Zwei Jahre versorgt Bauer Georg Stübl seine Rinder. Das Fleisch wird auch nach Hamburg geliefert. Am Ende bleiben pro Tier 150 Euro Gewinn übrig. Warum der Oberbayer trotzdem an seinem Bauernhof festhält.

Georg Stübl ist ein Landwirt, wie er im Buche steht. Seine kräftigen Hände sind von harter körperlicher Arbeit gezeichnet. Sein gesunde Gesichtsfarbe zeugt von viel Draußen sein. Und wer mit ihm redet, bekommt knappe Antworten. Stübl und seine Frau Maria leben mit ihren vier Kindern im oberbayerischen Obing und betreiben eine kleine Rinderzucht.

Auf dem Beipackzettel im Supermarkt steht geschrieben, dass unser Rindfleisch von den Stübls kommt. Also setze ich mich in den Nachtzug von Hamburg nach München. Von der bayerischen Landeshauptstadt geht es weiter mit dem Mietwagen. Der kleine, verschlafene Ort Obing liegt gut 70 Kilometer westlich der Landeshauptstadt, tief im bayerischen Hinterland. Immer die Bundesstraße 304 entlang, durch Wasserburg am Inn, da wo die Meggle-Butter hergestellt wird.

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Wenn man genau hinschaut, ist Obing lediglich eine kleine Ansammlung mehrere Höfe, die zu Frabertsham gehört. Der Chiemsee liegt südöstlich von hier. Nach Österreich sind es noch gut 80 Kilometer. Auf der Staatsstraße 2360, die Obing durchquert, fährt hin und wieder ein Auto. Ein paar Reifengeräusche, auch mal ein Trekkermotor. Ansonsten stört wenig die Idylle. Sanfte Hügel, vor allem Wiesen.

Wir stehen vor dem Haus der Stübls, der Frühjahrsnebel hängt tief. Der Landwirt zeigt in Richtung Süden. „Wenn das Wetter besser wäre, könnten sie von hier die Alpen sehen.“ Gestern noch war das Wetter toll. Ja, ja, das Wetter. An diesem Thema kommt man im Gespräch mit Landwirten derzeit nicht vorbei. „Auf einen späten Frühling folgt oft ein warmer Sommer“, sagt Georg Stübl. „Und dann wächst das Gras besonders gut.“

Der 50-Jährige und seine Frau betreiben den Hof und die Rinderzucht als Nebenerwerb. „Acht Stunden am Tag arbeite ich als Maurer auf den Baustellen in der Umgebung“, erzählt er. Aber diese Arbeit allein reiche ihm nicht. Er wolle auch daheim etwas mit seinen Händen tun. Vom Vater hat er den Hof geerbt, dazu neun Hektar Land. Wiese zumeist. Auch die auf dem Hügel vor dem Haus. Wo er mit einer uralten Sense Gras mäht. Vier Mal im Jahr.

30 Rinder stehen im Stall der Stübls. Von der Wohnungstür brauchen wir nur ein paar Schritte. Auf der Betonfläche vor dem Stalltor sind fünf sogenannte Iglus aufgebaut. Kleine Hütten aus Plaste, davor gesteckt ein kleiner, metallener Zaun und ein wenig Stroh. Niedlich-neugierige Kuhaugen glotzen uns an. Eine warme, zarte Zunge leckt über meine Hand. Es kitzelt.

In den ersten sechs Lebensmonaten ist bei der Rinderzucht das Anleinen der Tiere per Gesetz untersagt. Deshalb leben die Kälber noch nicht im Stall bei den „großen“ Rindern. Von dort ist ein Muhen zu hören. Zwei Stallgehege, rechts und links. Betonfußboden mit Spalten, in denen die Fäkalien ablaufen können. Die Tiere sind angeleint. Im Mittelgang liegt Silage. Das Heu wird auf dem Dachboden über dem Stall gelagert und durch eine Luke in den Mittelgang geworfen.

Eineinhalb Jahre leben die Tiere so. Dann werden sie geschlachtet. Für einen Moment bin ich erschrocken. Die Stübl’s bemerken es und schauen mich erwartungsvoll an. Ich frage mich: Was hatte ich erwartet? Eine heile Rinderwelt, in der Kühe vor der Silhouette majestätischer Berge glücklich und zufrieden auf einer Wiese grasen? Dazwischen tollen kleine Kälber, und über dem Tal ist das sanfte Läuten der Kuhglocken zu hören?

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Der Schlachter kommt in so einer Geschichte nicht vor. Auch nicht die Tatsache, dass Rinder Nutztiere sind, wie Maria Stübl sagt. Und dass jeder Deutsche im Jahr 2012 im Durchschnitt 61 Kilogramm Fleisch gegessen hat - neun Kilogramm davon Rind- oder Kalbfleisch. Auch nicht vor kommt, dass viele Deutsche an der Fleischtheke eher auf den Preis als auf die Qualität achten.

Um so irrationaler ist ihre Angst, wenn etwas schief geht. Die BSE-Krise in den 90er Jahren trifft die Rinderzüchter schwer. Rindfleisch liegt von einem Tag auf den anderen wie Blei in den Auslagen. Weil sie Angst vor dem Rinderwahnsinn haben, stürzen die Deutschen sich wie wahnsinnig auf andere Fleischarten - und das, obwohl „Risikomaterial“ der Rinder wie das Gehirn, das Rückenmark oder Lymphdrüsen vernichtet werden.

Auch wenn der Verbrauch von Rindfleisch hierzulande inzwischen wieder steigt - erholt hat sich die Fleischwirtschaft von dem BSE-Desaster nicht. Mit dramatischen Folgen für Rinderzüchter wie den Stübls. Etwas mehr als 150.000 Rinderhalter gibt es in Deutschland. Noch. Bis zu 7000 müssen Jahr für Jahr ihren Hof aufgeben.

Der Grund für diese Entwicklung ist denkbar einfach: Rinderhaltung in kleinerem Maßstab lohnt nicht. 300 Euro muss Georg Stübl für ein 90 Kilogramm schweres Kalb zahlen. Dann versorgen seine Frau und er das Tier gut zwei Jahre, bis das Schlachtgewicht von rund 650 Kilogramm erreicht ist. „Vom Schlachthof bekommen ich für ein Rind zwischen 1100 und 1200 Euro“, sagt der Landwirt und fügt hinzu: „Zwischen 100 und 150 Euro bleiben am Ende übrig.“

Davon kann man nicht leben, und die Stübls können es auch nicht. „Da wird man nicht reich von“, sagt der Landwirt und lacht. Deshalb auch der Maurerberuf. Aber ihm sei die Landwirtschaft eben wichtig. Aus Tradition. Das Land ist seines und ihm ans Herz gewachsen. Und aus Verbundenheit mit der Heimat, die er im Jahr nur für vier, fünf Urlaubstage verlässt. Maria Stübl fügt hinzu: „Für die Kinder ist es ein Paradies.“

45.000 Kleinbauern in Bayern dürfte es ähnlich gehen. Zum davon leben ist ihr Hof zu klein, aber sterben lassen wollen viele die Tierzucht auch nicht. Daher arbeiten sie tagsüber in ganz normalen Jobs und rackern nach Feierabend auf dem Hof. Auch wenn viele Deutsche das Bundesland eher mit dem FC Bayern München, mit BMW oder Hightech in Verbindung bringen. Es ist auch ein Rinderzuchtland, das die Republik versorgt. Die Bayern produzieren doppelt so viel Rindfleisch wie sie selbst verbrauchen.

Ich habe mich wieder gefasst und frage nach dem Tagesablauf. Für die Fütterung der Tiere ist Maria Stübl zuständig. Morgens um acht Uhr und am späten Nachmittag gibt es Futter - Grassilage und Heu vom Stüblschen Land. Dazu Ausmisten. Mais verfütterten sie nicht, sagt Georg Stübl. „Das ist zu teuer und wir können nicht kontrollieren, was drin ist.“ Außerdem liefere das eigene Land ja das Futter.

Den Verzicht auf Futtermais „bezahlen“ die Stübls mit Zeit. Zwei Jahre versorgen sie ihre Rinder - mit Futtermais würden diese ihr Schlachtgewicht schon nach eineinhalb Jahren erreichen. „Zeit ist für uns klein Problem“, sagt Maria Stübl. Ein paar Monate mehr machen ihre nichts aus. Wohl auch, weil es am Ende der Qualität des Rindfleischs dient. Zumindest wird das Fleisch vom Stüblschen Hof immer sehr gut bewertet.

Neben dem Stallgebäude liegen gut 20 Holzbalken, fein säuberlich gestapelt. „Das ist das Holz von einem unserer Söhne“, sagt Maria Stübl. Schreiner sei er und arbeite in einer Tischlerei. Der Junge hätte das Zeug, einmal den Hof zu übernehmen. „Aber dafür dürfte ihm die Zeit fehlen“, meint die Mutter. Zusätzliche Handwerksarbeit nach Feierabend, Feuerwehr, Schützenverein - auch wenn es hier etwas ruhiger zugehen mag als in der Großstadt. Landweilig ist es nicht.

Zum Abschied begleitet Georg Stübl mich zu meinem Mietwagen. Es ist schon spät am Nachmittag und noch immer liegt friedliche Frühjahrsdiesigkeit über dem Land. Friedlich? Der Landwirt lächelt vermitzt und meint: „Im Nachbardorf plant einer, zwei Windräder zu errichten. 200 Meter hoch!“ Viele Nachbarn sind empört, weil sie fürchten, dass ihre liebliche Landschaft verschandelt wird. Das sagen sie zumindest. Aber Bauer Stübl denkt, dass auch Neid dabei ist. Immerhin 15.000 Euro verdient man im Jahr mit einer Windkraftanlage.

Ich frage ihn, warum er es mit der Rinderzucht nicht lasse und einfach Mais für die Ethanolgewinnung anbaue? Da würde er doch mehr verdienen? Georg Stübl lässt ein paar Sekunden verstreichen und sagt dann lediglich: „Nein, das möchte ich nicht.“ Diese Antwort muss reichen.

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