Sie bezeichnen sich als Portiers und gelten als die letzten Standhaften einer klassischen Hamburger Branche, die sich im Sinkflug befindet. Die Koberer vom Kiez kämpfen mit vollem Einsatz um jeden Gast.

Etwas stimmt nicht mehr auf der Meile, ist aus den Fugen geraten, im Niedergang. Komasaufen knipst Nacht für Nacht die Lampen in den Köpfen der Pistengänger an, aber die roten Glühbirnen im eigentlichen Sündenpfuhl flackern müde, erlöschen, manche für immer; sind vor allem auf der Großen Freiheit durch seelenlose Partybuden ersetzt, die anscheinend aus einem einzigen, riesigen Lautsprecher bestehen, der jedem, der vorbeischlendert, die Bässe schmerzhaft in den Leib hämmert. Vorm Lokal aufgepumpte Kerle mit verdunkelten Brillengläsern; grimmig wird die Cocktail-Flatrate zwischen Zähnen gefletscht, ein echter Leberhaken, Bier fließt schon ab drei Euro, und fast jeder Junggesellenabschied, der hier endet, endet mit Absturz.

Und doch beziehen mit Anbruch der Dämmerstunde die letzten Aufrechten Stellung vor ihren plüschigen Reliquien der käuflichen Lust, um sich mit Wortgewalt gegen den drohenden Untergang zu stemmen. Früher nannte man sie gemeinhin Koberer. Es war ein ehrbarer Beruf in einem halbseidenen Gewerbe, heute wollen sie lieber Portiers genannt werden. Ankobern, ein traditioneller hanseatischer Begriff steht für anwerben, aufs Heißmachen der zumeist männlichen Klientel auf "Mädels wie Milch und Honig: Na, was ist, mien Jung - so schnell kannste gar nicht wichsen, wie die sich ausziehen!", ruft Herr Freundlich, der nicht so heißt und gemeinsam mit Herrn Ehrlich, der auch nicht so heißt, vor dem Blue Night auf der Meile kobert. Da hat er mal wieder echt einen rausgelassen, der Herr Freundlich: "Hömma, hömma, hömma!", sagt ein grau melierter Heinz in den späten 50ern zu seiner Gisela, bestimmt im selben Alter. Die 30-köpfige Reisegruppe aus Wuppertal lacht jetzt im Kollektiv, die Männer dröhnend, die Frauen eher kichernd-verschämt, ihre Jack-Wolfskin-Rucksäcke wippen vor lauter Heiterkeit. Doch der Funke will nicht überspringen, der unter dem atmungsaktiven Mikrofaserstoff der Funktionskleidung das Feuer der Leidenschaft entzünden soll.

Von ehemals gut 80 Koberern stehen vielleicht noch zwei Dutzend ihren Mann, dazu kommt noch eine Handvoll weiblicher Kolleginnen. Aber noch verdiene er mit seinem Job mehr als der Lascher im Hafen, sonst würde er ja auch nicht fünf Nächte pro Woche vorm "Blue Nite" arbeiten, bei Wind und Wetter, meint Herr Ehrlich. Außerdem habe er schon von vielen Messebesuchern Visitenkarten erhalten: "Sie sollten sich bei uns als Verkäufer bewerben!", das habe er schon of gesagt bekommen und deshalb keine Angst vor der Zukunft.

Sein Kollege Herr Freundlich seufzt, und dann fällt auch schon das entscheidende Wort: "Früher...!" Er sei ja nun wirklich ein waschechter St. Paulianer; einer, dessen Kiezkarriere schon in den 1970ern in René Durands Apartments an der Wohlwillstraße Nummer 18 begonnen habe, als Einkäufer und Hundeausführer für die Tänzerinnen des Salambo, die zu dritt in einer der fünf Wohnungen hausten, die der legendäre Nachtclubchef angemietet hatte. "Kriegte ich also 'nen Hunderter von einer Lady", erzählt Herr Freundlich, "sie sagt, hol' ma' was zu essen; ich ihr also was zu essen geholt für 20 Mark, hier, sagt sie, haste 80, der Rest ist für dich! Und ich war damals erst zehn!"

Es geht immer nur ums Geld im größten Freudenplanquadrat der Republik, aber der Kuchen ist klein geworden, Finanzkrise, und so kommt plötzlich wieder der Nepp in Mode, wie in den gar nicht guten alten Zeiten der 1970er, als Gäste für ein Herrengedeck plötzlich 180 Mark latzen mussten, weil sie nicht aufs Kleingedruckte geschaut hatten. Ulrich Wagner, der seit fünf Jahren als Leiter des Polizeikommissariats 15 amtiert - das berühmteste Polizeirevier der Welt an der Davidstraße - nennt sowas nicht Nepp, sondern Betrug. "Dieses Delikt nimmt leider wieder zu", sagt er, und die Dreistigkeit der Täter sei besorgniserregend. "Einigen Clubbesitzern kommt es wohl nur noch darauf an, irgendwie an die PIN-Nummern der Scheck- und Kreditkarten zu gelangen, anstatt gepflegte Getränke zu verkaufen." Und das andere.

Dort, wo die Große Freiheit von der Reeperbahn abzweigt, muss Slavek bei Schichtbeginn erst mal dafür sorgen, dass sein Revier picobello aussieht. Zwei der Tänzerinnen, noch beschäftigungslos, rauchen eine Zigarette vor der Tür und scherzen mit ihrem Portier herum. Slavek, der aus Danzig stammt, einst ein Ingenieur für Straßenbahnen, wollte schon als Teenager immer nur die Glitzerwelt der Nachtclubs entdecken. Sagt er.

Links also Slavek, ein gedrungener Modelathlet mit künstlicher Bräune, strahlend weißen Zähnen und verwegener Pferdeschwanz-Frisur im maßgeschneiderten, hellgrauen Anzug mit karminroter Seidenkrawatte und glänzend polierten Schuhen. Gegenüber, auf der rechten Straßenseite 20 Meter Häuserzeile, die an die New Yorker Bronx erinnern, nach Rassenkrawallen, mit heruntergelassenen Rollläden und blinden Fensterscheiben. Aus zwei Mülleimern tropfen Ketchup und Mayonnaise auf den Asphalt, die Neonbeleuchtung über der Großen Freiheit ist dunkel. "Das war mal das 'Lady Lyn', heute ist es eine Disco", erklärt Slavek, "die macht nur freitags und sonnabends auf. Und dann kriege ich Kopfschmerzen, so laut ist das. Da muss ich auch noch gegenanbrüllen!" Für die Krise des Gewerbes hat Slavek längst einen Schuldigen ausgemacht: die Stadt, die leichtfertig Konzessionen an Leute vergeben würde, die vom Geschäft keine Ahnung haben. "Die Mischung stimmt nicht mehr. Das Flair von St. Pauli verschwindet!"

Der Bewahrer und Mahner, führt seinen Kampf mit psychologischem Einfühlungsvermögen: "Geleiten Sie die Damen doch mal hier herein, ein paar Anregungen für zu Hause holen!", ruft er, aber an den Wuppertalern haben sich vorhin schon Herr Fröhlich und Herr Ehrlich die Zähne ausgebissen. Die Touristen wollen nämlich unbedingt zum Vergnügungspark der Drag-Queen Olivia Jones. Doch von ihrem Bekanntheitsgrad profitiert auch das Safari gegenüber: "Nun kommt mal schön alle rüber - wir sind die einzige Rammelbude hier!", ruft Peter, seit 40 Jahren im Geschäft. Aber auch ein Alleinstellungsmerkmal wie Liebe live auf der Bühne kann nicht verhindern, dass sich die beiden dienstältesten Kiez-Koberer mächtig ins Zeug legen müssen. Peter, immer mit schwarzem Rollkragenpulli und ebensolcher Lederjacke gekleidet, besitzt die liebenswürdige Kodderschnauze; sein Kollege Werner, bekannt für seine schicken Anzüge, der 20 Jahre lang vor dem Lady Lyn koberte, versprüht die knorrige Autorität des Alters. Werner muss nie lange sülzen: Er tritt einfach zwei Schritte vor und weist mit einer knappen Handbewegung den richtigen Weg. Manchmal klappt das auch. Wenn Werner und Peter frei haben, spielen beide gern mit ihren Enkeln. "Auch wir warnen inzwischen vor den Neppläden, die nur noch abzocken wollen", sagt Peter, der gelernte Einzelhandelskaufmann, "ganz klar: Wir lassen uns unser Geschäft doch nicht kaputtmachen."

Ansonsten fühle er sich neuerdings ein bisschen verantwortlich für die beiden jungen Frauen, die in glitzernden Fräcken auf der anderen Straßenseite für Olivias Showpalast kobern: Doro und Michi, beide 25, beide studierte Grafikdesignerinnen, beide selbstständig, aber noch können sie nicht davon leben. "Burlesque, mein Herr, das ist dieser Tanz mit den hübschen Bommeln auf den Brüsten", erklärt Doro Abend für Abend wohl an die 100-mal. Auch die Wuppertaler sind jetzt schlauer. Ein Jahr ist sie schon dabei, ihre Freundin Michi steht heute erst den zweiten Tag auf dem Bürgersteig. Ihr mache der Job Spaß, meint Doro, der intensive Kontakt mit unterschiedlichen Menschen. Deshalb könne sie auch nicht sagen, mit welchem Spruch sich Gäste am besten ködern lassen. "Nee, das kann man wirklich nicht", nickt Peter, "wir führen ja keine Kaufhausverkaufsgespräche. Die Leute wollen auf jeden Fall was hören!" Letztlich sei aber immer genau der Spruch der beste, der den Gast von der Straße holt.