Seit einem Monat leitet Thomas Beyer nun das Sportamt der Stadt. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt spricht er über seine Ziele.

Hamburg. Es ist für manche seiner Weggefährten ein ungewohnter Anblick, Thomas Beyer im grauen Nadelstreifenanzug mit blauer Krawatte zu erleben. Die äußerliche Verwandlung hat einen triftigen Grund. Der 59-Jährige, verheiratet, Vater einer 23 Jahre alten Tochter, leitet seit einem Monat das Sportamt der Stadt. Die neue Position hat auch die sonst so scharfe Zunge eines der Vordenker des Hamburger Sports ein wenig gezügelt, seine Ansprüche nicht. Beyer will den Sport weiter voranbringen und dabei alle mitnehmen: die Menschen, die Vereine, die Wirtschaft und die Politik. Auf seinem Weg möchte er „weniger verwalten, dafür mehr gestalten, auch vermitteln und vor allem einen Haufen Spaß haben, denn darum geht es beim Sport“.

Beyer leitete jahrzehntelang den Hochschulsport Hamburg, war 20 Jahre lang Vorsitzender des Vereins Aktive Freizeit in Bahrenfeld, der in dieser Zeit von 400 auf mehr als 4000 Mitglieder wuchs, und zuletzt Sprecher der 23 Hamburger Topsportvereine, Klubs mit mehr als 2500 Mitgliedern. Seine bitterste Niederlage erlitt er als Geschäftsführer der Hamburger Bewerbung für die Universiade 2015, den Weltspielen der Studierenden. Der Senat kappte im Herbst 2008 die Kampagne, als die notwendigen Millionen-Zuschüsse der Bundesregierung ausblieben. „Das Herunterfahren der Kandidatur war wenig schön und hat mich die meisten meiner langjährigen Freunde im Hochschulsport gekostet“, sagt Beyer. Mit dem ehemaligen St.-Pauli-Vizepräsidenten, dem Rechtsanwalt Christian Hinzpeter bildete er danach eine Art Thinktank des Hamburger Sports und holte die Akteure des Sports an einen Tisch. Die kongenialen Partner hatten unter anderem die Idee für die 2011 vorgestellte Dekadenstrategie Sport des SPD-Senats und für den Empfang der deutschen Olympiamannschaft nach den Spielen in London in der HafenCity.

Hamburger Abendblatt : Herr Beyer, morgen startet das erste Hamburger Sportvergnügen, das bis zum Sonntag mit zahlreichen Aktionen in der City und in den Klubs auf die vielfältigen Angebote der Vereine und Verbände aufmerksam machen will. Ist das Sportvergnügen ein Format, das den Hamburger Sport voranbringt?

Thomas Beyer: Das hoffe ich. Es ist ein erster Aufschlag zu „Großem Sport“ in Hamburg, den wir aber kräftig entwickeln müssen. In den nächsten Jahren wünsche ich mir noch mehr Vereine, auch die privatwirtschaftlichen Sportstudios, die Krankenkassen und die vielen weiteren Sportanbieter bei dieser Aktion. Es muss ein wirklicher Tag des Hamburger Sports sein, der die Bevölkerung begeistert und zum eigenen Sporttreiben animiert.

Abendblatt : An Sportbegeisterung scheint es in dieser Stadt nicht zu mangeln. Nach dem Empfang der deutschen Olympiamannschaft bescheinigte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes Thomas Bach Hamburg eine „olympiareife Feier“. Wann holen Sie Olympia nach Hamburg?

Beyer: Diese Ungeduld finde ich klasse, aber unhanseatisch. Zunächst müssen wir uns sortieren und zur Kenntnis nehmen, auf welchem finanziellen und organisatorischen Niveau zum Beispiel London die Spiele abgehalten hat. Ich halte nichts davon, durch Verlautbarungen die Latte so hoch zu legen, dass man sie nicht mehr überspringen kann. Das tut kein Sportler im Wettkampf. Wir machen in den nächsten Jahren erst einmal unsere Hausaufgaben. Wir schauen, welche Veranstaltungen und Sportarten das Potenzial haben, um zu den angestrebten Top-Ten-Events der Stadt zu gehören. Wir werden demnächst eine Ausschreibung für neue Formate vorlegen, um die sich Agenturen, Vereine und Verbände bewerben können. Nach fünf Jahren wissen wir wahrscheinlich, wie unser Weg aussehen wird, was eine Hamburgensie werden und was auf das Konto Werbung für die Stadt einzahlen könnte. Ich halte es nicht für zielführend, sich für Veranstaltungen zu bewerben, wenn die Basis dafür in der Stadt fehlt. Das wird am Ende nur immens teuer und bringt für die Lebensqualität dieser Stadt nichts. Besser wäre es mit Sport auf allen Ebenen so aufgestellt zu sein, dass an Hamburg kein Weg vorbeiführt, weil die Stadt ein idealer Austragungsort ist. So wie für den Radsport-Weltverband UCI, der in den nächsten Jahren in Hamburg eine WM veranstalten möchte, weil er hier ein weltweit einmaliges Sportklima vorfindet.

Abendblatt : Welche neuen Events würden in die Stadt passen?

Beyer: Da gibt es keine Denkverbote, aber alle Sportarten müssen das Hamburger Profil haben oder es erfolgreich anstreben können. Potenziale sehe ich zum Beispiel im Basketball. Die laufenden Bemühungen, eine Bundesligamannschaft zu etablieren, sind unterstützungswert, weil wir sie mit der erfolgreichen Grundlagenarbeit in Wilhelmsburg verbinden können. Grundsätzlich fordert das Hamburger Profil von den Top-Ten-Events, den Schul- wie den Vereinssport zu entwickeln, den Behindertensport wirkungsvoll zu integrieren und zur Stadtteilentwicklung beizutragen. Das heißt, idealerweise käme auch die Aufwertung benachteiligter Stadtteile hinzu und lässt auch außerhalb der Innenstadt die Menschen teilhaben.

Abendblatt: In der Vergangenheit hat der Vereinssport aber selbst von hochgelobten Events wie den Marathon, dem Triathlon und den Cyclassics kaum profitiert.

Beyer: In der Tat sind die Effekte noch viel zu gering. Die Vereine und Verbände müssen hier vermutlich umdenken, service- und leistungsorientierter werden. Offensichtlich wollen die Menschen heute mehr Wettkampfsport, aber auch mehr Service und Ausbildung als bisher. Darauf sollten Klubs stärker reagieren. Die Botschaft könnte doch sein: Bei uns könnt ihr euch perfekt auf Wettkämpfe vorbereiten, wir haben dafür die Trainer und die entsprechenden Gruppen. Lasst uns also zusammen in Trainingsgruppen Lernen und Spaß haben! Gerade für Radrennen wäre es hilfreich, Renntechniken wie etwa das Windschattenfahren zu lernen. Das würde die Sturzgefahr bei den Cyclassics verringern helfen.

Abendblatt: Welche Rolle könnte in diesem Prozess das Sportamt spielen?

Beyer: Wir definieren uns als Landessportamt ja gerade neu. Die Bezirke werden in der Sportpolitik gestärkt und künftig auch für den Sportanlagenbau verantwortlich sein. Das Sportamt wird als Geschäftsstelle der Dekadenstrategie Sport des Senats agieren und in diesem Sinne die Entwicklung des Sports in Hamburg vorantreiben. Wir können die Bedingungen durch kluge Kooperationen mit anderen Behörden und Akteuren des Sports verbessern. Dazu gehört, dass der Senat 78 Millionen Euro für die Instandsetzung von Schulturnhallen bei Schulbau Hamburg eingeplant hat, wir mit der Sozialbehörde und Verbänden über bessere Bewegungsförderungen in den Kitas reden, oder wir Kooperationen beim Sportstättenbau stärker als bisher erschließen wollen. So etwas wie die bereits laufenden Motoriktests in den Grundschulen mit der Bewegungsberatung der Schüler kostet wenig mehr als die Idee, kann aber viel Wirkung für sportliche Talente und die Gesundheitserziehung haben.

Abendblatt: Auf die Sportvereine kommen nach Ihrer Vorstellung immer neuen Aufgaben zu. Sie sollen in ihren Quartieren eine Art sportliche Sozialstation werden, sie sollen die Ganztagsbetreuung in den Schulen begleiten, und sie sollen jetzt auch noch den Wettkampfsport fördern. Das überfordert doch die meisten Klubs.

Beyer: Für einen Quartiersverein sind eine gewisse Größe und vor allem hauptamtliche Mitarbeiter für einen professionellen Auftritt vonnöten, aber die effektive Zusammenarbeit vieler kleinerer Klubs kann ebenfalls diesen Zielen dienen. In einer Millionenstadt wie Hamburg haben große und kleine Vereine heute sehr unterschiedliche Aufgaben und Chancen. In beiden Kategorien steckt noch viel Potenzial in der Sportbewegung, da ist vor allem der HSB gefragt. Gerade einmal sieben Vereine, das sind weniger als ein Prozent der Klubs in Hamburg, engagieren sich an 30 Schulstandorten in der Ganztagsbetreuung. Das ist noch keine Erfolgsgeschichte, aber ein guter Anfang. Die Eltern wissen ziemlich gut, was sie an einer sport- und bewegungsbetonten Betreuung ihrer Kinder haben!

Abendblatt: Laut einer Studie des Osnabrücker Professors Christian Wopp treiben in Hamburg 80 Prozent der Menschen halbwegs regelmäßig Sport, mehr als in jeder anderen deutschen Stadt. Diese Massenbewegung ist in den Klubs bislang nur zum Teil angekommen. Was läuft da schief?

Beyer: Natürlich wird es immer Menschen geben, die lieber in kommerzielle Studios gehen oder ohne Vereinsanbindung ihren Sport treiben wollen. Das sollen sie, und für diese Leute fühlt sich die Stadt genauso verantwortlich wie für Vereinsmitglieder. Ich bin als Sportamtsleiter kein Interessenvertreter eines bestimmten Bereichs.

Abendblatt: Als Sprecher der Topsportvereine haben Sie sich für die tägliche Bewegungszeit an Hamburger Schulen eingesetzt. Halten Sie als Sportamtsleiter noch an diesem Ziel fest?

Beyer: Es ist meine vornehmste Aufgabe zu helfen, alle Hamburger von Kindesbeinen an in Bewegung zu bringen. Es macht schließlich mehr Spaß, Sport zu treiben, als keinen Sport zu treiben; von den gesundheitlichen Aspekten und den entsprechenden Kosten für die Gesellschaft ganz abgesehen. Wir müssen deshalb in den Kindergärten anfangen, bei der Ausbildung der Erzieher und das Dekadenziel einer täglichen Bewegungszeit in der Schule hartnäckig anstreben, entweder im Sportunterricht oder im Zuge der Ganztagsbetreuung. Eine sportliche Stadt definiert sich nicht über die großen Events, sondern über das tägliche Erleben von Bewegung und Sport im Umfeld der Menschen.