Hans-Jochen Jaschke spricht über das Zölibat, das Alleinsein und die eigene Lust am Zocken. Zum Papst hat er ein besonderes Verhältnis.
Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 63: Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Er bekam den roten Faden von Ulrike Krages.
Der Weihbischof biegt auf dem Fahrrad um die Ecke und schließt es vor dem stattlichen Altbau in Harvestehude an. "Ich war gerade bei einer Debatte in der Universität, da ging das am schnellsten." Hans-Jochen Jaschke, 71, kann zwar auf Fahrer und Dienstwagen des Erzbistums zurückgreifen, aber sich selbst zu bewegen hält fit. Auch das Treppensteigen hoch bis zur weitläufigen Wohnung, in der noch schöne hohe Kachelöfen stehen. Bücherregale, Papierstapel und Reisevorbereitungen. Er leitet den Besucher am schlichten Gebetsraum vorbei ins Arbeitszimmer. Auch hier Regale, ein großer Schreibtisch, ein Kruzifix. Eine Batterie von Zettelkästen deutet auf Jahrzehnte der Arbeit mit Büchern hin - "exzerpierte Textstellen. Früher war das Kopieren zu teuer." Ein Laptop zeigt, dass er mit beiden Beinen in der Gegenwart steht.
Am vergangenen Wochenende war Jaschke noch in Rom. Bei der XIII. Generalversammlung der Bischofssynode im Vatikan? "Nee." Als geistlicher Reiseführer hat er einer Gruppe der Thomas-Gilde - "eine Art katholischer Rotary Club" - Rom gezeigt. Er kennt es seit 1959, seit der Abiturreise.
Hans-Jochen Jaschke hat aber nicht nur zu Rom ein besonderes Verhältnis, sondern auch zum Papst. Er hat bei ihm studiert, als der noch Professor Joseph Ratzinger hieß. In Münster, nach dem Studium an der Hochschule der Jesuiten in Frankfurt. Hat bei ihm dort 1966 Examen gemacht. Und war zwischen 1970 und 1974 Doktorand bei Ratzinger an der Universität Regensburg. "Damals war er zusammen mit anderen jungen Professoren beseelt vom Geist des Konzils. Da war eine Aufbruchsstimmung: Glaube hat etwas mit dem Leben zu tun, ist nichts Verknöchertes, nichts Dürres." Das hat den Studenten und Priester motiviert.
Hat er noch einen direkten Draht zum heutigen Papst? "Wir, seine alten Schüler und Schülerinnen, haben uns jedes Jahr getroffen und haben ihn immer eingeladen - als unseren Doktorvater, als Erzbischof von München und dann als Kardinal. Seit er Papst ist, lädt er uns ein, jedes Jahr. Wir treffen uns auf Castel Gandolfo, dem päpstlichen Sommersitz." Wie erlebt er da Benedikt XVI.? "Er ist vom Typ eine ganz freundliche Erscheinung, aber keiner, der die Menschen umarmt. Ein eher schüchterner, zurückhaltender Mensch. Aber jeder merkt: Der hat an mir Interesse."
Ob Jaschke da auch mal nach einem Papstbesuch in Hamburg fragt? "Das wäre vermessen. Er war ja schon in Hamburg, als Kardinal." Für die katholische Kirche liegt das 1994 nach 1150 Jahren wieder errichtete Erzbistum Hamburg mit seinen knapp 400 000 Gläubigen weitab vom Nabel der Welt. Auch wenn es von der dänischen Grenze bis in den Osten Mecklenburgs reicht. Jaschke weiß das, schließlich ist er 1988 Weihbischof geworden im Erzbistum Osnabrück, aber für Hamburg. Geweiht hat ihn Ludwig Averkamp, der 1995 Erzbischof in Hamburg wurde.
Am Ringfinger seiner rechten Hand glänzt der goldene Bischofsring. Motiv: Ein Schiff mit Segel in voller Fahrt, ein kleiner roter Stein symbolisiert den Morgenstern. Bildliche Umsetzung seines Wahlspruchs "Donec Dies Illucescat" - bis der Tag erscheint.
Jaschke blieb Weihbischof und folgte Averkamp nicht nach, als der 2002 das Amt aufgab. Erzbischof wurde Werner Thissen. "Als Bischof steht man ja in der ersten Reihe, aber ein Weihbischof ist nicht der leitende Bischof." Die Frage, ob ihn das manchmal gepiekt hat, übergeht er nonchalant, und der Reporter fragt nach Tisili, seinem Trostpreis nach römischem Kirchenbrauch. Ein Weihbischof ohne eigene Diözese wird Titularbischof einer untergegangenen Diözese.
Tisili war eine von mehr als 400 Diözesen in Nordafrika, bevor Vandalensturm und islamische Eroberer zwischen 400 und 800 n. Chr. das dort blühende christliche Leben hinwegfegten. Hans-Jochen Jaschke ist Titularbischof von Tisili. Wo das liegt? "Wenn ich das so genau wüsste ..." Er holt einen alten Atlas, schaut nach in der ehemaligen Kirchenprovinz Carthago im heutigen Tunesien. Auf die Schnelle ist Tisili nicht zu finden. Zweiter Mann zu sein ist aber auch erfüllend; da sammeln sich eine Menge interessanter Aufgaben. Er ist für die Caritas in Hamburg und Schleswig-Holstein zuständig, für die Ökumene, ist Bischof für die Bundespolizei, für den runden Tisch der Religionen, für die Gesprächsgruppe interreligiöser Dialog, für den Malteser-Orden - da ist er Mitglied als Kaplan, wie im Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Ist Aufsichtsratsvorsitzender des Hamburger Marienkrankenhauses. Besucht Gemeinden, spendet Firmungen, predigt viel. Und, und, und ... Seine Überzeugungen in der Öffentlichkeit zu vertreten, das liegt Jaschke. Schon in der Schule stand in seinem Zeugnis: "Vorlaut, stört den Unterricht." Heute ist er Kommunikationsprofi mit Talkshow-Erfahrung: "Ich bin ein Mann der Kirche und stürze mich gern in den Kampf." Unter Konservativen gilt er als eher liberal, unter Linken natürlich als konservativ. Und sitzt gern zwischen all diesen Stühlen. Denn ihm geht es um Inhalte, da eckt er gern mal an.
Zölibat? "Eine herausfordernde Lebensform, genau wie die Ehe." Er kann sich vorstellen, dass ergänzend zu zölibatären Priestern auch Männer mit Lebenserfahrung geweiht werden, die verheiratet sind. Schwulenehe? "Ehe ist eine Sache zwischen Mann und Frau, so wie die Kirche es festhält, zusammen mit der übergroßen Mehrheit der Menschen. Bindungen zwischen Mann und Mann und Frau und Frau - da habe ich hohen Respekt vor Einzelnen, wenn ich sehe, wie sie sich die Treue halten, sich lieben und füreinander einstehen. Unsere Gesellschaft muss auch für solche Partnerschaften Wege finden. Schwule sind immer auch in der Kirche zu Hause." Und Priesterinnen? "Da hat der Papst entschieden: Die katholische Kirche bleibt bei der bisherigen Tradition. Aber diskutiert wird das natürlich."
Wie hat er seinen Weg gefunden? Jaschke war mit seiner Mutter in Bückeburg gelandet, der Vater kam acht Jahre später aus russischer Kriegsgefangenschaft. "Ich war nicht mal Ministrant." Er ging zur Schule, in die Tanzstunde, da fallen ihm durchaus Mädchennamen ein, samt Erinnerungen an rosa Nelken: Astrid ("hab ich neulich mal wieder getroffen"), Annemarie, Eva-Maria. Ein knorriger Priester, Vertriebener aus Ostpreußen, hat ihn im Religionsunterricht beeindruckt. So studierte er Theologie.
Ein Weg nicht ohne Zweifel und Fragen. Bin ich auf dem richtigen Weg? Bin ich geeignet dafür? Will ich das wirklich? Mal hat er zu viel Nietzsche gelesen, mal kommen die Zweifel von innen. Aber immer wieder auch die Antwort: Wenn du es willst, kannst du's. Mit 26 wird er zum Priester geweiht. Hatte er da schon Gewissheit? "Die hat man am Ende seines Lebens, wenn einem die Augen aufgehen, wenn wir sehen, was wir verkehrt und richtig gemacht haben und hoffentlich vor Gottes gnädigem Gericht stehen können."
Der Weihbischof ist gern unter Menschen. Gottesdienste, Beerdigungen, Trauungen, Kindtaufen, Debatten, Vorträge; er ist Rotarier und auch im Übersee-Club. Da lebt er auf, "das ist meine Familie". Seinen Freundeskreis, sagt er, habe er sträflich vernachlässigt, der hat sich reduziert auf seine Familie, die wirkliche: Bruder, Schwägerin, deren Söhne und ein paar mehr Verwandte. Und in Hamburg? "Meine Doppelkopfrunde." Er spielt gern Karten, "ernst, aber herzlich. Beim Doppelkopf bleiben Glück und Können gut austariert, alles ist nicht so verbissen. Aber es muss immer auch um Geld gehen." Haben wir ein Laster aufgedeckt? "Nein - ich bin ja Katholik. Bei den Calvinisten war Kartenspielen des Teufels." Und gewonnenes Geld, sagt er, kann man ja zurückgeben. Er kann herzlich lachen, ein Genießer ist er sowieso.
Beruflich ist er viel unterwegs, oft zweimal pro Woche am Flughafen. Auch lange Reisen, Korea, Äthiopien. Da bleibt wenig Zeit für anderes. Er ist gern draußen, zu Fuß, auf dem Rad. Das macht den Kopf frei. Allein? "Was soll ich machen? Aber man lernt viele nette Leute kennen, wenn man allein ist."
Im Urlaub fährt er in die Dolomiten, wandert allein los. Als er vor zwei Jahren eine Geröllhalde zehn Meter herabstürzte, schoss ihm durch den Kopf: "Das hätte das Ende sein können." Trank abends einen guten Wein und wusste wieder: "Das kann nicht alles gewesen sein." Noch hat er mehr Angst vor seinem 75. Geburtstag, da müssen Bischöfe dem Papst ihren Amtsverzicht anbieten. Abgeschnitten zu sein von seinem Wirkungskreis - den Gedanken mag er nicht.
Wir wechseln ein letztes Mal das Thema. Er ist ein Mann Gottes - welches Bild hat er von Gott? "Ich liebe sehr ein Bild von Gott, das Irenäus formuliert hat: Gott hat gewissermaßen zwei Arme. Mit denen umarmt er uns Menschen. Der eine Arm ist der Sohn - Gott wird den Menschen gleich, und der andere Arm ist der Geist. Gott bleibt nicht für sich, er tritt aus sich heraus. Mit seinen Armen hält er unsere Geschichte in den Händen, bei all dem, was wir nicht begreifen können und was auch so falsch läuft." Er macht eine Pause. "Und dann ist Gott sichtbar in jedem Menschen, nach Gottes Abbild. Jeder Mensch hat irgendwie mit Gott zu tun."
Er sagt das, und fast klingt es ein wenig müde - so oft, wie er es schon erklärt hat. "Wir können nicht die Antworten aus der Tasche hervorzaubern. Ich spüre bei den Menschen meistens eine Grundsympathie für die Kirche. Manchmal wird ihnen der Blick verstellt durch Regeln, die sie nicht verstehen können und die wir auch nicht immer geschickt vertreten. Da versuch ich dann, der Ausgleichende zu sein."
Weihbischof Hans-Jochen Jaschke reicht den roten Faden am kommenden Wochenende weiter an die Schriftstellerin Ulla Hahn, "weil ich sie als kluge und lebensnahe Literatin schätze".