Warum die Angst vor Attentätern den Hamburg-Marathon nicht kaputt machen darf
Die verwackelten Videos, die derzeit im Internet hunderttausendfach geklickt werden, lassen die Katastrophe von Boston nur erahnen. Eine enorme Detonation zerstört die fröhliche Festtagsstimmung im Zielraum des Marathons. Einen Mann, es ist der 78 Jahre alte Bill Iffrig, reißt die Druckwelle der Explosion zu Boden, Helfer stützen den völlig verstörten Läufer ins Ziel. Sanitäter hetzen zu den Opfern, unter ihnen ein achtjähriger Junge, der voller Stolz seinem Papa im Ziel gratulieren wollte. Er stirbt wie zwei weitere Zuschauer, andere erleiden schwerste Verletzungen, verlieren Arme oder Beine. Ihr Leben wird nach der Tragödie von Boston für immer in ein Vorher und ein Nachher geteilt sein.
In Hamburg ist am Sonntag alles für die große Marathon-Party angerichtet. Die Sonne soll scheinen, die Veranstalter hoffen auf 750.000 Zuschauer. Und doch schwebt über allem die bange Frage: Kann ein solcher Anschlag auch in der Hansestadt passieren?
Wer ehrlich ist, kann diese Frage nur mit einem Ja beantworten. Es gibt keine absolute Sicherheit in Zeiten, in denen Terroristen - aus welchen Motiven auch immer - erbarmungslos zuschlagen. Am Bonner Hauptbahnhof verhinderte im Dezember 2012 offenbar nur ein defekter Zünder an einem Sprengsatz ein Blutbad. Sicherheitsexperten halten neue Attentatsversuche - gerade aus Kreisen radikaler Islamisten - jederzeit für möglich. Und um zu sehen, wie viele Fanatiker auch das Attentat von Boston mit militanten Anti-Israel- oder USA-Parolen rechtfertigen, reicht ein Blick in Internetforen.
Aber was ist die Konsequenz aus dieser Erkenntnis: Soll die Polizei die gesamte Marathon-Strecke zu einer Hochsicherheitszone erklären, selbst Rasseln verbieten? Oder den Marathon etwa ganz absagen? Nein, das kann und darf keine Lösung sein. Denn eine solche Reaktion würde die düstere Fantasie von Terroristen weiter befeuern. Sie würden bestärkt in ihrem Wahn, dass sie mit Angst und Schrecken - nichts anderes bedeutet der Begriff Terror im Lateinischen - unser Leben angreifen können. Das Aus für so großartige Massenveranstaltungen wie den Marathon oder den nur wenig später in Hamburg beginnenden Kirchentag wäre ihr größter Sieg. Denn genau das ist ihr Plan. Sie wollen uns so weit verunsichern, bis Sicherheit am Ende unbezahlbar wird. Allein die Sicherheitsmaßnahmen für die Olympischen Spiele in London 2012 kosteten mehr als die Spiele 1972 in München insgesamt. Damals zerstörten palästinensische Terroristen den Traum von friedlichen und fröhlichen Spielen.
Nein, der Weg kann nur sein, sich dem Terror nicht zu beugen. Natürlich ist es richtig, das Sicherheitskonzept noch einmal zu überprüfen und eventuell zu verschärfen. Aktionismus indes nutzt niemandem. Denn das würde die Illusion einer Sicherheit vorgaukeln, die es nicht geben kann.
Ein Marathon ist nun mal kein Bundesliga-Spiel, wo an den Eingängen jeder Fan genau durchsucht wird. Am Sonntag würde auch die größte Polizeimacht nicht jeden Zuschauer an der Strecke überprüfen können. Und niemand kann wollen, dass bereits das Tragen eines großen Rucksacks einen ersten Verdacht auslöst. Gerade Veranstaltungen wie der Marathon leben von ihrer unbekümmerten Atmosphäre, von ihrer Spontaneität, von ihrer Leidenschaft. Jeder - ohnehin zum Scheitern verurteilte - Versuch einer totalen Überwachung würde ihren Charakter zerstören.
Damit kein Missverständnis entsteht: Wer aus Rücksicht auf das große Leid der Opfer von Boston am Sonntag in Hamburg nicht ausgefallen feiern mag, verdient allen Respekt. Aber wem danach ist, der mag Tausenden Sportlern zujubeln, die sich über Monate auf ihren großen Tag vorbereitet haben. Und damit ein Signal setzen - gegen den Terror, gegen die Attentäter von Boston.