Die Welt drängt die Bundesregierung immer massiver zu mehr Euro-Hilfen
Sylt ist immer eine Reise wert. Man darf aber bezweifeln, dass es dem US-Finanzminister Timothy Geithner um die Reize der Nordsee ging. Bei dem "informellen Gespräch" auf der Insel der "Reichen und Schönen" ging es ganz schnöde ums Geld. Seit Monaten wächst der Druck auf Deutschland, Europa aus der Krise "herauszukaufen": Mit zusätzlichen Garantien und der Vergemeinschaftung der Schulden etwa durch die Ausgabe gemeinsamer Anleihen soll das finanzstärkste und solideste Mitglied der Währungsunion mehr Verantwortung übernehmen und zugleich seinen Widerstand gegen ein massives Einschreiten der Europäischen Zentralbank aufgeben.
Wie abgestimmt klingen die Forderungen an die Bundesrepublik. Der britische Premierminister David Cameron und US-Präsident Barack Obama hatten vor Kurzem Kanzlerin Angela Merkel zu "Sofortmaßnahmen" zur Lösung der Euro-Krise gedrängt. Öffentlichkeitswirksam rief der britische Ex-Premierminister Tony Blair Deutschland gestern via "Bild"-Zeitung auf, den Euro zu retten und dabei auch "unangenehme Kompromisse" einzugehen. Als Poltergeist im europäischen Haus versuchte sich Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Er warf der Bundesregierung nun vor, in Euro-Fragen andauernd Innenpolitik zu machen und die Euro-Zone wie eine Filiale zu behandeln.
Die permanenten Breitseiten gegen die Deutschen, die seit der Wahlniederlage von Nicolas Sarkozy in Frankreich mehr und mehr isoliert sind, beginnen zu wirken. Beim letzten Brüsseler Gipfel war die Bundesregierung gezwungen, erstmals von ihrem Konzept "Solidarität gegen Solidität" abzuweichen - bis dahin gelang es Kanzlerin Angela Merkel stets, deutsche Zugeständnisse an Bedingungen in den Schuldenstaaten zu knüpfen. Inzwischen ist es um die Kanzlerin und ihre Bundesgenossen in Finnland und den Niederlanden einsam geworden. Und mit jeder diplomatischen Attacke wird es einsamer.
Dabei hat die Bundesregierung dasselbe Ziel wie ihre wortmächtigen Kritiker aus London, Washington oder Luxemburg: Alle wollen den Euro retten - nur die Kostenübernahme ist umstritten. Man sollte nicht so naiv sein, zu glauben, eine tiefe Sorge um Europa treibe plötzlich Barack Obama oder David Cameron um - ihnen geht es auch zuerst um Innenpolitik: Der US-Präsident fürchtet wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise um seine Wiederwahl, die Briten bangen um ihre Finanzindustrie, den wichtigsten Sektor der Volkswirtschaft auf der Insel. Und fremdes Geld, erst recht das der Deutschen, gibt sich stets leichter aus als das eigene.
Doch die Forderungen an die deutschen Adressen wirken wohlfeil - denn auf vernetzten Weltfinanzmärkten kann und darf die Euro-Rettung nicht allein Aufgabe der Mitgliedstaaten der Währungsunion sein. Wer stets fordert, muss auch zu Zugeständnissen bereit sein: Warum beispielsweise sträuben sich Obama und Cameron beharrlich gegen eine Finanztransaktionssteuer - immerhin bietet sie die Möglichkeit, die entfesselte Finanzbranche an den Kosten ihrer Rettung zu beteiligen? Eben weil sie noch mehr an ihre eigenen Banken denken als an Europa. Und warum lockt etwa Luxemburg seit Kurzem auf Kosten der EU-Partner internationale Konzerne wie Apple oder Amazon mit lächerlichen drei Prozent Umsatzsteuer auf elektronische Bücher? Bevor man Europa rettet, rettet man auch im Großherzogtum zunächst den eigenen Haushalt.
Man sollte diese kleinen Beispiele nicht zu weit treiben - die Euro-Rettung ist eine Herkulesaufgabe und braucht Einigkeit, Streit zwischen den Nationen bringt sie nicht weiter. Deutschland wird solidarisch sein müssen - doch Deutschland ist nicht stark genug, um den Euro allein zu retten. Das sollten auch die klugen Ratgeber nicht vergessen.