet.
Der Hafenexperte der Grünen, Anjes Tjarks, ist dennoch beunruhigt: "Mag sein, dass alle Vorschriften eingehalten wurden, wovon ich noch nicht überzeugt bin. Klar ist aber doch, dass Hamburg in diesem Fall nur riesiges Glück hatte, dass nicht mehr passiert ist. Wäre der Brand nur wenige Meter weiter ausgebrochen, wäre der ganze Unfall anders ausgegangen. Dort standen nämlich etliche Tonnen Ethanol."
Aus der Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage von Tjarks geht auch hervor, dass es bei den Lösch- und Bergungsarbeiten zu Verzögerungen gekommen ist. So wurde die Feuerwehr um 20.46 Uhr darüber informiert, dass Gefahrgut an Bord der "Atlantic Cartier" ist. Doch erst zwei Stunden und 22 Minuten später, um 23.08, konnte mit der Bergung des Gefahrguts begonnen werden. Grund: Der 1. Mai gehört zu den fünf Tagen im Jahr, an denen im Hafen nicht gearbeitet wird. So dauerte es, bis ausgebildete Kranführer am Unfallort waren. Brisant: Die Antwort des Senats wurde im Nachhinein in Bezug auf den Brandort und die Verteilung des Gefahrgutes korrigiert.
Die Hafenbetriebe betonen, dass sie für die Verladung von Gefahrgut gut gerüstet sind. "Wir haben an allen Terminals spezielle Vorrichtungen für den Fall, dass etwa aus einem beschädigten Container Flüssigkeit austritt", sagte ein Sprecher der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Solche Container würden auf ein besonderes Chassis geladen und zu einer Wanne gebracht, in die der Container von der Umwelt abgeschottet versenkt wird. Stellplätze für Gefahrgutcontainer seien mit zusätzlichem Beton gesichert.
Die CDU wirft dem Senat vor "die Gefährlichkeit des Einsatzes herunterzuspielen". Man habe kein Verständnis dafür, dass erst auf Nachfrage die genauen Umstände bekannt wurden. "Gerade die Notwendigkeit von Atomtransporten in unserem Hafen erfordert durch den Ausstieg aus der Kernenergie und die Realisierung der Energiewende eine besondere Sorgfalt. Alle staatlichen Stellen müssen ein hohes Maß an Transparenz bei diesen Transporten sicherstellen", meint CDU-Feuerwehrexperte Dennis Gladiator.