Seit sie vor zwei Jahren den HSV verlassen musste, hat sich die ehemalige Vorstandsfrau Katja Kraus ein neues Leben aufgebaut. Sie berät Manager und schreibt Bücher - Montag gibt sie ihre erste Lesung.

Hamburg. Die Überraschung ist auf beiden Seiten groß. „Entschuldigung, ist der Platz noch frei“, fragt einer der beiden jungen Männer und grinst ziemlich unverschämt dabei. „Ja, gerne“, sagt Katja Kraus automatisch und sehr freundlich. Weil sich die Frager aber nicht wegbewegen, blickt sie dann doch noch auf. Plötzlich ist auch Freude in ihrem Gesicht. „Mensch, was macht ihr denn hier“, fragt sie, steht auf, und lässt sich erst von dem einen und dann von dem anderen Mann herzlichst umarmen. „Das sind zwei meiner liebsten alten Kollegen“, sagt sie fröhlich.

Tim Quathamer und Ulf Zimmer sind ehemalige Mitarbeiter des HSV– so wie es Katja Kraus, 42, ist. Der eine war zuständig für Reisen, der andere kaufmännischer Leiter des Jugendzentrums. Sie stand bis vor zwei Jahren in der Spitze der Führungshierarchie: Vorstand Kommunikation und Marketing lautete die Stellenbeschreibung. Deutschlands mächtigste Frau in einem Fußballclub. Auch die einzige, bis heute. Dann kam jener Tag, an den sie sich noch immer bis ins kleinste Detail erinnert. Der HSV-Aufsichtsrat beschloss am 5. März 2011, ihren Vertrag nach acht Jahren nicht zu verlängern. Club-Präsident Bernd Hoffmann musste ebenso gehen. Danach war nichts mehr wie zuvor.

„Ich habe geliebt, gestalten zu können“

Als sie am nächsten Morgen wie immer lange vor sechs Uhr und dem Weckerklingeln wach wurde, war klar, von diesem Tag an würde sich ihr Leben maßgeblich verändern. Keine vorgegebene Struktur mehr, keine Rituale, die sie mochte und brauchte. Joggen ja, aber nicht mehr um sich fit zu machen für den Stress des Tages. Auch Zeitungen würde sie weiter lesen, natürlich, ein Informationsjunkie kann darauf nicht verzichten, doch künftig ohne die manchmal quälende Frage, was wieder drinstehen würde: über den Trainer, die Spieler und eben auch den Vorstand.

Vor allem aber würde sie von nun an nicht mehr mit jener Freude ins Büro fahren, die für sie jeden Tag zu etwas Besonderem gemacht hatten. Fast jeden. „Ich habe es geliebt, gestalten zu können“, sagt Kraus. „Diese Aufgabe war lange genau das, was ich tun wollte, und auch genau das, was ich am besten kann. Und ich habe es genossen, in diesem Team etwas aufzubauen, wir hatten einen tollen Geist. Fragen Sie Tim und Ulf ...!“

Wäre Katja Kraus ein Mann, hätte sie so manchen Abend nach ein paar Drinks vielleicht im Kreis von Gleichgesinnten über die Ungerechtigkeit lamentiert, abserviert worden zu sein und sich später zu Hause trösten lassen. So aber verweigert sie sich derlei simplen Lösungen. Über das Auffangbecken Beziehung will sie nach wie vor öffentlich nicht sprechen, und der Ausdruck „Machtverlust“ kommt ihr nur ungern über die Lippen. Sie nennt es stattdessen Trauer über den Verlust an Verantwortung und der Herausforderung, sich an vorderster Front behaupten zu können.

„Die Entscheidung damals hat mich tief getroffen“

Wenn es mal zu schlimm wurde, dann hat sie, ganz Sportlerin, die gewinnen und verlieren gewohnt ist, darauf mit Strategien und Problemlösungen reagiert. Andere wurden krank, weil sie den Druck nicht anders ertragen konnten. „Ich glaube, ich habe ein gutes Gefühl für Selbstpflege“, sagt sie. All diese Erfahrungen waren jedenfalls Puzzleteile für jene Gefühle, die sie auch heute noch nachvollziehen kann.

„Die Entscheidung damals hat mich tief getroffen“, bekennt Kraus, und der Blick ins Gesicht gegenüber zeigt, dass es Spuren gibt, die zuvor nicht da waren. „Ich fand den Abgang unwürdig. Und natürlich habe ich auch geweint, vor allem in den zehrenden Wochen vorher, mit den ständigen Hin- und Herbewegungen. Aber allein. Das war wohl mein Anspruch an Souveränität.“

Aussagen wie diese entsprechen ihrem Naturell. Katja Kraus ist eine Frau, die sich nichts anmerken lässt. Eine, die die wichtigen Dinge lieber für und mit sich allein ausmacht, obwohl sie grundsätzlich ein kommunikativer Mensch ist. Dass sie es so weit nach oben geschafft hat, verdankt sie unter anderem ihrer Disziplin und auf Zielerreichung fokussierten Blick.

So ist sie sozialisiert als ehemalige Profi-Fußballspielerin, und so hat sie es angewandt und verfeinert in ihren beruflichen Stationen, in denen sie als Frau zumeist Exot war. In Frankfurt als erste Pressesprecherin eines Fußball-Clubs. Später dann in der Sport-Vermarktungsbranche. Und vor allem beim HSV, wo sie als Vorstandsmitglied im Hintergrund effektiv und nachhaltig die Fäden zog. Und auch am Ende noch Verantwortung für die Kollegen und Mitarbeiter empfand. Natürlich.

Kraus wollte Stabilität für andere schaffen

„Mir war wichtig, Stabilität für die anderen zu erhalten.“ Niemand sollte wissen, wie viele Fragen sie sich in den folgenden schlaflosen Nächten stellte. Was bleibt von einem Menschen, wenn er seine Funktion verliert? Wenn bis dahin die Karriere ein gerades Transportband war, auf dem man mit seinem immer voller werdenden Lebenskoffer immer höher hinauffuhr? Wenn in der öffentlichen Bewertung der Daumen plötzlich nach unten statt nach oben zeigt?

Katja Kraus, die pragmatische Frau, hat dennoch ziemlich schnell gewusst, wie sie weitermachen will. Anfangs mietete sie mit Bernd Hoffmann ein gemeinsames Büro. „Das war vor allem ein therapeutischer Schritt für mich, irgendwie Stabilität wahren in einer wackeligen Phase“, sagt sie. So etwas ist wichtig, auch für die Selbstachtung. Gehen zu müssen, ist schwerer als gehen zu wollen. Diese Binsenwahrheit mussten die erfolgsverwöhnten Führungskräfte Kraus und Hoffmann erst einmal leben lernen.

Und weil Schreiben in den diversen Jobs von Kraus immer mal wieder eine Rolle spielte, hat sie sich den Bedeutungsverlust und die Enttäuschung über den nicht selbst bestimmten Abgang quasi von der Seele geschrieben. Nicht Zuhause und auch nicht in einem Büro, sondern bei privaten Aufenthalten in der Toskana und auf Sylt. „Anders ging es nicht“, sagt sie. „Ich lasse mich hier einfach zu leicht ablenken.“

Und was sind die Erkenntnisse nach dem Schritt heraus aus dem Tunnel „Immer-perfekt-funktionieren-müssen“? Darüber muss sie nicht lange nachdenken. „Dass Unabhängigkeit etwas sehr Befreiendes und Befriedigendes ist.“ Und dass sie Menschen wieder anders wahrnimmt. Aufmerksamer. Beispielsweise jene Frau in der Reinigung, der sie morgens auf dem Weg ins Büro stets telefonierend begegnete. „Ich habe mich bei ihr dafür entschuldigt“, sagt Kraus. „Ihr sei es gar nicht aufgefallen, hat sie freundlicherweise gesagt.“

Ihr erstes Buch „Macht“ ist nun fertig

Nun ist das Buch fertig. Der Fischer-Verlag hat auf das Cover den Titel „Macht“ drucken lassen. Auf 252 Seiten erzählt die ehemalige Vorstandsfrau, die inzwischen selbst Management-Beratung macht, die Geschichten von prominenten Männern und Frauen mit Brüchen in der Karriere-Vita, so wie der ihren – aber ohne zu werten, das ist ihr wichtig zu betonen.

„Ich wollte unbedingt herauszufinden, warum sind Menschen bereit, sich in die erste Reihe zu stellen, sich dem Druck öffentlicher Bewertung auszusetzen?“ Die Antworten hat sie gesammelt und mit eigenen Gedanken angereichert. Beim Schreiben hat sie zudem gemerkt, dass es auch eine Reise zu ihr selbst ist. „Ich habe mich in das Schreiben verliebt“, hat sie kürzlich in einem Interview gesagt. Der kreative und spannende Umgang mit Sprache, die Möglichkeit, sich in Worten auszuleben, sich in Geschichten zu verlieren und wieder zu finden, hat sie gepackt.

Und warum soll jemand ihr Buch kaufen und lesen? Ein erstaunter Blick. „Weil ich zeigen will, dass jedem so etwas im Leben passieren kann.“ Jedem? Ist die Zielgruppe nicht etwas spitz? „Nein. Die Gesprächspartner meines Buches sind in den menschlichen Momenten, die sie mich haben sehen lassen, in ihren Zweifeln, ihren Unsicherheiten, im Verarbeiten von Brüchen, von Ablehnung und Scheitern Stellvertreter für uns alle.“

Am Montag liest Kraus im Abaton-Kino

Kommenden Montag liest Katja Kraus im Abaton-Kino aus ihrem Buch vor. Und selbstverständlich hat sie die Präsentation profihaft vorbereitet. Plakatierung und Anzeigen werden wahrgenommen. Ein guter Freund, der Publizist und Fernsehmann Roger Willemsen, übernimmt die Moderation, Gesprächspartner in Hamburg wird Björn Engholm, der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein sein, der über die sogenannte Barschel-Affäre stolperte.

In Berlin, wohin sie ihre Lesereise auch führen wird, hat die Fast-Bundespräsidentin Gesine Schwan, die gegen Horst Köhler die Wahl verlor, ihr Kommen zugesagt. „Ich bin sehr aufgeregt, das ist alles sehr neu für mich“, sagt sie. „Bislang bin ich immer in Funktion aufgetreten. Ich möchte natürlich, dass die Menschen mein Buch mögen. Dass sie es lesen und sagen, ja, das kann ich nachvollziehen. Das ist mir auch schon passiert.“

Dass sie sich schon wieder dem Druck einer öffentlichen Bewertung aussetzt, „mit dem Gefühl, besonders antastbar zu sein, weil das Buch so persönlich ist“, wie sie es formuliert, daran hat sie nicht gedacht, als sie losgeschrieben hat. „Tatsächlich? Ich wollte mit einem anderen Blick auf Menschen schreiben. Und ich wollte herausfinden, was die Belohnung dafür ist, sich an die Spitze zu wagen.“ Vielleicht ist es das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Das zweite Buch ist jedenfalls schon geplant.