Die Macht von Umweltverbänden und Volksinitiativen ist in Hamburg größer denn je. Was bedeutet das für die Stadt?

Hamburg. Es sind zwei Manfreds, die seit Jahren die politische Agenda in Hamburg zu weiten Teilen bestimmen: Manfred Brandt und Manfred Braasch. Brandt ist Vorstand des Vereins "Mehr Demokratie" und hat mit seinem Verein in den vergangenen Jahren nicht nur die Ausweitung der Volksgesetzgebung durchgesetzt, sondern auch das Hamburger Wahlrecht immer wieder mit umgestaltet. Braasch ist Hamburger Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) - und hat in dieser Funktion die Elbvertiefung per Klage einstweilen verhindert und Vattenfall und seinem Kohlekraftwerk Moorburg immer neue Auflagen abgerungen.

Jetzt schickt sich Braasch an, dem Senat per Volksentscheid eine der größten Investitionen der Hamburger Geschichte aufzuzwingen. Der 48 Jahre alte Ernährungswissenschaftler ist nämlich auch Sprecher der Volksinitiative "Unser Hamburg - unser Netz", die den vollständigen Rückkauf der Energienetze durch die Stadt durchsetzen will.

Rund zwei Milliarden Euro dürfte es kosten, wenn Hamburg Vattenfall und E.on die insgesamt mehr als 35.000 Kilometer langen Rohre und Leitungen abkauft. Der SPD-Senat hatte im vergangenen Jahr 25,1 Prozent der Netze erworben und dafür 544 Millionen Euro gezahlt. Das sichere genug Einfluss auf die Energiepolitik und eine Garantiedividende für die Stadt. Mehr gehe nicht.

Das sieht Braasch anders. Er und seine Mitstreiter glauben, dass die Energiewende nur mithilfe eines Komplettrückkaufs der Leitungen funktioniere. Die Kampagnen beider Seiten laufen langsam an. Am vergangenen Donnerstag debattierte auch die Bürgerschaft über das Thema. Am Tag der Bundestagswahl im September werden die Hamburger per Volksentscheid darüber abstimmen, welche Regelung sie bevorzugen. Diejenigen, die gegen jede staatliche Beteiligung an den Kabeln und Rohren sind, haben dabei allerdings keine Wahl. Entschieden wird nur zwischen der Senatslösung und dem Komplettrückkauf. Eine Null-Prozent-Beteiligung steht nicht auf den Stimmzetteln.

Nicht alle sehen es gern, dass Organisationen wie der BUND in den vergangenen Jahren mithilfe der Volksgesetzgebung und des Verbandsklagerechtes eine so enorme Wirkung entfaltet haben - fast so, als seien sie in Hamburg mittlerweile mächtiger als Bürgerschaft und Senat. Statt um Frösche und seltene Gewächse kümmerten sich die Naturschützer plötzlich fast ausschließlich um große Infrastrukturprojekte, so ein zuletzt häufiger erhobener Vorwurf - meist, indem sie diese zu verhindern suchten. Gewerkschafter klagen, dass die Verzögerung der Elbvertiefung Arbeitsplätze gefährde. Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer sorgt sich um die Wirtschaft, da am Ende immer häufiger Richter und nicht Regierungen entschieden und Volksinitiativen immer mehr den Ton angäben. Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbands Hafen, will den Naturschützern gar die steuerlich vorteilhafte Gemeinnützigkeit entziehen lassen. Und Alt-Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) plädierte kürzlich in der Sendung "Schalthoff live" beim TV-Sender Hamburg 1 dafür, das Verbandsklagerecht abzuschaffen. Dieses ermöglicht Naturschutzverbänden die Klage gegen Bauvorhaben, die in die Natur eingreifen. Voscherau kritisierte, dass die Verbände zu viel Macht hätten, obwohl sie nicht politisch legitimiert seien.

An anderer Stelle allerdings macht Voscherau dagegen gemeinsame Sache mit Braasch und seinem BUND. So gehörte er zu den prominentesten Unterzeichnern des Volksbegehrens, das zum 100-Prozent-Rückkauf der Netze aufruft. Das zeigt, dass die Fronten beim Streit um die Macht der außerparlamentarischen Politik nicht sehr übersichtlich verlaufen. Dafür steht auch Walter Scheuerl. Der Jurist und parteilose Bürgerschaftsabgeordnete verhinderte einst mit seiner Volksinitiative per Volksentscheid die schwarz-grüne Primarschule. Der Initiative "Unser Hamburger - unser Netz" allerdings will er den Volksentscheid jetzt zusammen mit der CDU-Bürgerschaftsfraktion vom Hamburgischen Verfassungsgericht verbieten lassen. Begründung: Die Entscheidung über die für den Netzekauf veranschlagten Kosten von zwei Milliarden Euro greife massiv in das Haushaltsrecht der Bürgerschaft ein und sei daher durch die Verfassung nicht gedeckt. Auch der Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dietrich Wersich, kritisiert die Initiative. "Es geht mir nicht um einen Machtkampf zwischen Volk und Volksvertretung", sagt Wersich. "Es geht um das richtige Maß zwischen Parlament und direkter Demokratie. Es geht um Verantwortung, Sorgfalt und Qualität politischer Entscheidungsprozesse, gerade bei komplizierten Entscheidungen, die sich nicht auf Ja-Nein-Fragen reduzieren lassen." Volksentscheide könnten die Demokratie bereichern, ein Garant für Gemeinwohl seien sie nicht. "Auch Volksentscheide dürfen nicht gegen die Verfassung verstoßen."

FDP-Fraktionschefin Katja Suding nimmt vor allem Anstoß an der "Klagefreudigkeit" der Umweltverbände. "Die Stimmung wendet sich gegen bedenkenlose Alimentation und Sonderrechtsnutzung von Umweltverbänden, die rücksichtslos gegen das wirtschaftliche Wohl Hamburgs arbeiten", sagt Suding. "Hamburg und die gesamte Republik müssen sich darüber klar werden, ob wir es weiter hinnehmen, dass radikal verfolgte Partikularinteressen dem Gemeinwohl nachhaltig schaden."

Juristen halten die Kritik für überzogen. "Hinter dem Verbandsklagerecht steht der Gedanke, dass ein Interesse, das keinen geborenen Anwalt hat, etwa eine bedrohte Tierart oder Landschaft, dennoch angemessen und fachkundig bei der Verständigung über das Gemeinwohl vertreten wird", sagt etwa Arndt Schmehl, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Das sei auch bei anderen Themen ähnlich, beispielsweise beim Verbraucherschutz. Auch die wachsende Macht von Initiativen findet er nicht bedenklich. "Die Entwicklung hin zu mehr direkter Demokratie ist eine Folge davon, dass sich die Gesellschaft demokratisiert", so Schmehl. "Die Bürger haben das Bedürfnis, sich auch zwischen Wahlen in Einzelfragen an der staatlichen Entscheidungsfindung zu beteiligen. Ich sehe das in einer entwickelten Demokratie nicht als grundsätzliche Gefahr." Etwas kritischer äußert sich dagegen Verfassungsrechtler Prof. Ulrich Karpen. "Übermaß tut selten gut", so Karpen. Hamburg habe es mit der direkten Demokratie übertrieben. Die direkte Demokratie sei oft "populistisch", daher sei die repräsentative Demokratie die "bessere Demokratie". Für die Umweltverbände dagegen bricht auch Karpen eine Lanze. Umweltschutz sei Gemeingut, so stehe es in der Verfassung. Das Verbandsklagerecht sei dazu da, dieses Gemeingut zu schützen, so Karpen. "Den Umweltverbänden die Gemeinnützigkeit abzuerkennen wäre eine Verzerrung des Rechtsstaates."