Das Technokraten-Kabinett ist ein konstruktiver Ansatz zur Lösung der Staatskrise
Als sich der arbeitslose Akademiker Mohamed Bouazizi im Januar 2011 in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid aus blanker Verzweiflung über mangelnde Perspektiven selbst verbrannte, erfasste eine revolutionäre Erregung nach und nach die arabische Welt. Doch das Wort "Frühling", mit dem das Aufbegehren gegen die Tyrannen der Region rasch etikettiert wurde, ist seiner hoffungsträchtigen Konnotation bislang nicht gerecht geworden. Die Knospen der Demokratie drohen zu verdorren - in Ägypten allemal, auch in Libyen und im Jemen, vom Bürgerkriegsland Syrien ganz zu schweigen.
Diese bedenkliche Entwicklung hat vor allem folgende Gründe: Die betroffenen Länder verfügen nicht über demokratische Strukturen und Traditionen, auf denen man rasch aufbauen kann; das westliche Modell ist durch die globale Finanzkrise, die Kriege Amerikas und vor allem durch das lange solidarische Festhalten der westlichen Regierungen an den arabischen Despoten diskreditiert; und die als Einzige wohlorganisierten Islamisten bieten die verlockend einfachen Lösungen ihrer Ideologie an.
Es zeigt sich, dass die Vergleiche mit der Selbstbefreiung Osteuropas nach 1989 unzutreffend waren. Nach dem Ende der kommunistischen Tyrannei bot sich die Demokratie dort als natürliche Alternative an. Das ist in Arabien aufgrund der islamischen Traditionen keineswegs der Fall.
Und während sich ein gemäßigter Islam in einem laizistischen Staatsmodell mit Demokratie und Pluralismus durchaus vereinen lässt - was sich mit Einschränkungen am Beispiel der Türkei zeigt -, sind militanter Islamismus und Demokratie inkompatibel. Denn bei diesem Modell ist die Trennung zwischen Staat und Religion aufgehoben, die Gesetze des Islam bestimmen alle Bereiche des öffentlichen wie privaten Lebens und lassen Abweichungen nicht zu. Die Forderung nach Pressefreiheit und Pluralismus wird so zur Blasphemie. Aus diesem kaum lösbaren Spannungsverhältnis ergibt sich zum Beispiel die fatale Lage Ägyptens mit einer Regierung aus Muslimbrüdern und einem Volk, das Freiheit, Fortschritt und Wohlstand will.
Auch in Tunesien nimmt die den ägyptischen Muslimbrüdern nahestehende Ennahda-Partei eine dominierende Stellung ein. Dass sich an ihren radikalen Rändern auch Elemente tummeln, die Demokraten am liebsten ermorden würden, ist bekannt. In Ägypten gibt es bereits offene Aufrufe von radikalen Predigern zu derartigen Attentaten.
In Tunesien hat der Mord an dem prowestlichen Oppositionspolitiker Chokri Belaid - nach dem Prügel-Tod des Oppositionellen Lotfi Naguedh im Oktober - das Volk offenbar aufgerüttelt. Jenes Land, das zum Ausgangspunkt der Arabellion wurde, steht nun am Scheideweg. Die Entscheidung von Ministerpräsident Hamadi Jebali, ein Technokraten-Kabinett zu bilden, also nach Kompetenz und nicht nach politischer Orientierung, verdient Respekt. Er gibt Tunesien eine zweite Chance. Dass dieser Weg erfolgreich sein wird, ist allerdings keineswegs gesichert; doch die Alternative könnte am Ende ein Bürgerkrieg sein.
In allen derartigen Diktaturen ist es ein Titanenwerk, eine prosperierende Wirtschaft vorbei an den gierigen Netzwerken der alten korrupten Elite aufzubauen. In keinem der arabischen Länder hat dies bislang funktioniert.
So wichtig der Glaube in dieser Region auch ist - die Menschen möchten aber von der Politik auch ihre anderen Grundbedürfnisse nach ausreichend Nahrung, nach Gesundheitsversorgung, Bildung und beruflicher Perspektive erfüllt sehen.
Doch auch in Tunesien hat sich im Schatten der Krise inzwischen ein militanter Islamismus fest eingenistet. Dessen Protagonisten werden fortfahren, mit Gewalttaten jenes Chaos zu verstärken, das traditionell radikalen Parteien Wähler zutreibt.