Intakte Familien, gute Gesundheit: Spitzenplätze für Hansestadt. Aber Bildungsdefizite
Hamburg. Wie wohl sich ein Kind in Deutschland fühlt, hängt offenbar wesentlich von dem Ort ab, wo es aufwächst. Hamburg schneidet dabei überraschend gut ab. In dem aktuellen Bericht über die Lebensumstände der Kinder in Deutschland, den Unicef am Freitag in Berlin vorgestellt hat, liegt die Hansestadt im Vergleich aller Bundesländer auf Platz 5 im oberen Mittelfeld. Im Teilbereich "Beziehungen zu Gleichaltrigen und Familie" ist Hamburg sogar Spitzenreiter, im Bereich "Gesundheit und Sicherheit" liegt die Hansestadt auf Platz 2. Insgesamt sind der Untersuchung zur Folge die Kinder in Baden-Württemberg und Bayern am glücklichsten; in den beiden anderen Stadtstaaten Berlin und Bremen ist die Lage dagegen besonders ungünstig.
Der Spitzenwert im Bereich Familie und Freunde basiert auf einer repräsentativen Umfrage von insgesamt 12 000 Kindern (LBS-Kinderbarometer) in Deutschland. Dabei bewerteten Mädchen und Jungen in Hamburg ihr Verhältnis zu Eltern und Freunden bundesweit am besten - obwohl in der Hansestadt jedes vierte Kind nur bei einem Elternteil aufwächst. Viele Kinder gaben an, gemeinsame Hobbys mit Vater oder Mutter zu pflegen. Überdurchschnittlich positiv sind auch die Ergebnisse im Bereich Gesundheit. Einer der Gründe ist das sehr gute medizinische Versorgungsnetz, vor allem mit Kinderärzten. Auch das Sicherheitsgefühl ist bei Kindern in Hamburg ausgeprägt. Der Anteil der Kinder, die befürchten, in der Schule gehänselt und tätlich angegriffen zu werden, ist in Hamburg geringer als in anderen Bundesländern.
Forscher der Berliner Humboldt-Universität hatten für die Unicef-Studie Daten in insgesamt sechs Bereichen ausgewertet. Eines der wichtigsten Ergebnisse: Für die Entwicklung der Kinder spielt die Berufstätigkeit der Eltern eine überaus wichtige Rolle. "Für die Selbstachtung und das Selbstvertrauen der Kinder ist es von zentraler Bedeutung, dass ihre Eltern den Lebensunterhalt selbst bestreiten können", sagte der Hauptautor der Studie, Professor Hans Bertram. Ein politischer Ansatz, der allein auf Verbesserungen in Kindergarten und Schule setzt, greife zu kurz.
Auch in Hamburg gibt es in diesem Punkt noch große Defizite. Im Bereich "Materielles Wohlbefinden" liegt die Hansestadt nur auf Platz 11. Jedes vierte Kind lebt unter der Armutsgrenze. 18,3 Prozent wachsen in einem Elternhaus auf, in dem weder Mutter noch Vater arbeiten. Auch im Bereich "Bildung" schneiden Hamburger Kinder schlecht ab (Platz 13). Gleichzeitig ist der Einfluss der sozialen Herkunft etwa in den Leistungen in den Naturwissenschaften größer als in anderen Ländern.
"Genauso wenig, wie es die eine Kindheit in Deutschland gibt, gibt es nicht die eine Kindheit in Hamburg", sagte Professor Wulf Rauer dem Abendblatt. Nach Ansicht des renommierten Pädagogen und langjährigen Vorsitzenden des Hamburger Kinderschutzbundes ist die Kluft zwischen den Stadtteilen sogar gewachsen. "Wir brauchen eine soziale Stadtpolitik, die ein weiteres Auseinanderdriften verhindert." Eltern müssten so gestärkt werden, dass sie die Lebensbedingungen ihrer Kinder optimal gestalten können.