Kirche, Verbraucherzentrale und Mieterverein befürworten Netzerückkauf. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Volksentscheid.
Hamburg. Soll die Stadt Hamburg die Energienetze komplett zurückkaufen? Oder reichen die 25,1 Prozent, die ihr an den Strom-, Gas- und Fernwärmeleitungen bereits gehören? Darüber dürfen die Hamburger am 22. September parallel zur Bundestagswahl in einem Volksentscheid abstimmen. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Abendblatts ergab vergangene Woche, dass 64 Prozent der Hamburger für den Rückkauf sind - damit ist absehbar, dass der Senat möglicherweise mit einem Milliardenproblem konfrontiert wird. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wer steht hinter der Initiative?
Träger der Initiative sind die Organisationen Attac Hamburg, der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz), der Bereich Diakonie und Bildung des Evangelischen Kirchenkreises Hamburg-Ost, die Initiative "Moorburgtrasse stoppen!", Robin Wood und die Verbraucherzentrale Hamburg. Zu den "Aktiven Unterstützern" zählen die Organisationen Campact, DHV (Genossenschaftlicher Prüfungsverband), Germanwatch, Global Marshall Plan Initiative und der Mieterverein zu Hamburg. Politisch geben die Grünen und die Linkspartei der Initiative Rückenwind. Der Grüne Ex-Justizsenator Till Steffen ist der Anwalt der Initiative. Auch Prominente wie der Musiker Jan Delay und der Schauspieler Peter Lohmeyer werben für den Rückkauf der Netze.
Was fordert die Initiative und warum?
Die Forderung, über die beim Volksentscheid abgestimmt werden soll, lautet: "Senat und Bürgerschaft unternehmen fristgerecht alle notwendigen und zulässigen Schritte, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze 2015 wieder vollständig in die öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien."
Die Initiative kritisiert, dass die Netze in Hamburg bislang mit Vattenfall und E.on zwei Konzernen gehörten, die vor allem auf gefährliche Atomkraftwerke und klimaschädliche Kohle setzten. Um eine "ökologische Energiewende" einleiten zu können, müsse die Stadt die Netze besitzen und betreiben.
Wie finanziert sich die Initiative?
Durch Spenden und Zuwendungen. Der Rechenschaftsbericht der Initiative weist für das Jahr 2010 Einnahmen in Höhe von 18.273,95 Euro aus und für das Jahr darauf 84.016,66 Euro. Die größten Spenden im Jahr 2011 stammen vom BUND. Dessen Bundes- und Landesverband kamen zusammen auf gut 21.000 Euro. Dann folgen die Diakonie und Bildung des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Ost (15.500 Euro), die Verbraucherzentrale (rund 7000 Euro) und Robin Wood und Klima-Allianz mit je 5000 Euro. Im vorigen Jahr sind laut Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND und Sprecher der Initiative, keine nennenswerten Eingänge zu verzeichnen gewesen, da es keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten gegeben habe. Das werde sich in diesem Jahr ändern, weil die Initiative zu Spenden aufrufen werde.
Das Finanzamt Nord wirft dem BUND eine gesetzeswidrige Spendenpraxis vor. Die Umweltschutzorganisation geht dagegen gerichtlich vor. Wie weit ist das Verfahren?
Noch läuft es. Der BUND hat das Finanzamt Nord vor dem Finanzgericht verklagt. Der Klage gingen Vorwürfe der illegalen Spendenpraxis im Zusammenhang mit der Initiative durch den Bürgerschaftsabgeordneten Walter Scheuerl (parteilos) voran. Es geht um Spendenquittungen des BUND aus den Jahren 2010 und 2011 für Zahlungen auf ein Konto, das zur Finanzierung der Initiative eingerichtet wurde. Im Kern lautet der Vorwurf, dass politische Aktivitäten keine gemeinnützige Tätigkeit seien. Folglich können Spenden dann auch nicht von der Steuer abgesetzt werden. Dieser Auffassung folgt auch das Finanzamt Nord. Der BUND ist gegenteiliger Meinung. Dessen Geschäftsführer Braasch sagt: "Damit verkennt das Finanzamt Nord nach unserer Auffassung den Grundsatz der direkten Demokratie, die Vereinen eine Beteiligungsmöglichkeit einräumen muss."
Wie begründet die Verbraucherzentrale ihr Engagement?
Die Verbraucher hätten zum einen ein Interesse am Klimaschutz, zum anderen aber auch am Wettbewerb im Energiesektor, erklärt Günter Hörmann, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale. Wenn der Netzbetreiber gleichzeitig Energieerzeuger sei, gefährde dies den Wettbewerb. "Wir erhoffen uns vom Rückkauf der Netze, dass durch mehr Wettbewerb die Preise für die Verbraucher sinken."
Wie begründet die evangelische Kirche ihr Engagement?
Die Kirche setze sich grundsätzlich für die Bewahrung der Schöpfung, für Klimaschutz und Energiewende ein, sagte Susanne Gerbsch, Sprecherin von Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs. Eine abgeschlossene Position zum Netzerückkauf gebe es aber nicht. Dieses Thema werde in der Kirche derzeit diskutiert. Gerbsch wies darauf hin, dass die Unterstützung der Initiative eine autonome Entscheidung des Fachbereichs Diakonie und Bildung des Kirchenkreises Hamburg-Ost gewesen sei.
Wer sind die Gegner der Initiative, und welche Argumente haben sie?
Die Gegner der Initiative sind nicht als Gruppe organisiert. An ihrer Spitze stehen der SPD-geführte Senat und die SPD-Fraktion. Ihr Hauptargument: Die Stadt hat ja bereits 25,1 Prozent der Netze von Vattenfall und E.on erworben - für 543 Millionen Euro. Das sei völlig ausreichend, um auch Einfluss auf die Energieproduktion zu bekommen. Mit der gleichzeitig ausgehandelten Verpflichtung der beiden Konzerne, 1,6 Milliarden Euro in klimafreundliche Projekte zu investieren, sei die Energiewende bereits eingeleitet. Mehr könne die Stadt auch nicht bekommen, wenn sie die Netze komplett besäße. CDU und FDP sowie die Handelskammer stehen an der Seite der SPD - allerdings mit dem Unterschied, dass sie bereits den 25,1-Prozent-Erwerb abgelehnt hatten.
Kann die Verfassungsgerichtsklage der CDU den Volksentscheid noch stoppen?
Was sie zu ihrer Regierungszeit bis Anfang 2011 verpasst hatte, hat die CDU nun in der Opposition nachgeholt: Sie hat den Volksentscheid vors Verfassungsgericht gebracht. Aus Sicht der CDU-Bürgerschaftsfraktion darf er nicht stattfinden oder wäre ungültig, weil zum einen die Forderung ("sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung") viel zu schwammig ist. Außerdem handele es sich um einen unzulässigen und damit verfassungswidrigen Eingriff in den Haushalt der Stadt. Über eine Ausgabe von mindestens 1,5 Milliarden Euro dürfe nur die Bürgerschaft entscheiden, die das Budgetrecht ausübe. Das Gericht berät derzeit über die Klage. Wann eine Entscheidung fällt, ist noch offen.
Was passiert, wenn die Initiative gewinnt?
Die Kosten für einen Rückkauf beziffert der Senat auf mehr als zwei Milliarden Euro. Die Rückabwicklung gibt den Energieversorgern die Möglichkeit, von den zugesagten 1,6-Milliarden-Euro-Investitionen zurückzutreten.