Morethanshelters plant mobile Unterkünfte im Baukastensystem für Flüchtlinge. Ende des Jahres soll die Produktion beginnen.
Hamburg. Flüchtlingslager erhalten ein neues Gesicht - zumindest wenn sich die Vision einer Hamburger Initiative durchsetzt. Bisher bestehen sie zumeist aus weißen Zelten, die in Reihen oder ungeordnet nebeneinanderstehen. Künftig sollen Iglu-ähnliche Hütten den Menschen als Behausung dienen. "Wir wollen die bisherige Zeltstadt revolutionieren", sagt Daniel Kerber, Geschäftsführer von Morethanshelters, was man frei wohl am besten mit "mehr als ein Zuhause in der Not" übersetzen könnte. Er entwickelt mit seinem Team derzeit vier Modelle für die verschiedenen Klimazonen. Kerber: "Ende des Jahres werden wir die erste Version fertig haben, die wir vermarkten können."
Kerber lehrt an der Hochschule für bildende Künste soziales Design. Wie prägen Räume den Menschen und wie der Mensch seine Umgebung ist der Mittelpunkt seiner Arbeit. Künstlerstipendien und Architekturprojekte führten ihn in den vergangenen 15 Jahren nach Süd- und Mittelamerika und auf den afrikanischen Kontinent. Es waren Aufenthalte, bei denen er immer wieder auch die Not der Menschen erlebt hat, die in teils dürftigen Behausungen in Flüchtlingslagern oder Slums wohnen. Der Auslöser für die Gründung von Morethanshelters war aber ein Besuch in Japan. "Es gab unzählige Hütten aus Plastikplanen, Holz und Pappe, die überall standen - in Stadtparks, unter Brücken und an Autobahnen", sagt Kerber. Aufgeschreckt von der alarmierenden Zahl von drei Milliarden Menschen, die laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen 2050 in ungesunden oder unsicheren Behausungen leben werden, gründete er vor sechs Jahren die Organisation. Ihr Ziel ist die Entwicklung innovativer, nachhaltiger Architektur- und Designkonzepte für humanitäre Zwecke. Kerber: "Wir möchten immer mehr Menschen ein besseres Zuhause bieten und ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen."
Die von ihm entworfenen Gebäudemodule bestehen aus einem Boden, dem Tragwerk und der Außenhülle. Mit drei Kollegen hat er bisher ein Funktionsmodell mit 24 Quadratmeter Grundfläche hergestellt. "Die Produktion werden wir nach und nach aufbauen, wir starten zum Jahresende." Während der Boden bei normalen Zelten stets nur aus einer Plane bestehe, soll er bei den Unterkünften von Morethanshelters den verschiedenen Klimazonen angepasst werden. So müsse er in den Tropen erhaben sein, um die Feuchte herauszubekommen. In kalten Gebieten soll er eine isolierende Schicht bekommen, um den Frost abzuhalten. "Bei den Materialien setzen wir auf lokale Lösungen", sagt Kerber. Sand, Filz, Stroh, Lehm, Palmwedel - alles sei denkbar. "Das Tragwerk soll aus ökologisch abbaubarem Kunststoff bestehen", sagt Kerber. Derzeit würden die Angebote verschiedener Hersteller geprüft. Auch die Hülle solle aus Stoffen bestehen, die in der Region vorkommen. Bauphysiker des Fraunhofer Instituts, wie die Innovationsstiftung Hamburg oder dem Beratungsinstitut EPEA, einer von mehreren Partnern von Morethanshelters, tüfteln an der Luftzirkulation.
Über ein Steck-/Klammersystem werden die drei Teilstücke miteinander verbunden. Zu Details will sich Kerber nicht äußern. "Das ist eine technische Innovation, unser Alleinstellungsmerkmal. Die Unterkünfte sind per Hand, leicht und schnell aufzubauen." Das System funktioniere wie ein Baukasten. Mehrere Hütten können miteinander verbunden werden, auch Fenster solle es geben. Sei ein Teil beschädigt, werde es ausgetauscht. Kerber: "Bisher wurden Zelte, die kaputt sind, weggeschmissen und neue gekauft."
Nachhaltigkeit ist Kerber aus dreierlei Sicht wichtig. Die Unterkünfte ließen sich später wieder in ihre Einzelteile zerlegen. "Die Trennbarkeit der Materialien und ihr späterer Wiedereinsatz ist der übergeordnete Aspekt dabei aus ökologischer Sicht", sagt der Geschäftsführer. Aus wirtschaftlicher Sicht möchte er die Handwerker vor Ort einbinden, neben dem Aufbau der Behausung sollen sie auch Zulieferer sein. "Sie sollen vor Ort mit den vorhandenen Materialien ein ökonomisches System aufbauen", sagt Kerber. Weil sich die Gebäude schnell auf- und abbauen lassen, seien sie auch bei einem sozialen Aufstieg der Bewohner an anderer Stelle für einen Wiederaufbau geeignet.
"Unsere Motivation ist die Verbesserung der sozialen Lage der Menschen", sagt Kerber. Morethanshelters ist sowohl ein eingetragener Verein als auch eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Als sogenanntes Social Business können Gewinne eingefahren werden und den Geschäftsführern auch Gehälter gezahlt werden. Deswegen verfolgt Kerber eine Zweiwegestrategie. Für Zeltstädte in Flüchtlingslagern will er den Nichtregierungsorganisationen die Unterkünfte nahezu zum Herstellungspreis überlassen. Zum anderen will er aber auch neue Märkte erschließen, indem er zum Beispiel den Betreibern von Festivals seine Modulgebäude verkauft. Mehreinnahmen fließen dann laut Kerber in den Verein: "Je mehr wir verdienen, desto größer ist unser sozialer Einfluss."