Ahmad-Sobair Obeidi (24) habe seine Schwester “heimtückisch und aus niedrigen Beweggründe“ getötet. Der Staatsanwalt: “Das war, so schrecklich es klingt, ein Mord mit Ansage.“ Die Verteidigung fordert eine Verurteilung wegen Totschlags. Das Urteil wird am 13. Februar erwartet. Bilder vom Prozess. Eindrücke von Morsal Obeidi.

Im Prozess um den gewaltsamen Tod der Deutsch-Afghanin Morsal Obeidi (16) haben Staatsanwaltschft und Verteidigung ihre Plädoyers gehalten. Die Anklage fordert lebenslange Haft wegen Mordes. Ahmad-Sobair Obeidi (24) habe seine Schwester "heimtückisch und aus niedrigen Beweggründe" getötet. Die Verteidigung plädierte auf eine milde Haftstrafe wegen Totschlags. Das Urteil wird am 13. Februar erwartet.

"Das war ein Mord mit Ansage, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen", sagt Boris Bochnick, als er den Fall Morsal resümiert. Jedes Wort in seinem Plädoyer ist eine verbale Breitseite für den Angeklagten Ahmad-Sobair Obeidi. Und der Deutsch-Afghane, der am 15. Mai 2008 seine Schwester Morsal (16) mit 23 Messerstichen tötete, windet sich auf seinem Platz. Mal starrt er zu Boden, mal stützt er sein Gesicht auf seine Hände. Lebenslange Haft forderte der Ankläger gestern wegen Mordes, Die Verteidigung hingegen plädierte auf eine milde Strafe wegen Totschlags, insbesondere, weil ihr Mandant vermindert schuldfähig sei. Ein Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft wegen Befangenheit gegen die psychiatrische Sachverständige hatte das Gericht zuvor abgelehnt. Das Urteil wird für den 13. Februar 2009 um 10 Uhr erwartet.

Jahrelang hatten der Angeklagte und weitere Familienmitglieder Morsal geschlagen und misshandelt, weil ihnen der moderne, freizügige Lebensstil der 16-Jährigen missfiel, so der Ankläger. Sie hatte sich unter anderem geschminkt und war abends ausgegangen. Der Angeklagte habe nach und nach die Rolle des Erziehungsberechtigten übernommen, geduldet von der Familie. Morsal habe angefangen, "die traditionellen Fesseln der Familie" abzuschütteln. Zwar habe es bei der Tat affektive Momente gegeben, der Angeklagte sei aber voll schuldfähig, so der Staatsanwalt. Nicht spontan, sondern zielgerichtet habe Obeidi gehandelt, dafür sprächen die Tatumstände: Bewusst habe er seine Schwester zu einem kleinen Parkplatz am Berliner Tor bestellt, sie erst mit hinter dem Rücken verborgenen Messer erwartet, dann attackiert, mit Tötungsabsicht, so der Staatsanwalt.

"Juristisch gibt es nur einen Schuldigen, das ist der Angeklagte." Ahmad Obeidi habe sich in seiner Familienehre verletzt gefühlt. "In seiner Macho-Welt gab es hier nur eine Antwort: Die Schwester musste verschwinden, damit die Ehre wieder hergestellt wird." Und: "Lieber geht er über Leichen, als von seinem Ehrbegriff abzuweichen." Schon früher mal hatte er seine Schwester mit einem Messer angegriffen, gedroht, er werde sie umbringen. Den Begriff "Ehrenmord" möge er dabei nicht, sagt Bochnick. "Mord ist ein ehrloses Delikt." Es habe nichts mit Ehre zu tun, wenn ein Mann einer Frau mit einem Dolch seinen Lebensstil aufzwingen wollte. "Das ist finsterstes Mittelalter." Mal schüttelt der Angeklagte den Kopf, mal seufzt er tief, als er Sätze wie diese hört. Es sei kein "Ehrenmord" gewesen, sondern eine Spontan-, eine Affekttat, sagt Verteidiger Thomas Bliwier, eine Familientragödie. Es habe eine Hassliebe zwischen den Geschwistern bestanden, in der beide voneinander immer wieder aufeinander geprallt seien. Ihr Mandant sei nicht mit Tötungsvorsatz zu dem Treffen mit Morsal gefahren. "Er wollte in der Situation nur mit ihr reden, wie auch früher, das ist furchtbar schiefgegangen." Im Spannungsfeld in der Familie, in der narzisstischen Persönlichkeitsstörung darin lege der Schlüssel für die furchtbare Straftat.

Ahmad-Sobair Obeidi zeigt im letzten Wort Emotionen. Erst bedankt er sich artig, dass das Gericht seiner Freundin erlaubt, ihn im Gefängnis zu besuchen. Die Jura-Studentin sitzt mit betroffener Miene bei den Zuschauern. Dann bricht er in Tränen aus. "Es tut mir aus tiefstem Herzen Leid, was passiert ist", schluchzt er, "es war nicht irgendjemand, es war meine Schwester, ich habe sie geliebt." Sie habe ihn auch geliebt, hatte Morsal früher einmal gesagt, aber auch dies: Sie wollte nur, dass das Martyrium der Schläge und Misshandlungen endlich aufhöre. "Morsal wollte nur freie Luft atmen", formuliert der Staatsanwalt, "wie ihre deutschen Mitschülerinnen."