Die Krise bietet die Möglichkeit, die Geburtsfehler der Gemeinschaft zu korrigieren
Die Finanzkrise rüttelt an der Existenz des Euro - und sie hat die europäischen Entscheidungswege gründlich durcheinandergewirbelt. Viele sehen die Gemeinschaft derzeit von "Merkozy" geführt, dem deutsch-französischen Duo Merkel/Sarkozy, einem "Direktorium", das unter Umgehung der vertraglich festgelegten Prozeduren bestimmt, wie der Kontinent aus der Krise kommen soll.
Eifersüchtig wacht EU-Kommissionspräsident Barroso darüber, dass er und die Brüsseler Institutionen nicht zu kurz kommen. Mit ins Boot geholt wurde nun der Italiener Mario Monti, der als ehemaliger EU-Kommissar zusätzlichen Sachverstand einbringen und als Vermittler im selten auf Anhieb einigen Tandem Merkel/Sarkozy dienen kann. Der Rest der Gemeinschaft versucht, sich mit auf immer neuen Sondergipfeln getroffenen Entscheidungen zu arrangieren.
Das entspricht alles nicht dem Geist und den Buchstaben der EU-Verträge. Die allgemeine Lage aber auch nicht. Unter anderem deshalb, weil Deutschland und Frankreich als Erste gegen die Drei-Prozent-Neuverschuldungsgrenze verstoßen haben. Ungestraft. Oder weil heute kaum noch ein Euro-Land mehr das Kriterium von maximal 60 Prozent Gesamtverschuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, erfüllt. Es gibt also keinen Grund, in Berlin die Nase zu hoch zu tragen. Auch Deutschland lebt seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse, nimmt selbst in guten Jahren, wie diesem, immer neue Schulden auf, bezahlt mit neuen Verbindlichkeiten alte. Dass das unweigerlich in Schwierigkeiten führt, sagt der gesunde Menschenverstand, dazu bedarf es keines Studiums der Finanzwissenschaften.
Europa wird nun in Zeiten der Krise enger zusammenrücken müssen, um dieser Existenzbedrohung zu entkommen und künftige zu vermeiden. Oder es droht zu scheitern. Letzteres dürfte - besonders für Deutschland - in jedem Fall teurer werden als die Einführung von Euro-Bonds. Unsere Wirtschaft steht deshalb so gut da, weil sie vom Export lebt. Ist die Kundschaft bankrott, kommt auch der Verkäufer in Not. Am Ende wird es wohl auf einen Kompromiss aus gemeinsamen Anleihen und stärkeren Eingriffsrechten der EU in die nationalen Haushalte hinauslaufen. Letzterem werden die anderen Staaten nicht zustimmen, wenn die Kanzlerin bei ihrem gestern wiederholten kategorischen Nein zu Euro-Bonds bleibt.
Um Handlungsbedarf in Volkswirtschaften und Staatshaushalten zu erkennen, bedarf es keiner unterschiedlichen Zinsen, da genügt der Blick in die Bücher, und ihre Meinung hat Merkel im Verlauf der Krise schon mehrfach korrigiert. Die EU-Kommission wird zur Wirtschaftsregierung der Gemeinschaft, und die Steuerpolitik wird peu à peu harmonisiert. Schritte, die vor einer Währungsunion hätten vollzogen werden müssen, was aber wegen der komplexen Entscheidungsprozesse, nationaler Egoismen und persönlicher Eitelkeiten nicht möglich war. Die gibt es unter den derzeit führenden Kerneuropäern auch noch zur Genüge, aber die Krise bietet die Möglichkeit, die Geburtsfehler der Gemeinschaftswährung zu korrigieren.
Ein erneuertes Europa könnte in einigen Jahren besser denn je dastehen, denn auch die USA stecken in Schwierigkeiten, und der Aufschwung in China, Indien oder Brasilien muss angesichts politischer, sozialer und ökologischer Herausforderungen nicht ungebremst weitergehen.