Elendsviertel am Wasser neben Hightech-Terminals: Wie Bürgermeister Olaf Scholz die Gegensätze in Santos erlebt. Brasilien ist die erste Station der siebentägigen Südamerika-Reise.

São Paulo. Hafen, Schiffe und Containerbrücken – beim Besuch im aufstrebenden brasilianischen Santos an der Atlantikküste konnte sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) fast wie zu Hause fühlen. Wenn man mal davon absieht, dass hier auch im südamerikanischen Herbst noch die Sonne knallt wie in Hamburg kaum einmal im Sommer. Bei einem Besuch im klimatisierten Büro der Reederei Hamburg Süd, einer Hafenrundfahrt und einem Besuch des Terminals Santos Brasil gewann der Senatschef einen guten Eindruck von der Dynamik des größten lateinamerikanischen Hafens, der rund 75 Kilometer südöstlich von São Paulo liegt.

„Hafenrundfahrten gefallen mir immer, diese war aber ganz anders als in Hamburg“, sagte Scholz nach der Tour mit der knallgelben Barkasse. „Die fahren hier viel schneller. Außerdem liegen die Terminals weiter auseinander.“ Tatsächlich offenbarte die Rundfahrt den Hamburger Gästen aber auch einmal mehr, wie groß die sozialen Unterschiede in Brasilien sind: Zwischen den Terminals sind über die Jahre kleine Elendsviertel gewachsen, in denen die Menschen in am Wasser aufgeständerten Holzhütten leben. Ein Detail, das auch Bürgermeister Scholz nicht entging, der von „Wohnsiedlungen unterschiedlicher Art“ sprach, als er anschließend seine ersten Eindrücke von Brasilien beschrieb.

Trotz dieser augenfälligen Probleme betonte Scholz am Abend bei einer Rede im Club Transatlantico in São Paulo die grundsätzliche Bedeutung von Häfen für die Menschen. „Häfen sind Orte der Sehnsucht und der Hoffnung“, sagte der Hamburger Bürgermeister. „Jede Stadt, die einen Hafen hat, besitzt dieses besondere Flair. Sie holt die Welt zu sich, und sie blickt hinaus in die Welt.“ Das verbinde auch Hamburg und Santos. „Wir haben ähnliche Aufgaben: Wir arbeiten am Ausbau unserer Häfen, und Santos ist auf dem besten Weg, der größte Containerhafen Lateinamerikas zu werden.“ Die enge Verbindung ergebe sich auch dadurch, dass São Paulo „der größte Industriestandort deutscher Unternehmen außerhalb Deutschlands“ sei, sagte Scholz bei dem Empfang, zu dem die Stadt Hamburg die brasilianischen Partner und Freunde geladen hatte.

Der Dienstag stand dann weniger im Zeichen von Wirtschaft, Handel, Hafen und Containern – nun ging es vor allem um die wissenschaftlichen Kontakte zwischen Hamburg und Brasilien. Am Vormittag besuchte die Delegation die weltweit angesehene Stiftung Getulio Vargas, eine renommierte Denkfabrik, die als Elitenschmiede für Wirtschafts- und Politikwissenschaftler gilt. Ein Anlass für den Besuch war die Unterzeichnung eines „Letters of intent“ zwischen der Stiftung und der Handelskammer Hamburg, in dem es um die Forcierung des Studentenaustausches geht. Wie bereits auf früheren Reisen hielt Olaf Scholz auch hier auf Englisch einen Vortrag über die Euro-Krise vor Studenten und Professoren. Dabei bezog sich Scholz auch auf die Einschätzung des vor den Nazis nach Brasilien geflohenen Schriftstellers Stefan Zweig, der einst festgestellt hatte: „Brasilien ist das Land der Zukunft.“ Im Blick auf die Probleme in Europa betonte Scholz laut Redemanuskript, dass die Einführung des Euro richtig gewesen sei – und richtig bleibe. Allerdings sei der Beitritt mancher Länder zu lax gehandhabt worden: Mancher Staat sei in die Euro-Zone aufgenommnen worden, obwohl er die Stabilitätskriterien von Beginn an nicht erfüllt habe. Dennoch profitierten heute alle beteiligten Länder vom Euro.

Am Dienstagnachmittag teilte sich die Hamburger Delegation auf. Während Staatsrat Wolfgang Schmidt mit einer Gruppe den brasilianischen Flugzeughersteller Embraer besuchte, fuhr Bürgermeister Olaf Scholz mit der anderen Hälfte der Delegation ins 110 Kilometer von São Paulo entfernte São José dos Campos, um den international bedeutenden ITA-Forschungscampus und die angeschlossene Universität für Luft- und Raumfahrttechnik zu besichtigen. Der mit seiner persönlichen Referentin und dem Leiter seines Präsidialbereichs angereiste Chef der TU Harburg, Garabed Antranikian, präsentierte die Arbeit seiner Hochschule im Bereich Luftfahrt und unterzeichnete ein Abkommen über eine engere Kooperation mit der ITA.

An diesem Mittwoch stehen die drei wichtigsten politischen Gespräche auf dem Programm. Am Vormittag trifft Scholz den Bürgermeister von São Paulo, Fernando Haddad. Mittags fliegt die Delegation in die uruguayische Hauptstadt Montevideo, wo Scholz zunächst mit Bürgermeisterin Ana Olivera zusammenkommt. Am frühen Abend wartet dann der hochrangigste Gesprächspartner auf den Hamburger Bürgermeister: der uruguayische Präsident José Mujica. Mujica ist der momentan wohl bescheidenste Präsident des amerikanischen Kontinents. Er spendet angeblich 90 Prozent seines Salärs, trägt niemals Krawatte und fährt in einem alten Käfer durchs Land. Für rein dienstliche Fahrten nutzt er, aus repräsentativen Gründen, einen Opel Corsa.