Teil 1: Von dem unglücklichen Tierpark-Gründer Hagenbeck, einem verschämten Senat und dem Kaiser, der das Derby nicht leiden konnte.
Die Hälfte der Hamburger Millionäre lebte um 1910 in Harvestehude. Dass die Stadt im Jahr 1906 die Straße Alsterufer bis zum Harvestehuder Weg durchbrechen ließ, sorgte bei den Anwohnern für erhebliche Verstimmung. Ihre Gärten hatten hier einst bis zum Wasser gereicht, nun sollte jeder dort entlangfahren dürfen. Reeder Adolph Kirsten soll darüber so erbost gewesen sein, dass er in der Nacht, bevor die Bauarbeiter anrückten, etliche alte Bäume fällen ließ, die als Zierde des neuen Verbindungswegs gedacht waren.
Unerwartet prächtig ging es einst in Borgfelde zu: Im Zuge der Verbreiterung der Borgfelder Straße wurde die hohe Böschung abgefangen und mit einer mehr als 500 Meter langen Basaltmauer verziert, die zum Großteil noch erhalten ist. Gleich zehn elegante Treppenaufgänge verbanden die Straße mit "Oben Borgfelde", und neben Brunnen und gepflegten Beeten gab es sogar kleine Grotten.
Heute ist Hagenbecks Tierpark das Aushängeschild von Stellingen. Doch das preußische Dörfchen war für Carl Hagenbeck einst bestenfalls nur zweite Wahl. Bei der Eröffnung 1907 musste er mit dem Standort noch warm werden. "Ich empfand es schmerzlich, dass in meiner Heimatstadt kein Raum für mich sein sollte", schrieb Hagenbeck später in seinen Erinnerungen. Erst 1937 wurde Stellingen doch noch hamburgisch.
1871 kaufte der schrullige und steinreiche Simon Heeren den Haidhof in Sülldorf. Er ließ sich ein stattliches Gutshaus erbauen. Heeren galt als unberechenbar und machte den Sülldorfern Angst. Mal schoss er mit dem Gewehr auf vermeintliche Störenfriede, mal feierte er großzügige Partys für alle. Einmal soll er die Feuerwehr gerufen haben - um die verdutzten Männer mit einem Festmahl zu überraschen.
Im heute als schick geltenden Winterhude gab es in den 1920er-Jahren besonders viele Industriebetriebe, es soll sogar den höchsten Industrieanteil aller Stadtteile gehabt haben. An der Dorotheenstraße stand damals eine der größten Asbestfabriken der Welt.
Der Bauboom um 1900 machte auch vor den wenigen noch verbliebenen Bauernhöfen in Eimsbüttel nicht halt. Als Letzter weigerte sich der Bauer August Schacht, sein Land zu verkaufen - obwohl ihm Unsummen geboten wurden. Er wollte auf seinen Wiesen statt neuer Häuser lieber Kühe sehen. Schachts knappe Begründung: "Doar hebb ick min Spooß an." 1931 wurde auf den ehemaligen Schachtschen Wiesen beim Heußweg dann der Reinmüller-Sportplatz angelegt.
Kaiser Wilhelm II. besuchte zwar regelmäßig das Derby in Horn - obwohl er das Pferderennen eigentlich nicht leiden konnte und seine Visiten immer demonstrativ knapphielt. "Die Abneigung des Kaisers gegen die Rennen soll davon kommen, dass er diesen Sport nicht für sehr nützlich hält", schrieb der französische Journalist Jules Huret 1906, "denn nach seiner Ansicht spielt die Mitarbeit des Menschen beim Rennen keine große Rolle (...)."
1713 war ein Unglücksjahr für Reitbrook. Die Soldaten der am Nordischen Krieg beteiligten Truppen drangsalierten die Bewohner - und dann auch noch das: Ein Kirchenkahn, der die Reitbrooker zum Gottesdienst nach Allermöhe bringen sollte, kenterte und riss 29 Menschen in den Tod.
Prostitution gehört schon seit Jahrhunderten zu St. Pauli. Mal war sie erlaubt, mal verboten, mal nur geduldet. 1964 wurde auf Senatsbeschluss Geld für zwei feste Einrichtungen zur Verfügung gestellt, die man im offiziellen Schriftverkehr als "Mädchenwohnheime" bezeichnete. Ihre Namen: Eros-Center und Palais d'Amour.
1884 war südlich des Friedhofs von Wohldorf-Ohlstedt das Mausoleum der Familie Koopmann errichtet worden. Nach dem Abbruch 1943 ließ Reichsstatthalter Karl Kaufmann mit Teilen des Bauschutts den Weg zu seinem Hof im Duvenstedter Brook befestigen. Reste des Mausoleums sollen noch heute im Wohldorfer Wald zu finden sein.
Mit der Steigerung der Einwohnerzahl von Wandsbek beschäftigte sich der örtliche Verein "Zur Förderung des Zuzuges". In einer Annonce aus dem Jahr 1908 wurde so geworben: "Die dicken Hamburger Nebel dringen nicht bis Wandsbek vor. Wegen dieser Eigenschaften wird es vielfach von Ärzten als Luftkurort empfohlen."
Als Herzog Otto II. von Braunschweig-Lüneburg ("der Strenge") 1296 die Marschensiedlung "Lewenwerder", das spätere Neuland, gründete, verlieh er potenziellen Siedlern eine ganze Reihe Privilegien. Die selbstständige Gerichtsbarkeit brachte kuriose Urteile hervor: Wer einen Menschen erschlug, musste lediglich 30 Taler zahlen. Hausfriedensbruch oder Notzucht dagegen wurden "an Leib und Leben" geahndet.
1962 riss man in Hausbruch die Mühle ab, die um 1910 im Auftrag der Künstlerin Johanna Rauert erbaut worden war. Die hatte an der Mühlenkuppel ihr Atelier und arbeitete besonders gerne, wenn sich die Flügel drehten. Die Mühle war allerdings ein reines Wohnhaus - ohne Mahlsteine und Mahlwerk, dafür aber mit Musikzimmer.
Die südwestliche Seite der Schmachthäger Straße im heutigen Barmbek-Nord hatte bis zur Eingemeindung von Bramfeld und Steilshoop einen Teil der Grenze Hamburgs zu Preußen gebildet. Noch heute kann man dort gut erkennen, wo mit der städtischen Bebauung damals Schluss war, auch das alte Grenzhaus an der Ecke Steilshooper Straße/Richeystraße ist (als Kneipe) noch erhalten.
Als die Uhlenhorst 1837 an ein Unternehmerkonsortium verkauft wurde, war das Land noch völlig naturbelassen. Erst nach dem Großen Brand 1842 wurde es entwässert und bebaut. Die ersten Uhlenhorster lebten in einer Art Wildnis und klagten, dass man kaum schlafen könne, weil die Vögel so einen Radau machten. Eine Pionierin an der Schönen Aussicht soll jeden Abend aus ihrem Schlafzimmerfenster einen Pistolenschuss abgefeuert haben - als Warnung an Einbrecher, die sich womöglich im Unterholz versteckten.
Die Tochter des letzten Pastors des alten Hammerbrook, Irmela Fliedner, schreibt in ihren Erinnerungen, dass es im Stadtteil zeitweise auf 40 Einwohner eine Kneipe gegeben haben soll. Der Volksmund sprach deshalb auch von "Jammerbrook".
1887 kaufte der Bankier Johann Rudolph von Schröder die 1871 erbaute Villa, die heute das Herzstück des Internationalen Seegerichtshofs in Nienstedten bildet. Der Bankier soll menschenscheu und hochnäsig gewesen sein. Um in Ruhe zur Elbe flanieren zu können, ließ er einen Tunnel unter der Elbchaussee bauen, der noch heute als gekachelter Durchgang erhalten ist.Schon vor 100 Jahren sorgten die quer durch Tonndorf verlaufenden Bahngleise für Chaos und Verdruss vor Ort. Bereits 1913 (!) gab es Pläne, Bahnsteig und Gleise höherzulegen, die Chaussee (die spätere Tonndorfer Hauptstraße) und den Sonnenweg darunter hindurchzuführen. Die Untertunnelung der Straßen erfolgte dann allerdings erst in den Jahren 2006/07.
Anstrengendes Amt: Johann Conrad Klefeker, Pastor in Moorfleet seit 1737, erlitt bei der Sturmflut von 1771 einen tödlichen Herzinfarkt, als Wasser in das Gotteshaus eindrang und der Beichtstuhl absackte. Und Johann Heinrich Lütkens, ab 1783 im Amt, wurde während der Franzosenzeit dermaßen drangsaliert, dass er beim Einmarsch der Russen einen Herzschlag erlitt.
Eine Hofstelle in Bahrenfeld blieb mehr als 450 Jahre lang ununterbrochen im Besitz der Familie Evers. Immer wieder war in dieser langen Zeit die Übergabe vom Vater auf den Sohn geglückt - das dürfte Hamburger Rekord sein.Hohenfelde geriet im August 1920 durch einen spektakulären Raub in die Schlagzeilen, für den kein Geringerer als Julius Adolf Petersen, der legendäre "Lord von Barmbe(c)k" verantwortlich war. Beim Überfall auf eine Kutsche der Rennbahngesellschaft an der Ecke Uhland-/Lenaustraße erbeutete der "Lord" 20 000 Mark - eine für damalige Verhältnisse sehr hohe Summe.
Viele Jahre lang hatte der Lehrer auf Neuwerk keine eigene Behausung. Er schlief täglich in einer anderen Hütte und musste sich sein Essen bei den anderen Inselbewohnern schnorren. Als der Hamburger Archivar Otto Beneke Neuwerk 1849 besuchte, stand dem Insellehrer zwar schon ein eigenes Zimmer zur Verfügung, allerdings war ihm die Ehe "contractlich" verboten.Die wohl bekannteste Prunkpforte in Neuenfelde steht an der Nincoper Straße. Sie stammt von 1683 und gehört zum Quast-Hof. 1968 wurde sie von einem Lkw umgefahren und musste mühsam wieder aufgebaut werden.
Als das Gängeviertel in der Altstadt südlich der Jacobikirche abgebrochen wurde, sollten auf dem Gelände bezahlbare Wohnungen für heimatlos gewordene Altbewohner gebaut werden. So lauteten im Jahr 1914 jedenfalls die Pläne. Doch ähnlich wie heute erwies sich eine andere Nutzung als lukrativer: Statt neuer Wohnungen entstanden große Bürogebäude und - etwas später - das Kontorhausviertel.
Lehrer Alfred Wriedt aus Schnelsen schrieb 1908 in einer Chronik über seine Mitbewohner: "Eine traurige Erscheinung bei einem kleinen Teil der Bevölkerung ist ein Hang zum Borgen." Außerdem kritisiert der Lehrer "Putzsucht" und führt aus: "Einer sucht den anderen darin zu übertrumpfen."
Den zweiten Teil der Hamburger Geheimnisse lesen Sie am Freitag.