In ausrangierten Mobiltelefonen verbergen sich viele wertvolle Rohstoffe. Die TU Harburg forscht, wie diese zurückgewonnen werden können.

Hamburg. Für viele Menschen sind Mobiltelefone – vor allem die smarten Alleskönner unter diesen Geräten – Statussymbole. Und für manche sind sie sogar Preziosen, die sie kostbar mit Gold und Glanz aufrüsten, nutzbare Schmuckstücke, die mit dem Rest der Welt verbinden. Dabei verbergen sich sogar in den unscheinbarsten Vertretern der Spezies Handy wahre Schätze, die vielfach völlig ungenutzt in Schubladen verstauben oder auf dem Müll verschwinden.

Ausrangierte Mobiltelefone sind buchstäblich Gold wert. In jeder Tonne Handyschrott stecken 300 Gramm Gold. Eine schlichte Rechnung: Ab einem Kilo Handy gibt es einen Ehering. Und noch weitere wertvolle Stoffe wie Platin, Kobalt, Tantal und sogenannte seltene Erden wie Europium und Neodym sind in den Handys verbaut.

Fast so wertvoll wie Gold ist beispielsweise für die Industrie das Neodym: Dieses seltene Erdmetall ist wesentlicher Bestandteil von Dauermagneten. Die weltweite Nachfrage, vor allem für die Herstellung von elektrischen Produkten sowie von Technik im Bereich der erneuerbaren Energien, wird nach Schätzung von Experten das Angebot schon in wenigen Jahren übersteigen. Umso wichtiger sind also Verfahren zum Recycling von Neodym und seinen Verwandten. Die Handys sind dabei theoretisch wahre Minen. In den weitweit jährlich weit mehr als eine Milliarde produzierten Mobiltelefonen werden über 250 Tonnen Silber, 24 Tonnen Gold und neun Tonnen Palladium verarbeitet – und im schlimmsten Fall vergessen.

Also Recycling. Doch leider ist die Goldsuche im Bereich der Handys mindestens so mühsam wie im Bergwerk. Das berichtet Professorin Kerstin Kuchta vom Institut für Umwelt- und Energiewirtschaft, Lehrstuhl für Abfallressourcenwirtschaft, an der technischen Universität Hamburg-Harburg. Sie forscht mit ihrem Team nach Verfahren, mit denen neben Gold auch andere seltene Metalle aus dem Müll aus Metall und Kunststoffen effektiver als bisher herausgezogen werden können. Denn bislang lässt sich aus Elektro-Schrott, der täglich weltweit in Tonnen anfällt, nicht einmal ein Viertel der darin verborgenen Edelmetalle gewinnen. „Viel zu wenig in Zeiten, in denen wir schonend mit Ressourcen umgehen müssen“, sagt Kuchta. „Beim derzeitigen Goldpreis müssen wir herausholen, was geht. Wir können es uns nicht leisten, Gold wegzuwerfen.“ Und für den Bereich der seltenen Erden sei es zum Teil so, dass beispielsweise Länder wie China wegen der raren Vorkommen die Preise auf dem Weltmarkt diktieren können. Gleichzeitig gehe die Förderung dieser Metalle in manchen Regionen mit erheblichen Umweltzerstörungen einher. Denn für den Abbau werden sowohl bei Edel- als auch Seltenerdmetallen Säuren und Laugen eingesetzt. Diese Prozesse belasten die Umwelt in hohem Maße. Umso wichtiger sei ein effizientes Recycling von Elektroschrott, zumal die Konzentration von Seltenerd- und Edelmetallen in elektrischen Geräten in der Regel höher ist als in natürlichen mineralisches Vorkommen, sagt Kuchta. Geldwert und Umwelt – doppelter Grund also für die Wissenschaftler, sich um das Recycling zu bemühen.

Das Problem bei der Rückgewinnung der teuren Rohstoffe liegt in den geringen Konzentrationen, in denen sie verarbeitet wurden. In der Vergangenheit setzte man bereits auf zwei Verfahren: Die sogenannte kalte Aufbereitung, bei der der Schrott zunächst geschreddert wurde, danach sortierte man in einem mechanischen Verfahren die metallischen Bestandteile aus. Das sogenannte heiße Verfahren schmilzt den Schrott bei Temperaturen bis über 2000 Grad und gewinnt so die Metalle, die anschließend getrennt und je nach Güte weiter verwertet werden könnten. Doch all das gibt es für seltene Erdmetalle bisher nur im Labor. Geeignete großtechnische Anlagen, die die wertvollen Stoffe in großem Umfang gewinnen können, fehlen auch weiter. Genau daran arbeitet Kuchta mit ihrem Team.

Am Institut für Umwelt- und Energiewirtschaft entwickelt eine Forschergruppe Verfahren zum Recycling von Elektroschrott unter besonderer Berücksichtigung der Seltenen Erden. Im Mittelpunkt steht die Konzeption einer mechanischen Aufbereitungsanlage, die erstmals im industriellen Prozess die Rückgewinnung dieser Seltenerdmetalle erlaubt. Die werden für die Produktion von Energiesparlampen, Computern, Mobiltelefonen und Windrädern gebraucht. Edelmetalle wie Gold oder Silber kommen wegen ihrer herausragenden Kontakteigenschaften in nahezu allen Elektrogeräten zum Einsatz.

Doch die Harburger gehen auch ganz neue Wege. Aktuell läuft von Seiten der TU beim Bundesministerium für Bildung und Forschung ein Antrag für ein Forschungsvorhaben, das auf sogenannte Biosorption setzt. Beteiligt sind auch Wissenschaftler aus Istanbul, sagt Kuchta. Die Idee des Projekts ist: Die wertvollen Substanzen in den minimalen Konzentrationen werden mithilfe biotechnologischer Prozesse gewonnen. Im aktuellen Fall sind in den Labors der TU Algen (Chlorella Vulgaris, auch in der Alternativmedizin gefragt) als kleine Helfer im Einsatz, um vor allem die seltenen Erden wieder zu gewinnen. Sie helfen, die Metalle aus dem Schrott zu locken.

Allerdings ist der Weg zum Erfolg noch lang. „Frühestens in fünf Jahren“, sagt Kuchta, „wird es industrielle Verfahren geben, um zum Beispiel aus Handys mehr als Gold und generell aus Elektro-Schrott andere wertvolle Metalle zu lösen“. Ein weiteres Problem neben der Entwicklung geeigneter Recycling-Technologien sei es, überhaupt erst einmal an die kleinen Elektrogeräte, wie zum Beispiel Handys heranzukommen, die in vielen Schubladen verstauben. „Deshalb fehlt bislang auf dem Recycling-Markt noch die kritische Masse, um Großanlagen für das Recycling von seltenen Metallen zu bauen“, sagt Kuchta. Die Europäische Umweltbehörde gibt an, dass die Menge an Elektroschrott dreimal schneller wächst als jede andere Abfallart. Jedoch kann bislang höchstens ein Viertel der darin enthaltenen Edelmetalle zurück gewonnen werden. Der große Rest der wertvollen Stoffe bleibt in den Rückständen der Recyclinganlagen. Und was die Handys angeht, so gelangen von den jährlich 35 Millionen in Deutschland verkauften Geräten laut Bundesumweltamt nur maximal fünf Prozent in den Recyclingprozess. Bleibt viel zu tun für die Schatzsucher. Die Goldsuche im Müll hat unterdessen auch Auswirkungen auf Unternehmen wie die Stadtreinigung. Die Mitarbeiter werden sich mehr und mehr der Tatsache bewusst, dass sie nicht nur den Dreck der anderen wegputzen, sondern dass sie auch mit wertvollen Ressourcen hantieren.

Kerstin Kuchta ist Tochter eines Absolventen der Ingenieur-Schule Hamburg, der Vorläuferin der heutigen Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW). Auch sie zog es zu den Ingenieurswissenschaften. Sie studierte an der TU Berlin und machte ihr Diplom zum Thema Nutzung von Wasserwerkschlämmen in der Abwasserbehandlung. Auch danach arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Darmstadt im Fachbereich Bauingenieurwesen zum Thema Abfall- und Abwassertechnik. Anschließend wechselte sie in die Wirtschaft als Geschäftsleiterin der ITU GmbH – zunächst in Berlin und Dieburg, dann in Luxemburg: Nächster Schritt: Geschäftsführerin der kuchtagroup umwelt & management gmbh Darmstadt. Dabei spezialisierte sich die Hamburgerin auf Umwelttechnik und Umweltmanagement und interessiert sich besonders für die CO2-Bilanzen bei der Energieerzeugung und Abfallbehandlung. 2002 folgte die Berufung als Professorin an die HAW Hamburg und 2011 an die TUHH. Neben Forschung, Lehre und Reisen betreibt sie auch weiter gemeinsam mit ihrem Vater Bernhard Kuchta ein Ingenieurbüro, das sich um Planung und Beratung bei umwelttechnischen Anlagen kümmert.

Als Gründungsdekanin der ingenieurwissenschaftlichen Fakultät war Kuchta von 2008 bis 2010 an der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty tätig. In Istanbul veranstaltete sie an der Bosporus-Universität 2006 und 2008 Summer-Schools zu „Abwasser und erneuerbare Energien“. Die Kontakte zu beiden Universitäten pflegt sie im Sinne der Umwelt auch weiter. „Die Abfallressourcenwirtschaft ist ein globales Thema“, sagt sie. Für das Recycling und die Produktion von Metallen gelten in Kasachstan und Türkei die gleichen Regeln wie in Europa. Auch China oder Brasilien sei hier ein interessanter Markt.