Im Skandal um Millionengeschäfte stoppt eine Hamburger Richterin trotz Bedenken die Absetzung von Thomas Martens. Bundesamt will Revision.
Hamburg. Während draußen grauer Novemberregen auf die Stadt prasselt, geht drinnen, im Gesicht von Thomas Martens, die Sonne auf. Zuvor hatte der Gründer der Securvita Krankenkasse - dunkler Anzug, weißes Hemd, brauner Teint - mit einbetonierter Mimik in Saal 815 des Landessozialgerichts gesessen und ein geschäftsmännisches Thomas-Martens-Lächeln gelächelt. Doch nun hellt sich sein Gesicht auf, lässt sein fixierender Blick von Richterin Lea Hämäläinen ab. Mit sichtlicher Genugtuung registriert Martens, dass ihn die Vizepräsidentin des Gerichts in seinem Amt als Verwaltungsratsvorsitzenden der Krankenkasse belässt. Die betonte Gelassenheit weicht echter Erleichterung. Er schaut zu seinen Prozessgegnern vom Bundesversicherungsamt, lächelt und sagt mit Blicken: "Tja, Leute, war wohl nichts."
Offiziell äußert sich der Verwaltungsratsvorsitzende und Gründer der Securvita BKK nicht. Er steht vor Gericht, weil er und seine Krankenkasse sich wehren. Gegen das Bundesversicherungsamt (BVA), das dem 54-Jährigen vorwirft, die Interessen der Kasse nicht angemessen vertreten und den 208 000 Versicherten erheblichen Schaden zugefügt zu haben. Seit zwei Jahren kämpft das BVA - die Aufsichtsbehörde der gesetzlichen Krankenkassen - für Martens' Rauswurf. Bisher ohne Erfolg. Das BVA erließ zwar einen Verpflichtungsbescheid zu Martens' Amtsenthebung, doch dagegen erhob die Kasse nun Klage vorm Landessozialgericht (LSG) Hamburg. Das Gericht musste entscheiden, ob Thomas Martens in seiner Funktion noch tragbar ist.
Die Frage, worum es dabei genau geht, ist schwer zu beantworten. Dahinter steht ein kompliziertes Konstrukt mit diversen GmbH und Tochtergesellschaften, an denen Martens beteiligt ist. Letztlich lautet der Vorwurf: Der Privatunternehmer Martens hat zu seinem persönlichen Vorteil Geschäfte mit der gesetzlichen Krankenkasse gemacht - deren Verwaltungsratschef er ist.
Deswegen wurde gestern gleich in sieben Verfahren verhandelt: Es ging um die Amtsenthebung, um die geforderte Auflösung einer Securvita-Tochter-Gmbh und um fünf einzelne Verträge, die mehrere Martens-Firmen mit der Krankenkasse abgeschlossen hatten. Die Verträge - so der Vorwurf des BVA - haben aber gegen das Vergaberecht verstoßen. Denn die Krankenkasse hatte die Aufträge an Martens-Gesellschaften vergeben, ohne sie öffentlich ausgeschrieben zu haben. Das ist rechtswidrig, wie 2009 der Europäische Gerichtshof feststellte. Begründung: Eine Krankenkasse sei ein öffentlicher Auftraggeber. Das Hamburger Gericht sah aber Martens im Recht, weil die monierten Verträge vor 2009 geschlossen worden waren. Der erste datiert aus dem Jahr 1999, die damalige Rechtssprechung war nicht eindeutig.
Ganz wohl war dem Gericht bei diesem Urteil aber nicht. Es handele sich um "einen interessanten Grenzbereich", sagte die Vorsitzende Richterin Lea Hämäläinen. Das BVA hatte argumentiert, dass die meisten Verträge auch heute noch wirksam seien - und damit gegen geltendes Recht verstießen. Martens' Anwalt Thomas Rehm hielt dagegen: Das BVA sei zur "aufsichtsrechtlichen Zurückhaltung" verpflichtet. Die Forderung nach sofortiger Vertragsauflösung sei daher unangemessen und wenig konstruktiv.
In einem Punkt unterlag Martens aber dennoch, und zwar im Fall eines geplanten Gesundheitszentrums in den Räumen der Securvita am Lübeckertordamm in St. Georg. Der Geschäftszweck der dafür gegründeten GmbH sei rechtswidrig, die Gesellschaft muss, wie vom BVA gefordert, liquidiert werden.
Ausgelöst worden war das Verfahren durch Berichte des Hamburger Abendblatts. Vor allem ein Mietvertrag für die Krankenkassen-Zentrale geriet ins Zwielicht. Den Neubau geplant hatte die L.T.D. Lübeckertordamm Entwicklungs-GmbH. Diese Gesellschaft hatte auch den Mietvertrag über 20 Jahre mit der Krankenversicherung abgeschlossen. Doch bereits bei Mietabschluss soll klar gewesen sein, dass die Krankenkasse Büroflächen weit über Bedarf gemietet hatte, so der Vorwurf. Und: Martens war Mitgesellschafter der Vermietergesellschaft. Er soll besonders profitiert haben. Nach Vertragsabschluss verkaufte er seine Anteile in Höhe von 50 000 Euro für 4,225 Millionen Euro. Das BVA sieht darin einen Schaden der gesetzlich Versicherten.
Im Juli 2010 erstattete das BVA Anzeige. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt seitdem gegen Thomas Martens und fünf weitere frühere und aktuelle Vorstandsmitglieder. Der Vorwurf: Untreue in besonders schwerem Fall. "Die Ermittlungen dauern noch an", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Im September 2011 hatten mehr als 80 Beamte und drei Staatsanwälte - ausgestattet mit neun Durchsuchungsbeschlüssen - die Zentrale der Kasse und sechs weitere Unternehmen, die zur Securvita-Gruppe gehören, durchsucht. Die sichergestellten Unterlagen füllten 30 Kartons, auch Festplatten nahmen die Ermittler mit. Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen.
Unterdessen schweigt Thomas Martens zum gestrigen Verfahren. Securvita-Sprecher Peter Kuchenbuch lässt aber ausrichten: "Das Bundesversicherungsamt hat von sieben Verfahren, über die verhandelt wurde, sechs verloren. Das ist eindeutig." Martens darf sich also durchaus als Gewinner dieser Verhandlung fühlen. Aus dem Schneider ist er indes nicht. Denn es darf als sicher gelten, dass das Bundesversicherungsamt in Revision gehen wird. Dann würde das Bundessozialgericht letztinstanzlich entscheiden. Schon die Hamburger Richter wurden ziemlich deutlich: "Wir teilen das Unbehagen des BVA." Von "einer unguten Gemengelage" war beim Amtsenthebungsverfahren die Rede. Und: Sollte die Staatsanwaltschaft ihren Verdacht bestätigt sehen, würde sie Anklage gegen Martens erheben. Dann droht ihm im ungünstigsten Fall sogar Gefängnis.