Gutachter empfehlen Tempo 30, Flüsterasphalt, weniger Fahrspuren und Schutzwände. 54.000 Autos am Tag auf der Eiffestraße.
Hamburg. Das Gutachten des Dresdner Ingenieurs Dirk Ohm über den Straßenlärm in Hamburg enthält viel Sprengstoff, doch es kann noch Jahre dauern, bis die Millionen Euro teuren Vorschläge umgesetzt werden können. "In Hamburg sind 33 000 Menschen von gesundheitsgefährdendem Lärm betroffen", sagte Dirk Ohm bei der Vorstellung des Lärmaktionsplans 2013. In dem 80 000 Euro teuren Gutachten werden die Hauptlärmquellen und -achsen aufgeführt und 14 Brennpunkte bewertet, die nach Überlegungen des Ingenieurs entschärft werden müssen. Vorreiter soll dabei die "autobahnähnliche" Eiffestraße sein.
Mit dem Lärmaktionsplan folgt die Stadtentwicklungsbehörde der "Umgebungslärmrichtlinie", die von den Mitgliedstaaten der EU die Aufstellung von Plänen fordert, um Lärmprobleme zu regeln. Vordringlich seien dabei hoch belastete Straßenzüge. Das Ingenieurbüro für Verkehrsanlagen und -systeme (IVAS) des Lärmspezialisten Ohm hat für die 14 Pilotprojekte ein Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen. Dazu gehört die Verringerung der Zahl der Fahrspuren bei Hauptverkehrsstraßen wie etwa der Kieler Straße. Weil es dann nur vier statt sechs Spuren geben würde, wäre der Abstand der Straße zu den Wohnhäusern größer und der Lärm geringer.
Weitere Vorschläge: Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen nachts und auf Zubringerstraßen auch tagsüber, mehr Geschwindigkeitskontrollen, der Umbau von Straßen, zum Beispiel mit neuen Mittelinseln, Radfahrspuren, Lärmschutzwände zwischen Häusern, Flüsterasphalt. Jährlich müsste Hamburg für diesen Asphalt 2,5 Millionen Euro aufbringen. Bevor der teure Asphalt kommen kann, sollte auf Hauptverkehrsstraßen wie der Wandsbeker Chaussee nachts Tempo 30 "zum Schutz der Anwohner" gelten.
Ohm nannte den Radverkehr einen entscheidenden Zukunftsfaktor, der unsere Straßen leiser machen könnte. "Der Radverkehr wird in Hamburg deutlich zunehmen, auch wenn man als Dresdner sehr erstaunt ist, unter welch widrigen Bedingungen das hier noch funktioniert", sagte er.
Manche Hauptverkehrsstraßen habe er als autobahnähnlich empfunden, weil "in Hamburg die Autofahrer generell schnell fahren".
Der Entwurf für den Lärmaktionsplan wird in diesem Jahr dem Senat vorgelegt. Nach einem Senatsbeschluss kann sich dann die Bürgerschaft damit befassen. Wann tatsächlich der erste Flüsterasphalt aufgebracht werden könnte, kann die Stadtentwicklungsbehörde nicht sagen. "Das ist ein langer Prozess", sagt Behördensprecherin Kerstin Graupner. Auch eine ungefähre Zeitangabe sei nicht möglich, weil "viele Behörden und Ämter mit der Abstimmung befasst sein werden". Die 14 Pilotprojekte im Einzelnen:
1) Holstenstraße/Stresemannstraße
Trotz der Tempo-30-Zone ist die Stresemannstraße mit bis zu 32 000Autos am Tag extrem verlärmt. Auch die Holstenstraße gehört zu den lautesten Straßen Hamburgs. Vorschläge: Flüsterasphalt, "lärmwirksame Baulücken schließen" und Tempo 30 auf Umgebungsstraßen ausweiten. Neubau der Sternbrücke, die enormen Lärm produziert. Und: Radverkehr fördern.
2) Bergedorfer Straße
Der Lärmbrennpunkt in Bergedorf liegt an der B 5 im Stadtinnern an der Bergedorfer und Wentorfer Straße mit 30 000 Autos pro Tag. Vorschläge: Knotenpunkte so umgestalten, dass sich der Abstand zwischen Lärmquelle und Fassaden erhöht. Und Tempo 30 im Bergedorfer Citybereich bis zum Rathaus an der Wentorfer Straße.
3) Kieler Straße
Die sechsspurige Kieler Straße östlich des Sportplatzrings ist mit bis zu 58 000 Autos am Tag belastet. Vorschläge: Flüsterasphalt, mehr Tempokontrollen, zwei Fahrspuren weniger, dafür entweder Rad-/Busspuren oder ein begrünter Mittelstreifen. Möglich sei dazu ein Versuchsbetrieb, weil "Fahrspurreduzierung" als problematisch eingeschätzt werde.
4) Winsener Straße
Die vierspurige Winsener Straße im Harburger Stadtgebiet wird von 30 000 Autos am Tag genutzt. Wegen der Enge des Straßenraums bestünden hier "höchste Gefährdungspotenziale". Vorschläge: Flüsterasphalt, Tempo 30, der Einbau von Schallschutzfenstern und die Verbesserung der Bedingungen für den Radverkehr.
5) Moorstraße
Auf der Moorstraße in Harburg werden Spitzenwerte bei den Lärmpegeln erreicht. Nachts sind davon mehr als 300 Bewohner betroffen. Die Moorstraße stellt eine wichtige Verbindung von der Innenstadt Harburgs zur Autobahn 253 dar. Vorschläge: Bau einer Fußgängerinsel und Einführung von Tempo 30.
6) Buxtehuder Straße
In der Buxtehuder Straße in Harburg haben die Gutachter ein 300 Meter langes Teilstück westlich der Seehafenbrücke ausgemacht, das "lärmauffällig" ist. 240 Anwohner sind davon betroffen. 38 000 Autos fahren dort pro Tag. Vorschläge: Flüsterasphalt, mehr Tempokontrollen, Einbau einer Mittelinsel.
7) Rennbahnstraße
Die Rennbahnstraße wird von den Gutachtern als besonders kritisch zwischen der Washingtonallee und der Boberger Straße angesehen. Die Fahrbahn liegt dicht an der Bebauung. 27 000 Autos fahren dort pro Tag. Bemängelt wird auch, dass die "großzügige" Straßenführung zum Schnellfahren verleite. Vorschläge: Flüsterasphalt, Tempo 30 nachts, Mittelinsel bauen, Förderung der "nicht motorisierten Nahmobilität".
8) Harburger Chaussee
Die Harburger Chaussee liegt in Wilhelmsburg südlich der Hafenanlage der Norderelbe. Hier sind 280 Anwohner betroffen. Vorschläge: Verlegung der Straße oder zumindest einer Fahrspur weg von der Häuserfassade.
9) Simon-von-Utrecht-Straße
Die 600 Meter lange Simon-von-Utrecht-Straße verläuft als Einbahnstraße parallel zur Reeperbahn und wird von bis zu 19 000 Autos täglich genutzt. Vorschläge: den Verkehr auf die Reeperbahn verlagern und die Straße für Radfahrer attraktiver machen. Neue Radwege in beiden Richtungen würden die Verkehrsmenge senken, weil dann die Abstände der Straße zu den Gebäuden steigen.
10) Eiffestraße
An der Eiffestraße sind 300 Anwohner von starkem Lärm betroffen. Über acht Kilometer ist die Straße autobahnartig ausgebaut und mit 54 000 Autos täglich belastet. Laut Gutachten könne die Verkehrsfunktion wegen der Bedeutung nicht verringert werden. Flüsterasphalt und verschärfte Tempokontrollen werden daher als Erstes vorgeschlagen. Baulücken sollten mit Lärmschutzwänden geschlossen werden. Und als letzte Maßnahme: Schallschutzfenster. Das Ingenieurbüro schlägt vor, die Eiffestraße als besonderes Pilotprojekt zu behandeln, weil davon für zahlreiche vergleichbare Straßenzüge Impulse ausgehen könnten.
11) Fuhlsbüttler Straße
Im Bezirk Nord ist ein 800 Meter langer Abschnitt der Fuhlsbüttler Straße mit 21 000 Autos pro Tag besonders belastet. 830 Anwohner betrifft dies. Vorschläge: neuer Mittelstreifen, mehr Bäume, Tempo 30 Tag und Nacht, bessere Wege für Fußgänger.
12) Braamkamp
Der Braamkamp wird auf einem 700 Meter langen Stück im Stadtteil Winterhude täglich von 42 500 Autos befahren. Vorschläge: Flüsterasphalt oder Tempo 30. Mit Schallschutzwänden könnte verhindert werden, dass Lärm in die Tiefe zwischen den Gebäuden vordringt.
13) Wandsbeker Chaussee
Die Wandsbeker Chaussee ist eine Ausfallstraße mit täglich bis zu 46 000 Autos. Der lauteste Teil liegt zwischen Ritterstraße und der S-Bahn-Brücke Wandsbeker Chaussee. Vorschläge: Bis Flüsterasphalt aufgebracht werden kann, sei ein nächtliches Tempo 30 "zum Schutz der Anwohner legitim". Die Zahl der sechs Fahrspuren kann verringert werden.
14) Bramfelder Chaussee
Die Bramfelder Chaussee ist zwischen Haldesdorfer und der Bramfelder Straße besonders laut. 250 Menschen sind von nächtlichen Lärmspitzen betroffen. Vorschlag: Baulücken mit Wänden schließen.