Die Kapernaum-Kirche, die jetzt eine Moschee werden soll, hat schon früher für Schlagzeilen gesorgt. Ende der 60er Jahre traf sich hier im Stadtteil Horn die Hamburger Rocker-Szene.
Hamburg. Die ehemalige Hamburger Kapernaum-Kirche, die bald eine Moschee werden soll, hat schon früher für Schlagzeilen gesorgt: Ende der 60er Jahre traf sich hier die Hamburger Rocker-Szene. Der damalige Rocker-Pastor Wolfgang Weißbach hatte es nicht leicht: Anwohner forderten ein Ende der „Katzenmusik“ und die Ablösung des „Gammlerpfaffen“.
Mitte der 60er Jahre schickte Hamburgs Bischof Hans-Otto Wölber den 28-jährigen Hilfsprediger zum „Üben“ in die Kapernaum-Gemeinde im Arbeiterviertel Horn. „Rock n Roll wurde populär, und die Jugendlichen begannen zu revoltieren“, erinnert sich der heute 75-Jährige. Und ausgerechnet ihr Treffpunkt – die Kapernaum-Gemeinde – wurde seine erste Pfarrstelle.
Der Diakon hatte damals längst vor den „Halbstarken“ in Lederkluft kapituliert und überließ dem jungen Pastor nur allzu bereitwillig die Jugendarbeit. Und Weißbach nahm die Herausforderung an. Mit einer Band feierte den ersten „Beatgottesdienst“ unter dem Motto „Beaten und Beten“. Noch heute erinnert sich der gebürtige Zwickauer an Teile seiner Predigt – „dass auch die Eltern ihre Kinder achten müssen“.
Doch die Seelsorge für die Schäfchen in Leder gefiel nicht allen. Eine Gruppe der „anständigen Horner“, wie es in einer Unterschriftensammlung hieß, wollte sich die „Katzenmusik“ der „Langhaaraffen“ nicht länger gefallen lassen und forderte die Abberufung des Pastors. Weißbach warb auf einer Gemeindeversammlung für seine umstrittenen Neuerungen. Er wolle die „Eckensteher“ mit ihrer Orientierungslosigkeit und ihrem Aufbegehren nicht allein lassen, rechtfertigte er sich. „Alle Menschen wollen liebgehabt werden.“
Bischof Wölber überzeugte er von seiner Arbeit. Die Hamburger Kirche übernahm die Kosten für den Rechtsanwalt, denn es hagelte Anzeigen: Nachbarn fühlten sich vom Lärm gestört, und manchmal gingen auch Fensterscheiben zu Bruch. Auch bot Weißbach Jugendlichen Unterkunft, die aus Heimen ausgebüxt waren. Dann musste er nicht nur Nachbarn beschwichtigen, sondern auch die Polizei.
Für seine offene Jugendarbeit hatte er den Konfirmandensaal neben seinem Pastorat zu einer Rockerdisco mit Ausschankerlaubnis umgebaut. Nach und nach kamen immer mehr „Rocker“ zum Trinken, Rocken und Abhängen. „Da ging es nicht immer sittsam zu“, gibt Weißbach heute zu. „Manche kamen extra, um auf die Kacke zu hauen.“
Weißbach sorgte für Ordnung und hatte manchmal auch Angst vor der Gewalt. Schließlich aber gewann er das Vertrauen der Jugendlichen. Kapernaum wurde ihre feste Adresse, Weißbach ihr Beichtvater. Die „Kerngemeinde“ bezog er mit ein. „Ich habe versucht, alle zusammenzuhüten. Tolerieren heißt ja auch erdulden.“
Eine Nagelprobe war der alljährliche Weihnachtsgottesdienst, in dem die verschiedenen Gruppen aufeinanderprallten. Einmal sei einer aufgestanden und habe gesagt: „Ich habe auch kein Zuhause.“ Die Gemeinde habe ihn am liebsten herausdrängen wollen. Er jedoch habe ihn umarmt: „Den Hass mit Liebe zu unterwandern – das war meine Methode.“
Nach sieben Jahren wechselte er nach Bargteheide (bei Hamburg). Mit den Dienstjahren stieg auch das Alter seiner Gemeinde: Auch nach seinem Ruhestand war der Nikolai-Pastor im „Hospital zum Heiligen Geist“ in Poppenbüttel tätig. Mit einigen Rockern trifft er sich bis heute. Besonders stolz ist er auf einen Pullover, den sie ihm geschenkt haben. Er hat den Aufdruck „Rocker Veterans – Pastor“.