Eine Werk-Analyse von Joachim Mischke
Ihm wäre es viel lieber gewesen, wenn es diese Aufführung so nie gegeben hätte, sagte der theoretische Konzerthausherr Christoph Lieben-Seutter in seiner Rede, bevor die Performance begann. Da seine Wiener Ironie für Hanseaten auch nach fünf Amtsjahren noch dringend übersetzungspflichtig ist, erklärte er direkt danach ganz schnell, warum: weil er lieber viele eifrige Bauarbeiter auf der Elbphilharmonie-Plaza gesehen hätte als 800 Besucher und 64 Choristen aus Berlin auf dieser Fläche, auf der seit Monaten das Baumaterial zustaubt. Doch das Leben ist nur selten eine Lachnummer und bekanntlich kein Wunschkonzert. Erst recht nicht, wenn es um die Frage geht, wann und für wie viel weitere Millionen das Bauwerk spielfertig sein wird.
Hanseatische Ironiker könnten nun zurückfrotzeln, wie passend es sei, dass dieses Konzerthaus ausgerechnet mit einer spektakulär inszenierten Version von Brahms' "Deutschem Requiem" so gut wie eröffnet werde, Totenglöckchen klingeln und so. Schöne Idee, nur leider nicht ganz richtig. Brahms hat keine Totenmesse für hoffnungslose Fälle im klassischen Sinne komponiert, sondern ein Stück der Zuversicht. Der Schmerzlinderung. Und als hätte der Hamburger Ehrenbürger vor fast 150 Jahren geahnt, was da auf uns zukommt, packte er die für Elbphilharmonie-Skeptiker entscheidendste Textzeile in den zweiten Satz seines Opus 45: "So seid nun geduldig, liebe Brüder".