Die Familie wehrt sich gegen den Vorwurf, die Tat geplant zu haben. Ein Cousin des Opfers war Zeuge der Bluttat: “Ich dachte, er wollte sich mit Morsal aussprechen.“

Die Eltern der mit 20 Messerstichen getöteten Morsal O. (16) wehren sich gegen den Vorwurf eines Mordes aus falsch verstandener Ehre. Zwar seien sie mit dem Lebensstil der 16-Jährigen nicht einverstanden gewesen, so der Vater. "Aber die Tat war nicht von der Familie geplant." Ahmad O. (23) soll auf eigene Faust gehandelt haben. "Mein Sohn ist ein Verbrecher", sagte der Vater einem NDR-Reporter. Und seine Frau ergänzte: "Ich hasse ihn."

Ob diese Aussagen glaubhaft sind, untersucht nun die Polizei. Sie befragte gestern Freunde und Angehörige des Opfers. Weitere Vernehmungen durch die Mordkommission im Umfeld von Morsal O. werden folgen, so ein Polizeisprecher. Ein endgültiges Ergebnis werde kurzfristig allerdings nicht vorliegen.

Morsals Vater gab unterdessen zu, seine Tochter für mehrere Monate nach Afghanistan geschickt zu haben, sie sollte dort "die Sitten und Gebräuche des Heimatlandes kennenlernen". Die Familie war vor 13 Jahren emigriert. Seit fünf Jahren hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Ein Cousin der Getöteten, Mohamed (16), sagte gegenüber dem Abendblatt, dass die Familie in Afghanistan offenbar vorhatte, sie dort mit einem weiteren Cousin zwangszuverheiraten. Als ihr Vater in Hamburg davon erfuhr, habe er sie wieder zurück nach Hamburg geholt, da sie dafür zu jung sei. Mohamed berichtet allerdings auch, dass Morsals Familie wegen des westlich geprägten Lebensstils ihrer Tochter kritisiert worden sei. "Es hieß, Morsal sei ein schlechtes Mädchen."

Es war auch Mohamed, der Zeuge der Bluttat vom vergangenen Donnerstag wurde. Er selbst hat das folgenreiche Treffen der Geschwister möglich gemacht. Ahmad O., der spätere Täter, bat ihn, seine Schwester zur Aussprache mit ihm zu überreden. Morsal wäre alleine nie gekommen. Da ist sich Mohamed sicher. Zu oft schon hatte der Bruder sie angegriffen. Einmal schlug er sie so zusammen, dass sie die Polizei rief.

"Ich dachte, er wollte sich mit Morsal aussprechen", so Mohamed. Nach seiner Darstellung hätten vier Mädchen, die mit Morsal im Streit lagen, den Bruder gegen sie aufgehetzt. "Sie sagten Ahmad, dass seine Schwester auf den Strich gehen und Drogen nehmen würde. Sie wollten Morsal eins auswischen." Ein Vorwand dafür, dass sie bestraft werde. "Die wollten, dass er sie schlägt." Offenbar ging auch der 16 Jahre alte Schüler davon aus. Er hatte es ganz offenbar gebilligt. "Aber eigentlich wollte ich, dass die beiden sich versöhnen." Dass Ahmad O. etwas anderes vorhatte, wurde ihm plötzlich klar, als der 23-Jährige zum Treffpunkt am Berliner Tor kam. "Er hatte eine Hand hinter dem Rücken versteckt und schon einen wütenden Blick", erinnert er sich. Deshalb forderte Mohamed seinen Cousin auf, Abstand zu halten. Doch der soll entgegnet haben: "Lass mich. Ich will mit ihr reden." Dann sah Mohamed, dass der 23-Jährige ein Messer in der Hand hielt - und im nächsten Augenblick auf Morsal einstach.

"Ich hörte sie schreien. Aber ich konnte ihn nicht daran hindern weiterzumachen", sagt Mohamed. "So etwas Schreckliches habe ich noch nie gesehen." Immer wieder schrie er, dass Ahmad aufhören solle. Doch der ließ sich von seinem Vorhaben, die eigene Schwester zu töten, nicht abbringen. Danach flüchtete Mohamed. "Ich weiß nicht mehr, warum." Kurz darauf folgte ihm sein Cousin. Beide stiegen in die U-Bahn der Linie 3. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Ahmad mit blutverschmierten Händen, die Augen rot unterlaufen. Als sich ihre Blicke trafen, schaute Mohamed weg. An der Station Burgstraße stieg er aus. Nach einem Telefonat mit seinem Bruder stellte er sich der Polizei und berichtete von der Bluttat. "Ich habe große Schuldgefühle. Hätte ich Morsal nicht dorthin gebracht, würde sie noch leben."