16- und 17-Jährige sollen an Bürgerschafts- und Bezirkswahlen teilnehmen dürfen. Neues Gesetz mit Zweidrittelmehrheit beschlossen
Altstadt. In Hamburg sollen künftig bereits 16-Jährige das Parlament wählen können. Die Bürgerschaft beschloss am späten Mittwochabend in zweiter Lesung die Absenkung des Wahlalters mit einer Zweidrittelmehrheit. Schon in der ersten Abstimmung vor drei Wochen hatte sich eine deutliche Mehrheit für die Änderung des Hamburger Wahlrechts ausgesprochen. Damit hat Hamburg über Nacht rund 25.500 Erstwähler dazubekommen. Nur die CDU stellte sich in Fraktionsstärke gegen die Pläne.
Die Christdemokraten kritisierten die Wahlen mit 16 am Mittwoch erneut, unter anderem, weil ein Unterschied zwischen dem Alter gemacht werde, in dem Jugendliche wählen können, und dem Alter, in dem sie selbst gewählt werden können. Das ist erst von 18 Jahren an möglich.
Außerdem sei man sich nicht sicher, ob die Absenkung des Wahlalters tatsächlich im Sinne der Jugendlichen sei, sagte André Trepoll, verfassungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Offensichtlich ist es nicht der Fall, dass Jugendliche gerne bereits mit 16 wählen würden“, sagte Trepoll mit Hinweis auf eine aktuelle Umfrage an zwei Bergedorfer Gymnasien. Von den 300 befragten Schülern des Luisen- und des Hansa-Gymnasiums sollen sich 73 Prozent gegen das Wahlrecht mit 16 ausgesprochen haben.
Deshalb hatte die CDU noch am Mittwoch einen Antrag in die Bürgerschaft eingebracht, mit dem sie die Abstimmung über die Änderung des Wahlrechts verhindern wollte. Anstatt die Absenkung des Wahlrechts in zweiter Lesung zu beschließen, sollte das Vorhaben noch einmal im Ausschuss beraten werden. Das ist nun nicht mehr nötig.
Seit Jahren wird in Hamburg über eine Änderung des Wahlrechts diskutiert. Allein in dieser Legislaturperiode befasst sich das Parlament seit beinahe zwei Jahren mit dem Vorhaben – angestoßen von den Grünen. „Wählen ab 16 ist für mich ein wichtiger Beitrag zur Generationengerechtigkeit und die klarste Form der politischen Teilhabe“, sagte die jugendpolitische Sprecherin Christiane Blömeke am Rande der Bürgerschaftssitzung. „Für uns steht im Vordergrund, den 16- und 17-Jährigen das demokratische Recht zu geben, mitzuentscheiden und für ihre Interessen einzutreten“, sagte SPD-Kollegin Barbara Duden, die zudem die CDU scharf anging: „Seit rund anderthalb Jahren haben wir in den parlamentarischen Gremien intensiv beraten, das Pro und Kontra sehr sorgfältig abgewogen.“ Das Verhalten der CDU sei fadenscheinig.
In der Tat hat sich die Bürgerschaft intensiv mit den Argumenten für und gegen eine Absenkung auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt standen unter anderem die Fragen, wann Jugendliche reif genug sind, um eine Wahlentscheidung verantwortungsvoll treffen zu können und welche Einflüsse die Jungwähler auf Wahlergebnisse haben.
Schülerinnen und Schüler des Matthias-Claudius-Gymnasiums in Wandsbek beschäftigten sich mit denselben Fragen. Yash Luthra war mit seinen Mitschülern in der Bürgerschaft zu Besuch. Der 14-Jährige sieht das Absenken des Wahlalters kritisch. „Ich finde das nicht so gut, weil ich der Meinung bin, dass 16-Jährige nicht über das nötige politische Wissen verfügen.“ Dementsprechend würde er auch selbst nicht wählen gehen. Sein Klassenkamerad Tristan Busch sieht das anders. Wenn er sich ganz sicher sei, dass es eine Partei gibt, die mit dem übereinstimme, was er sich unter einer guten Politik vorstelle, würde er wählen gehen – auch wenn er noch nicht volljährig sei, sagt der 14-Jährige. Er finde wählen mit 16 recht gut. „Dann kann sich niemand beschweren, dass ihm die Politik nicht gefällt, weil er die Politiker ja mitgewählt hat.“ Aber auch andere der Neuntklässler haben die Sorge, dass nicht alle 16-Jährigen in der Lage sein könnten, eine gut überlegte Wahlentscheidung zu treffen.
„Es gibt kein natürliches oder wissenschaftlich erwiesenes Alter, ab dem Menschen eine Wahlentscheidung treffen können“, sagt Kai-Uwe Schnapp, Politikwissenschaftler an der Uni Hamburg. „Es gibt eine Reihe von Argumenten, die dafür sprechen, das Wahlalter abzusenken, und einige, die dagegensprechen. Ich glaube aber, dass die Bürgerschaft eine angemessene Entscheidung trifft, wenn sie beschließt, dass in Hamburg künftig Jugendliche ab 16 Jahren wählen können“, sagte Schnapp kurz vor der Abstimmung.
Reaktionen wie die der befragten Schüler zeigten, dass sich Jugendliche sehr kritisch damit auseinandersetzen, ob sie wählen sollten oder nicht. Sorgen vor radikalen Tendenzen, vor allem in die rechte Richtung mache sich Schnapp nicht. „Das jugendliche Wählerspektrum tendiert eher nach links“, sagt er. Es gebe immer eine Reihe von Extremwählern, diese machten aber nicht die Masse aus.
Tatsächlich gebe es auch unter Jugendlichen eine – je nach Stimmung – erhebliche Bereitschaft zu Alltagsrassismus und Ressentiments gegen Andersdenkende, sagt der Politologe Hajo Funke von der Freien Universität Berlin. Das seien Stimmungen, mit denen etwa die NPD Wahlkampf mache. „Allerdings ist es ein riesiger Unterschied, ob ein junger Mensch ausländerfeindliche Vorurteile hat oder am Ende tatsächlich den Schritt geht und eine neonazistische und gewaltverherrlichende Partei wie die NPD wählt“, so Funke.
Auch der Geschäftsführer des Wahlforschungsinstituts Emnid, Klaus-Peter Schöppner, sieht durch ein neues Wahlrecht für Jugendliche keine Gefahr für die Demokratie von rechts außen. „Radikalisierung ist bei der Wahl keine Frage des Alters.“ Junge Menschen würden sich eher an den politischen Präferenzen der Eltern orientieren und von ihnen die Stimmungen über Parteien und Politiker von den Eltern aufnehmen. „Und die Eltern wählen in der Mehrheit traditionell SPD oder CDU“, sagte Schöppner. „Autonomie im Wahlverhalten gewinnen junge Menschen erst ab Mitte 20. Dann steigen auch die Stimmen für Grüne.