Vor 2200 Gästen machte Präses Fritz Horst Melsheimer seine Kritik an mehreren „unrühmlichen Beispielen“ aus Hamburg fest.

Hamburg. Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer hat das politische System in Deutschland als „handlungsunfähig“ kritisiert. Die Stärkung der direkten Demokratie, Zugeständnisse an einzelne Interessengruppen, eine typisch deutsche Regelungswut und der Hang zur Absicherung hätten dazu geführt, „dass Entscheidungen, die politisch abgewogen und getroffen werden müssten, am Ende stets und nur noch durch Gerichte oder gar einzelne Richter gefällt werden“, sagte Melsheimer am Silvestertag in seiner Rede vor der „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“ (VEEK).

Vor rund 2200 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, unter ihnen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und die meisten Senatsmitglieder, machte der Handelskammer-Präses seine Kritik an mehreren „unrühmlichen Beispielen“ aus Hamburg fest. So spiegele die Volksinitiative „Unser Hamburg – unser Netz“, die den Rückkauf von 100 Prozent der Energienetze fordert, den Bürgern „mit zweifelhaften Argumenten vor, dass mit staatlich regulierten Kupferkabeln Klima- und Energiepolitik gemacht werden könnte“. Analysen hätten aber gezeigt, dass mit dem Netz-Erwerb kein Mehrwert für das Klima, den Wettbewerb oder die Verbraucher verbunden sei, so Melsheimer. Stattdessen könnte der Volksentscheid, der im September parallel zur Bundestagswahl stattfinden wird, im ungünstigsten Fall dazu führen, „dass die Stadt für den vollkommen unnützen Rückkauf der Netze einen Milliardenbetrag aufwenden muss“.

Das neue Transparenzgesetz, das Politik und Verwaltung in Hamburg dazu verpflichtet, Dokumente unaufgefordert zu veröffentlichen, sei ein „auf Kosten der Steuerzahler zu schaffender gewaltiger Datenfriedhof“, so der der oberste Vertreter der Hamburger Wirtschaft. Auch dieses Gesetz war auf Druck einer Volksinitiative mit dem Namen „Transparenz schafft Vertrauen“ von der Bürgerschaft beschlossen worden. Melsheimer nannte es ein „handwerklich schlechtes Gesetz“, das zudem im Hauruckverfahren durch Parlament gepeitscht worden sei. „Ein höchst bedenklicher Vorgang“, so der Kammer-Chef.

Als drittes Beispiel für die „gelähmte“ repräsentative Demokratie führte er die Verzögerung bei der Elbvertiefung an. Trotz des komplexesten Planverfahrens in der Geschichte der Bundesrepublik – nach zehn Jahren Vorarbeit bestand der Beschluss aus 30 Aktenordnern mit 2500 Seiten – und der Einbeziehung aller Interessengruppen hätten am Ende drei Umweltverbände gegen das Projekt geklagt und es erfolgreich verzögert. Dieses erst seit einigen Jahren existierende Verbandsklagerecht sei „ein besonders fataler Irrweg, der Partikularinteressen bevorzugt“, sagte Melsheimer. Die Frage, wie ökonomische und ökologische Interessen zum Ausgleich zu bringen sind, sei „eine zutiefst politische und muss daher von Parlamenten entschieden werden“, nicht von Gerichten, so der Kammer-Chef. Auch der VEEK-Vorsitzende Christian Dyckerhoff hatte zuvor geradezu flehende Worte an die Umweltorganisationen gerichtet, ihren Widerstand gegen das für die Hamburger Wirtschaft eminent wichtige Projekt aufzugeben.

Die Wurzeln der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg reichen bis ins Jahr 1517 zurück, als Seehandel treibende Kaufleute erstmals eine gemeinsame Interessenvertretung gründeten. Aus ihr ging im 19. Jahrhundert die Handelskammer hervor. Ihrem Präses ist es seit mehr als 140 Jahren vorbehalten, in einer ausführlichen Jahresschlussansprache – Melsheimer sprach rund 80 Minuten – die Sicht der Hamburger Wirtschaft auf ihre Belange, die der Stadt und des Landes wiederzugeben.