Online-Händler machen es kleinen Einzelhändlern schwer, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Als Folge veröden die Einkaufsstraßen.

Rund um die Hauptstraße ist die Einkaufswelt noch in Ordnung. Die Vielfalt unterschiedlichster Einzelhändler lockt auch Kunden aus anderen Stadteilen nach Ottensen. Ein Gespräch mit Nicole Christiansen, Inhaberin der ältesten Buchhandlung der Stadt, Christian Alder, der soeben ein Modegeschäft eröffnet hat, und Kai Christophersen, Inhaber eines Ladens für Hängematten, über das Überleben im Zeitalter des Internets.

Hamburger Abendblatt: Frau Christiansen, Herr Adler, Herr Christophersen, wann haben Sie das letzte Mal etwas privat im Internet bestellt?

Kai Christophersen: Privat bestelle ich fast nichts im Internet. Ich halte es für wichtig, den lokalen Handel zu unterstützen. Für meinen Laden brauchte ich jetzt Polsterfolie, die gibt es fast nur noch bei Händlern im Netz.

Christian Adler: Ich war neulich auf der Amazon-Seite und wollte ein Buch für meine Kinder bestellen. Ist ja sehr bequem. Aber dann habe ich mir gedacht, das kann ich jetzt wirklich nicht machen. Schließlich kooperiere ich ja mit der Buchhandlung Christiansen, verkaufe auch Bücher aus ihrem Sortiment.

Nicole Christiansen: Ich habe im Netz nach einer Ferienwohnung für die Sommerferien gesucht. Aber letztlich fündig geworden bin ich durch einen Tipp in einem Reiseführer. Die gefiel mir so gut, dass ich einfach angerufen und die Wohnung reserviert habe.

Ist das Internet für Sie als Einzelhändler Bedrohung oder Chance?

Christiansen: Beides. Natürlich bedroht das Internet unser Geschäft. Im Netz bin ich nur einen Klick von meinem gewünschten Buch entfernt. Die Parkplatzsituation vor unserem Geschäft ist dagegen katastrophal. Zudem habe ich etwa 10.000 Bücher auf Lager, bei Amazon gibt es fast jedes gewünschte Werk. Doch das Internet ist auch eine Chance. Es animiert uns jeden Tag, unser Profil zu schärfen, unsere Serviceleistungen zu verbessern.

Was meinen Sie konkret?

Christiansen: Wir organisieren Lese-Nachmittag extra für Jungs, bei uns treffen sich Literaturkreise. Und die Beratung wird für uns immer wichtiger. Übrigens übersehen viele, dass Amazon eigentlich keinen Zeitvorteil hat. Auch bei uns ist das gewünschte Buch in aller Regel am nächsten Tag da, und wir liefern auch nach Hause.

Adler: Mein Geschäft würde es ohne das Internet gar nicht geben. Nur über das Netz kann ich unbekannte Label, etwa aus den USA, recherchieren und dann die Ware bestellen.

Erleben Sie den Albtraum vieler Einzelhändler, dass Kunden im Geschäft mit ihrem Smartphone den Barcode abscannen, den günstigsten Preis im Internet recherchieren und dann feilschen wollen?

Adler: Solche Probleme hatte ich nur bei Uhren, die ich bei einem Hersteller in Süddeutschland bestellt habe, und die ohne Wissen der Firma über einen Zwischenhändler im Internet vertrieben wurden. Ansonsten konzentriere ich mich auf exklusive ausländische Label, die nicht so einfach über das Internet zu bestellen sind. Wer dennoch die Preise im Netz vergleicht, stellt fest, dass angesichts der höheren Versandkosten mein Preis okay ist, zumal man bei mir die Sachen auch anprobieren kann.

Christophersen: Das ist in meiner Branche schwieriger. Hängematten gibt es viele im Internet. Und die Kunden vergleichen oft nur Farbe, Größe, Form und Preis. Im Internet können Sie keine Matte anfassen, um die Webqualität zu prüfen. Unsere Hängematten werden extra für uns von Lieferanten in Südamerika gewebt, sind entsprechend langlebiger. Ware aus Asien führe ich eigentlich nur aus Gründen der Abschreckung.

Aber auch bei Ihnen gibt es Hängematten für fünf Euro…

Christophersen: Ich würde mich da nicht reinlegen, aber für Trekking sind sie durch das leichte Nylon praktisch. Weil auch Aldi ab und an mal Hängematten für ganz kleines Geld verkauft, bin ich gezwungen, die ganze Bandbreite anzubieten. Das gilt auch für die Farben. Kunden sehen im Netz ein ganz bestimmtes Muster, das wollen sie dann hier im Laden kaufen. Ich halte viel mehr Ware vor als früher.

Frau Christiansen, der Buchhandel steckt in der Krise. Thalia schließt demnächst die Filiale am Großen Burstah. Ihr Geschäft gibt es seit 1878. Haben Sie es schwerer als Ihre Vorgänger-Generationen?

Christiansen: Nein, auf keinen Fall. Denken Sie nur an den Großvater meines Mannes, der 1943 miterleben musste, wie das Geschäft nach einem Bombenangriff komplett zerstört wurde. Er musste bei Null wieder anfangen. Mein Schwiegervater musste Anfang der 1990er die Konkurrenz durch den Einzug der Buchhandlung Weiland, jetzt Hugendubel, ins Einkaufszentrum Mercado verkraften. Plötzlich gab es einen Konkurrenten mit einer viel größeren Verkaufsfläche, unser Jahres-Umsatz brach um 100.000 Mark ein.

Aber Amazon und Co. nehmen Ihnen doch viel Umsatz weg?

Christiansen: Dennoch wachsen wir jedes Jahr, wenn auch in bescheidenem Maß. Wir profitieren allerdings auch von unserem Standort in Ottensen, einem Stadtteil mit vielen Kulturinteressierten. Und wir sind hier sehr gut verankert, auch durch unser Engagement beim Straßenfest Altonale. Die Kollegen in kleineren Städten haben es deutlich schwerer.

Amazon und Co. können riesige Logistikzentren an der Peripherie bauen. Sie brauchen zentrale Lagen mit entsprechend hohen Mieten.

Christophersen: Ich habe zum Glück einen Vermieter, der früher selbst einen Laden hatte. Der weiß, dass jede Steigerung erst einmal erwirtschaftet werden muss.

Adler: Wenn man neu eröffnet, ist es schwierig, überhaupt ein geeignetes Objekt zu finden. Ich habe hier abenteuerliche Abstandsforderungen von Vormietern erlebt. Die wollten 30.000 bis 100.000 Euro für die Weiterempfehlung an den Eigentümer.

Ist das denn legal?

Christophersen: Offiziell läuft das dann als Abstand für die Einrichtung. Wobei man die Einrichtung sowieso am Ende in aller Regel rausschmeißen wird.

Adler: So ist es. Zum Glück habe ich dann doch Räume ohne Abstandsforderung gefunden.

Christiansen: Da können wir ja richtig froh sein, dass die Immobilie unserer Buchhandlung uns gehört.

Wie und wo entstehen Ihre Ideen für Aktionen?

Christiansen: Meine Tochter musste mal in ihrer Klasse Bücher präsentieren. Daraus wurden dann später unsere Lesenachmittage für Kinder. Wichtig ist, dass man glaubhaft und authentisch bleibt. Aktionen wirken sonst schnell aufgesetzt.

Adler: Glaubwürdigkeit ist der Schlüssel. Ich verkaufe nur Mode, die ich auch selbst tragen würde. Der Kunde merkt sofort, wenn ich nicht hinter dem Produkt stehe. Das ist in einer Buchhandlung wahrscheinlich unmöglich.

Christiansen: Wir hatten in der Tat mal überlegt, ob wir den Bestseller von Thilo Sarrazin verkaufen sollen. Am Ende haben wir es gemacht, weil ich mich nicht zur Richterin über die freie Meinungsäußerung aufspielen möchte. Aber das Buch lag zumindest nicht direkt an der Kasse.

Herr Christophersen, sind Ihre Preise im Netz und im Geschäft eigentlich immer gleich?

Christophersen: Nicht zwingend. Mitunter habe ich im Netz spezielle Angebote. Im Geschäft zeige ich viele Hängematten, da dauert die Beratung bis zu einer Stunde. Beim Internetverkauf brauche ich fünf Minuten, um Kauf und Versand abzuwickeln. Da muss ich anders kalkulieren. Aber in der Regel werde ich mit dem Kunden im Laden dann schon einig.

Viele Einzelhändler haben unter dem Druck des Internets bereits aufgegeben, aber auch der großen Ketten. Wie erleben Sie den Wandel?

Christophersen: Als wir hier 1988 anfingen, war Ottensen ein richtiger Arbeiterstadtteil. An jeder Ecke gab es einen türkischen Gemüsehändler. Die Klientel hat sich in den vergangenen Jahren sehr gewandelt. Auch hier ist der verstärkte Einzug von Ketten unübersehbar.

Adler: Dies liegt aber auch an den Banken. Es ist unglaublich schwer, heute noch zum Geschäftsstart einen entsprechenden Kredit zu bekommen. Ich hatte zum Glück entsprechendes Eigenkapital, so dass ich meine Geschäftsidee nicht in einen Businessplan für eine Bank pressen musste. Sonst wäre es schwer geworden.