Die Regierung verhält sich angesichts der rasant steigenden Strompreise nur noch hilflos
Sobald Bundeskanzlerin Angela Merkel beginnt, sich ernsthaft für ein Thema zu interessieren, liest sie sich gründlich ein. Sie will dann selbst schnell zur Expertin werden. Das kennen ihre Kabinettskollegen inzwischen nur zu gut. Hat Merkel sich eingelesen, stellt sie dem zuständigen Ressortchef gern kritische Fragen, zieht aus den Antworten ihre Schlüsse und gibt kraft ihrer Richtlinienkompetenz das politische Ziel vor.
So kannte man die Kanzlerin bislang auch in der Energiepolitik. Sie gilt als anerkannte Expertin für die Energiewende. Das Wendemanöver hatte die einstige Atomkraft-Verteidigerin vor anderthalb Jahren nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima eingeleitet - nach einer ziemlich einsamen Entscheidung. Mehr noch, Merkel hatte die Energiewende zum Prestigeprojekt ihrer Koalition erklärt. Sie suggerierte, sie wisse, was sie da tue, und sie wisse, welche Folgen auf die Verbraucher zukommen. Vermutlich erinnert sich die Kanzlerin dieser Tage daran, wie sie vor einem Jahr versprach, dass die Umlage für die erneuerbaren Energien stabil bleiben werde. Welch eine Täuschung.
Jeder Single, jede Familie, jede Wohngemeinschaft wird im kommenden Jahr die Konsequenzen aus dem beschleunigten Atomausstieg zu spüren bekommen. Die Produktion von Strom aus Sonne, Wind und Biomasse liegt bekanntlich weit über Plan. Natürlich hätten diese Energien ohne staatliche Förderung keine Chance gegen die Kernenergie, Kohle- und Gaskraftwerke gehabt. Die feste Einspeisevergütung versüßte den Öko-Investoren allerdings ihr Engagement noch zusätzlich und verhalf der Branche zum Ausbauboom. Es darf sich also niemand wundern, dass die Umlage für die Öko-Energien so rasant in die Höhe schnellt. Und doch ist der Anstieg der EEG-Umlage von derzeit rund 3,6 auf rund 5,3 Cent je Kilowattstunde ein unnötiges Ärgernis.
Die Bundesregierung, die seit mehreren Monaten auf den Strompreisschock vorbereitet ist, agiert nur noch lethargisch und sprachlos. Dass sie zu keinem Zeitpunkt die Bürger darauf vorbereitet hat, dass die Abkehr von der umstrittenen Atomkraft teuer wird, ist ihre eine Schuld. Die andere ist ihr Nichtstun. Es ist erschreckend mit anzusehen, wie hilflos die Regierenden vor der Mammutaufgabe Energiewende in Schockstarre verfallen. Die Bürger wurden weder nach Fukushima noch werden sie heute an die Hand genommen. Stromkunden wie Ökostrom-Branche bleiben in ihrer Verunsicherung allein.
Umweltminister Peter Altmaier will lieber noch eine Weile unterschiedliche Ideen prüfen lassen, bevor er sich traut, das Erneuerbare-Energien-Gesetz marktkonform und verbraucherfreundlich zu reformieren. Ob er überhaupt noch bis zur Bundestagswahl eine Reform auf den Weg bringt, kann er nicht garantieren. Die Kanzlerin mischt sich schon gar nicht mehr ein. Und Wirtschaftsminister Philipp Rösler, wohlgemerkt der Stellvertreter Merkels, muss anerkennen, dass er zwar Vorschläge wie die Senkung der Stromsteuer unterbreitet, diese aber nicht ernst genommen werden. So viel zum schwarz-gelben Prestigeprojekt.
Während sich nun die Politik in allergrößter Ruhe überlegen will, wie sie die Energiewende doch noch zum Erfolg führen kann, bleibt den Verbrauchern nur eines: Sie müssen sich selbst bemühen, ihre Stromkosten einzudämmen. Einst belächelte Ideen wie die, dass man doch Waschmaschine oder Trockner einfach nachts bei günstigeren Strompreisen laufen lassen könne, erhalten angesichts der politischen Trägheit eine neue Ernsthaftigkeit. Auch die Angebote von Energieberatungen können helfen, Sparmöglichkeiten zu finden. Langfristig müssen stabile Lösungen her. Das dürfte spätestens jetzt auch die vermeintliche Energie-Expertin Merkel begriffen haben.