Wie kein Zweiter stand Heinz Oestmann für den Widerstand gegen die Wasserverschmutzung der Elbe. Jetzt will er seinen Kutter verkaufen.
Finkenwerder. Ein leichtes Schneegrieseln setzt ein, als Heinz Oestmann das Tor zum Anleger im Finkenwerder Rüschkanal aufschließt. Jetzt im Februar ist der sonst größtenteils mit Yachten belegte Hafen leer, eisiger Nordwind wirbelt die nassen Flocken über einsame Stege. Oestmann reckt sich kurz. Eine alte Verletzung macht dem 63-Jährigen wieder zu schaffen. Als junger Fischer hatte ihn eine herausgerauschte Ankertrosse auf einen Poller gequetscht und den Magen innerlich förmlich aufgerissen. Neun Operationen musste er über sich ergehen lassen - aber erst nachdem er zunächst einige Tage noch auf See gefischt hatte. "Da konnte ich noch vieles wegstecken", sagt er und grient und klopft dann an die Bordwand seines alten Kutters. Rost blättert an der Seite, wo das schwere Ankergeschirr immer gegengeschlagen war. Deck und Steuerhaus der roten "Nordstern" sind mit einer feinen Schneeschicht bedeckt. "Das Leichentuch", sagt Oestmann und lacht kehlig und laut. Sonst war er im Winter immer auf Stintfang, in diesem Jahr bleibt der Kutter am Steg. Oestmann, Hamburgs wohl legendärster Fischer, hat aufgehört, will nicht mehr hinaus. "Die ,Nordstern' wird jetzt verkauft", sagt er.
Fangquoten, bürokratische Auflagen für kleine Kutterbesatzungen und nun noch die Folgen der Elbvertiefung - das lohne sich nicht mehr, sagt Oestmann. Mit seinem Sohn Thees ist er sonst im Sommer weit rausgefahren in die Nordsee zum Fischen, um den Fang am Wochenende direkt vom Kutter am Fischmarkt zu verkaufen. Im Winter ging's zum Stintfang auf die Elbe. Sohn Thees sollte die Familientradition fortführen, jetzt fährt er eine Hadag-Fähre. "Das ist besser so, hätte ich auch gemacht", sagt Oestmann.
Auch er konnte schon nicht mehr in Ruhe wie die Vorfahren raus zum Fischfang: Als 20-Jähriger hatte Oestmann das 1950 gebaute, knapp 15 Meter lange Schiff übernommen, als sein Vater früh an Krebs gestorben war. Eigentlich wollte Oestmann damit die seit 1740 bestehende Familientradition weiterführen. Doch es wurde mehr. Mit der "Nordstern" kämpfte er gegen Dünnsäure-Verklappung in der Nordsee, gegen Umweltvergiftung und gegen die Hafenerweiterung in seinem Dorf Altenwerder. Oestmann ist nicht nur einer der letzten Hamburger Fischer, er ist auch der wohl streitbarste. Er prügelte sich mit Polizisten, blockierte mit seinem Kutter die Elbe und auch die Kattwyk-Hubbrücke, indem er direkt darunter liegen blieb. Für die Grünen saß er sogar kurz in der Bürgerschaft. Der Rebell von Altenwerder, so schrieben Zeitungen noch in den 1990er-Jahren über den kräftigen, bärtigen Mann, dessen schwarzer Lockenkopf jetzt grau und weiß geworden ist.
Nur wenige Hundert Meter vom "Nordstern"-Anleger wohnt Oestmann seit 14 Jahren in einem großen Haus, das er sich dort gebaut hat. Nebenan betreibt er sein eigenes Restaurant, das er selbst beliefert hatte. Heute bekommt er den Fisch von einem Kollegen, immer noch direkt vom Kutter. In der großen Küche schenkt Oestmann Kaffee ein. Über der Sitzecke hängen alte Fotos: von seinen Protestaktionen, von Altenwerder, von der "Nordstern", von Verwandten. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto sind sechs alte Männer in dunklem Anzug zu sehen. Eine Aufnahme von 1883. "Gebrüder Oestmann, Elbfischer" ist auf einem Haus zu lesen. Einer der sechs ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot, die Brüder hatten ihn im Sarg fotografieren lassen und dann das Bild ins Gruppenfoto montiert, damit alle noch einmal zusammen abgelichtet werden konnten, erzählt Oestmann, dessen Vorfahren wohl auch schon eher robust waren und das harte Leben nahmen, wie es kam.
Und er selbst? Wehmut, dass es vorbei ist mit dem Fischerleben, Sehnsucht nach Altenwerder? "Kein Stück", grantelt Oestmann und nimmt einen großen Schluck. Nicht einmal geträumt habe er in den letzten Jahren von dem Dorf seiner Vorfahren. Und der ewige Protest, der habe sich auch gelohnt, sagt er. Noch nie hat er den Stint aus der Elbe so gesund gesehen wie heute. Die Fische in der Nordsee auch, das Wasser ist so sauber. "Das ist alles viel besser, selbst im Vergleich zu den Zeiten, als ich Schuljunge war", sagt er.
Wenn heute das Verklappen von Säure unglaublich erscheint, wenn in Umweltdingen ein Umdenken stattgefunden hat - dann ist das wohl tatsächlich nicht nur ein Verdienst großer Umweltverbände, sondern auch eine Folge der Aktionen des renitenten Hamburger Fischers: 1978 beobachtete Oestmann die Dünnsäureschiffe in der Nordsee bei Helgoland, klagte gegen 14 Genehmigungsanträge großer Konzerne. Spätestens als er für das ARD-Magazin "Monitor" Fische mit blumenkohlartigen Hautgeschwüren in die Kamera hielt, wurde er bundesweit bekannt. Der massige Fischer mit dem zornigen Blick legte sich immer wieder mit Behörden und Politikern an.
In Altenwerder gehörte er mit seiner Frau Renate und den vier Kindern Ende der 90er-Jahre zu den Letzten, die ausharrten. Selbst als der Strom abgestellt wurde und der Termin zum Aufspülen des künftigen Containerterminals kurz bevorstand. Lange schon waren die meisten Häuser abgerissen, 2500 Bewohner des Dorfes umgezogen. Seine Frau hing sehr an Altenwerder, sie bekam viel Druck ab, während er mit der "Nordstern" raus "nach See" fuhr, wie er sagt. Mit dem parteilosen Wirtschaftssenator Rittershaus einigte sich Oestmann daher. Lange gab es den Kampf mit den taktierenden Behörden, beide Männer kamen innerhalb weniger Minuten zueinander. Oestmann erhielt als Entschädigung Geld, zinsgünstige Darlehen und das Grundstück am Finkenwerder Rüschkanal, wo er den Fischerbetrieb weiterführen konnte. Für seine Frau baute er das Restaurant mit der großen Terrasse über dem Yachthafen. Das Ausharren hatte sich gelohnt, das Leben der Fischerfamilie hätte wieder in ruhigen Bahnen verlaufen können.
Eineinhalb Jahre nach dem Umzug starb seine Frau mit 48 an Krebs. "Ich wusste, dass sie krank war, die Sache mit dem Restaurant hat ihr aber vielleicht noch ein Jahr geschenkt", sagt er.
Heute sind Haus und Restaurant für ihn nur noch ein "Steinhaufen", dem er im Alter nicht mehr sein Leben widmen wolle. Auch das Restaurant will er daher jetzt verkaufen. Und dann, neue Pläne? Nö, sagt Oestmann. "Pläne mache ich nicht mehr, immer wenn ich etwas geplant habe, lief es schief", sagt er. Höhen und Tiefen habe es immer in seinem Leben gegeben. Aber mit seinen Gedanken ist er im Reinen, "jammert" auch Altenwerder und der Fischerei nicht nach. "Weil ich getan habe, was ich konnte." Nur dass seine Frau so früh gestorben ist - das, sagt Oestmann, war für ihn der größte Schlag. Das Schicksal kann auch zu Kämpfern gemein sein. Selbst, wenn sie eigentlich erfolgreich waren.