Der Chef des Hamburger Spieleentwicklers Bigpoint, Heiko Hubertz, über den Abbau von 120 Stellen, die Branche und seinen Abgang.
Hamburg. Der lange Zeit nur von Erfolg verwöhnte Hamburger Spieleentwickler Bigpoint hat kürzlich überraschend angekündigt, 120 Stellen zu streichen. Zudem zieht sich Gründer Heiko Hubertz, 36, aus dem operativen Geschäft zurück und wechselt in den Aufsichtsrat. Das Abendblatt sprach mit Hubertz über die Zukunft der Branche und die Kritik an seinem Abgang.
Abendblatt: Bigpoint mit seinen immerhin 800 Mitarbeitern galt bisher als Shootingstar der Spielebranche, und nun diese Negativmeldungen. Welche Reaktionen haben Sie in den vergangenen Tagen auf den Stellenabbau bekommen?
Heiko Hubertz: In der Dimension war die Nachricht für viele überraschend. Unter Marktkennern gilt der Jobabbau allerdings als unvermeidlich und konsequent. Dass nun Bigpoint und Zynga, die beiden Großen der Branche, gleichzeitig von Einschnitten sprechen, ist natürlich ein Zufall.
Waren die Mitarbeiter auch überrascht davon, dass Sie sich jetzt aus der Führung Ihres Unternehmens zurückziehen, in einer Zeit, in der etliche Beschäftigte entlassen werden?
Hubertz: Nein, ich hatte diesen Schritt schon im vergangenen Jahr angekündigt und mit Arthur Bastings auch einen neuen Geschäftsführer installiert. Dass dieser sich aus persönlichen Gründen zurückzieht, war nicht so geplant.
In einigen Internetforen wurde es so formuliert: "Jetzt verlässt der Kapitän das sinkende Schiff."
Hubertz: Diese Kritik habe ich häufig gehört, aber ich stehle mich nicht davon. Natürlich hätte ich jetzt zunächst den Stellenabbau und dann Ende des Jahres meinen Abschied aus der operativen Führung bekannt geben können. Aber ich wollte keine Salamitaktik.
Und Sie verlassen die Geschäftsleitung aus persönlichen Gründen?
Hubertz: Ich habe gemeinsam mit meiner Freundin das Unternehmen aufgebaut und wir haben oft 14 bis 16 Stunden am Tag hier gesessen. Jetzt wollen wir im nächsten Jahr heiraten und uns um die Familienplanung kümmern. Dazu nehmen wir uns jetzt die Zeit, bevor es zu spät ist. Außerdem brauchen Unternehmen ab einer gewissen Größe auch ein anderes Management.
Was bedeutet das konkret?
Hubertz: Ich bin ein innovativer und kreativer Mensch und kann aussichtsreiche Märkte erkennen. Aber ich muss nicht jeden Tag Bilanzreports lesen. Ich werde jetzt in den ersten Monaten nicht im Unternehmen sein, weil wir viel reisen werden. Wir werden bodenständig reisen, zum Teil mit dem Camper, um fremde Länder kennenzulernen und uns inspirieren zu lassen. Ziele sind Australien, Lateinamerika und Asien. Anschließend werde ich als aktives Mitglied im Aufsichtsrat ein paar Mal im Monat in der Firma sein. Und dann werde ich nicht nur meine Unterschrift unter die Quartalszahlen setzen.
Und später wollen Sie dann eine neue Firma gründen?
Hubertz: Ja, ich bin mit Herz und Seele Unternehmer. Ich werde definitiv etwas Neues machen. Ich finde die Gastronomie spannend, aber das ist Knochenarbeit und nicht gerade familienfreundlich. Also wird es wohl wieder ein Internetunternehmen sein, aber keines im Spielebereich. Ich denke zum Beispiel daran, Emotionen im Netz erlebbar zu machen, die Euphorie von Tausenden einzufangen, wie bei der Begeisterung im Fußballstadion oder bei einem Live-Konzert. Eine solche Funktion gibt es bisher noch nicht.
Ist diese Art des Unternehmertums, also die Strategie, immer wieder neue Firmen zu gründen, typisch für die heutige Internetgeneration? Andere Beispiele für diesen Lebensentwurf sind ja der Xing-Gründer Lars Hinrichs oder Stephan Uhrenbacher, der die Bewertungsplattform Qype ins Leben gerufen hat. Auch diese beiden Hamburger sind nicht mehr in ihren Firmen tätig.
Hubertz: Früher wurden Firmen über 40, 50 Jahre lang aufgebaut und blieben in der Familie. Heute haben wir andere Rahmenbedingungen: eine andere Geschwindigkeit, weltweite Märkte. Aber ich bin nicht Verfechter der Strategie, Firmen zu gründen und sie dann schnell wieder zu verkaufen. Ich habe noch 30 Prozent der Bigpoint-Anteile.
Und die werden Sie nicht verkaufen?
Hubertz: Nein, das steht nicht zur Diskussion.
Sie haben in San Francisco gelebt und dort versucht, ein amerikanisches Bigpoint auf die Beine zu stellen. Sie wollten mit eigenen Entwicklern Spiele eigens für die US-Kunden auf den Markt bringen. Dieser Versuch ist gescheitert, die 40 Mitarbeiter werden nun entlassen.
Hubertz: Ja, in den USA haben Sie wesentlich höhere Entwicklungskosten als hier. Einem Entwickler müssen Sie in der Nachbarschaft von Google und Facebook schon ein Gehalt im sechsstelligen Bereich zahlen, damit er für Sie arbeitet. Außerdem haben wir leider keine großen Hits im Angebot gehabt. So hat sich das sehr aufwendige Endzeitspiel "Ruined" - also "Ruiniert" - leider als Flop erwiesen.
Vielleicht hätten Sie das Programm lieber anders nennen sollen?
Hubertz: (lacht) Ja, das habe ich schon öfter gehört. Mit Battlestar Galactica haben wir aber auch ein sehr solides Spiel mit nach Deutschland gebracht. In jedem Fall haben wir viel in Kalifornien gelernt.
Zum Beispiel?
Hubertz: In den USA ist ein Gründer nicht verbrannt, wenn er einmal scheitert. Er bekommt weiterhin Geld von Investoren. Denn sie wissen: Wer Fehler macht, kann daraus lernen. Daher trauen sich in Amerika auch mehr Leute zu, eine Firma zu gründen.
In Deutschland wird ja auch immer wieder das Fehlen einer Gründungskultur beklagt.
Hubertz: Ja, hier fehlt der Mut zu scheitern. Das äußert sich auch darin, dass wir Deutschen keine Exportschlager in der Internetbranche haben. Die weltweit erfolgreichen Webfirmen wie Google, Facebook oder Amazon kommen alle aus den USA.
Und der Spielemarkt ist überhitzt und läuft weltweit nicht mehr rund?
Hubertz: Nein, überhitzt würde ich nicht sagen. Aber ein gutes Wachstum in diesem Jahr von 15 Prozent ist nur ein Drittel im Vergleich zum Zeitraum von vor drei, vier Jahren. Außerdem ist der Markt inzwischen stark von Hits getrieben.
Das heißt?
Hubertz: Wenn Sie einen echten Hit landen, vergleichbar mit einem Bestseller bei Büchern, können Sie schnell wachsen. Aber wir bei Bigpoint haben in diesem Jahr gute Spiele, aber eben keinen großen Hit herausgebracht. Natürlich arbeiten wir hart daran, dies zu ändern.
In mehreren Internetforen gibt es aber auch Kritik an Bigpoint und seiner Strategie, die Spieler für alle möglichen virtuellen Güter bezahlen zu lassen. Viele monieren unter anderem sinnlose Ausgaben, etwa "ich habe mir 120 mysteriöse Setzlinge gekauft und keinen einzigen Honigbaum bekommen".
Hubertz: Mit solchen Vorwürfen arbeiten wir seit Beginn unseres Geschäftsmodells. Die Kunden erwarten bei kostenlosen Internetspielen die gleiche Qualität wie bei den Konsolen, das kann nicht gut gehen. Zum Vergleich: Wenn Sie früher das Benzin beim Autokauf immer gratis bekommen hätten und plötzlich dafür bezahlen müssten, würden Sie das auch nicht gut finden.
Manche Spieler wünschen sich, dass Bigpoint die Kunden "wieder etwas mehr in den Vordergrund stellt und ihre Bedürfnisse, anstatt das schnelle Geld, mit ständig neuen Bäumen und Ställen, die keiner wirklich braucht".
Hubertz: Wir arbeiten an Schwachstellen. Extreme Qualitätsprobleme hatten wir etwa bei Seafight, die haben wir aber jetzt behoben.
Müssen sich zudem die Spiele heute immer schneller amortisieren, weil die Leute eine größere Auswahl haben?
Hubertz: Ja, die Lebenszyklen sind extrem kurz geworden. Aber weil die Spieler gleichzeitig anspruchsvoller werden, müssen wir höhere Entwicklungskosten stemmen. Für eine entsprechende Qualität bezahlen viele Kunden dann wieder gerne.
Aus dem Bereich der Handy-Spiele haben Sie sich aus diesem Grund völlig zurückgezogen.
Hubertz: Während ein Spieler ein Online-Game oft jahrelang spielt, verlieren die Nutzer bei einer Spiele-App schon nach drei Monaten die Lust. Dabei sind die Kosten bei den hochwertigen Spielen vergleichbar mit denen von guten Online-Games.
Trotzdem haben wir in Hamburg erfolgreiche Anbieter von Handy-Spielen wie fishlab und Xyrality.
Hubertz: Ja, die Firmen sind auch kleiner als wir. Bei uns ist allein ein Spielteam so groß wie diese Unternehmen. Wir müssen ein bis zwei Millionen Euro Umsatz mit einem Spiel erzielen, um unseren Overhead bezahlen zu können.