Hamburger Unternehmen profitieren von der älter werdenden Gesellschaft. Der Umsatz mit Hörgeräten steigt auf 1,3 Milliarden Euro.

Hamburg. Als sich Erik Berg und Frank Burghardt vor vier Jahren mit einem Geschäft für Hörgeräte selbstständig machten, hatten sie nur eine Mitarbeiterin. Inzwischen beschäftigten die Unternehmer knapp 50 Menschen und haben mit ihrer Kette Die Hörmeister zwölf Filialen, vorwiegend im norddeutschen Raum. Allein in Hamburg betreiben Berg und Burghardt acht Fachgeschäfte. Auch Darius Bode hat im vergangenen Jahr einen Laden für Hörgeräte eröffnet. Inzwischen betreibt er vier Filialen, zwei in Hamburg und zwei in Berlin.

Der Markt für Hörhilfen wächst rasant. Wurden im Jahr 2010 nach Angaben der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (Biha) noch 850.000 Geräte verkauft, so waren es im vergangenen Jahr bereits 890.000. Der Umsatz stieg im gleichen Zeitraum von einer auf 1,3 Milliarden Euro. Dieses Jahr dürften die Zahlen laut Schätzungen der Branche, die rund 11 000 Mitarbeiter beschäftigt, erneut weiter steigen. Ein Grund für den Erfolg ist, dass die Menschen immer älter werden. Rund 2,5 Millionen Verbraucher in Deutschland besitzen bereits ein Hörgerät. Das ist zwar eine große Menge, aber eigentlich liegt der Bedarf laut Biha weitaus höher. 14 Millionen Bürger haben demnach Hörprobleme, mehr als die Hälfte davon bräuchte eine Hörhilfe. Aber die Betroffenen konnten sich offenbar noch nicht überwinden, einen Fachbetrieb aufzusuchen - obwohl es inzwischen Geräte gibt, die so klein sind, dass sie im Ohr ganz verschwinden.

Doch nicht nur die Demografie verspricht goldene Zeiten für die Branche. Auch die Tatsache, dass junge Menschen heute viel lautere Musik hören als die Generation ihrer Eltern, kann dazu führen, dass Hörprobleme immer früher auftreten. "Wir fürchten, dass künftig bereits Menschen ab 40 Jahren zu den Kunden unserer Branche zählen werden", sagt Ralf Struschka, Sprecher der Biha. Auch zunehmender Stress schädigt oftmals die Hörfähigkeit.

Rund 2000 Unternehmen mit geschätzt 4800 Filialen tummeln sich am deutschen Markt. Knapp 70 Prozent aller Filialen werden von Eigentümern geführt, die höchstens zehn Geschäfte haben. Doch der Drang zur Größe nimmt langsam zu. Ein Beispiel ist der Marktführer Kind: Mit dem Slogan "Ich hab ein Kind im Ohr", wirbt die Firma seit mehr als einem Jahr um neue Kunden. Prominente wie der Schauspieler Michael Degen bekennen sich öffentlich dazu, ein Hörgerät zu tragen. Mit der Kampagne will das Familienunternehmen aus Großburgwedel expandieren. 50 und mehr neue Geschäfte plant Geschäftsführer Alexander Kind jährlich im In- und Ausland zu eröffnen. In Deutschland soll die Zahl der Shops in den kommenden Jahren von derzeit 600 auf 800 steigen.

Auch der Branchenzweite Geers aus Dortmund stellt sich auf mehr Wachstum ein. In Deutschland betreibt das Unternehmen aktuell 450 Fachgeschäfte, davon rund 20 in Hamburg und Umgebung. "Wir wollen weiter mit einem jährlichen Wachstum von rund 40 Fachgeschäften expandieren", sagte Geers-Sprecher Martin Wielens dem Abendblatt. Seit einiger Zeit bedient auch der Hamburger Brillenanbieter Fielmann das Geschäft. In 81 seiner insgesamt mehr als 660 Filialen betreibt Fielmann Hörgeräteabteilungen, bis Jahresende sollten es 90 werden, erklärte der Unternehmenschef. "Mittelfristig wollen wir 200 Standorte eröffnen," so ein Fielmann-Sprecher. Das Potenzial auf dem Markt sei groß. "Über immer kleinere, praktisch unsichtbare Systeme wird sich die Anzahl der Hörgerätebenutzer in den nächsten Jahren deutlich erhöhen." Laut Fielmann ist derzeit - wie vor 30 Jahren bei der Augenoptik - auch der Markt für die Akustik stark fragmentiert. Die Preise seien hoch. "In unserer Industriegesellschaft werden die Menschen immer älter, und sie werden auch immer anspruchsvoller. Allein unsere Stammkunden in den Kerneinzugsgebieten benötigen mehr als 60.000 Geräte pro Jahr", so der Sprecher. Die Hörgeräte sollen ein wichtiges Standbein für das Unternehmen werden.

Nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung wird bis 2030 die Hälfte der Einwohner Deutschlands älter als 49 Jahre sein. Bis dahin wird die Zahl der über 80-jährigen Männer um 103 Prozent steigen, die der über 80-jährigen Frauen um knapp 40 Prozent.

Schon heute geben die Krankenkassen rund 500 Millionen Euro im Jahr für Hörhilfen aus. Der Kassenzuschuss pro Gerät liegt je nach Stadium der Hörfähigkeit zwischen 421,28 und 841,94 Euro. Die Beihilfen ermöglichen, dass Kunden sogar Geräte für einen Preis von zehn Euro erwerben können. Doch oft passen diese Einstiegsangebote nicht. Inklusive des Kassenzuschusses kosten andere Hörgeräte zwischen 250 bis 2400 Euro für ein Hightechgerät. Eines der derzeit modernsten Geräte, das Lyric, kann unter anderem Dank einer innovativen Batterie bis zu 120 Tage und Nächte ohne Unterbrechung im Ohr bleiben. Danach wird die Batterie des Geräts, das von dem Kunden geleast wird, ausgewechselt. Doch dieser Komfort hat seinen Preis. Berechnet auf die übliche Haltbarkeitsdauer der Hörhilfen kostet Lyric innerhalb von sechs Jahren Gebrauch rund 22.000 Euro.

Die Mehrzahl der in Deutschland angebotenen Hörgeräte sind Importe. Allein 2010 wurden 2,1 Millionen Geräte eingeführt. Damit stieg die Nachfrage innerhalb eines Jahrzehnts um 154 Prozent. Im gleichen Zeitraum wuchs die Zahl der über 59-Jährigen von 18,9 auf 25,9 Millionen Menschen.

Neben den Importen beliefern auch deutsche Hersteller den Markt. Zum Beispiel das Hamburger Unternehmen Hansaton. Mit 135 Mitarbeitern ist das Unternehmen gerade wegen Platzmangels von Barmbek in die City Süd umgezogen. "Wir stellen pro Jahr rund 200.000 Hörsysteme her", sagt Hansaton-Sprecherin Inga Husmann. Ein Teil davon geht in den Export. "Wir haben unsere Fläche um 70 Prozent auf 2700 Quadratmeter erweitert." Auch die Hamburger Hersteller profitieren von der zunehmenden Nachfrage nach Hörgeräten. Die Hörmeister wollen angesichts des Booms weiter expandieren. "Wir führen bereits entsprechende Gespräche", sagt Mitinhaber Frank Burghardt. Er habe auch keine Sorgen, Fachkräfte zu finden: "Anders als viele andere bezahlen wir unseren Mitarbeitern Zuschüsse für die Kita und auch für die Altersvorsorge."