Gegen Rechtsterror muss das Land ein Zeichen setzen. Das sind wir den Opfern schuldig
Noch kennen wir nicht die wahre Dimension des Neonazi-Terrors. Wie viele Menschen haben die rechtsextremen Untergrundtäter tatsächlich umgebracht? Wie verstrickt sind vom Verfassungsschutz bezahlte Verbindungspersonen, sogenannte V-Leute, in die Untaten gegen griechisch- und türkischstämmige Mitbürger und gegen Polizisten? Wer hat sonst noch versagt in unserem Staat, der das Recht in seinem Namen führt? Was haben die ermittelnden Behörden versäumt, was die mit der Aufklärung der Mordtaten beauftragten Kriminalbeamten?
Das alles muss zügig aufgeklärt werden, umfassend und lückenlos. Um den braunen Sumpf in einem weiteren Schritt so schnell wie irgendwie möglich trockenzulegen, darf auch keine Ausrede mit Hinweis auf eine mögliche Enttarnung der V-Leute mehr gelten, von denen bis zu 100 in der NPD aktiv sein sollen.
Die puzzlehafte Aufklärung ist mühsam und braucht Zeit. Aber die haben wir nicht. Denn in diesen Tagen der beschämenden Erkenntnisse geht es auch darum, nicht nur einen Moment empört innezuhalten und dann wieder in den von Gleichgültigkeit geprägten Alltag einzutauchen, in dem gewöhnlich kein Platz ist, öffentlich Scham und Mitgefühl für die Opfer und deren Angehörige zu zeigen. Der Buß- und Bettag vor zwei Tagen, der Feiertag mit evangelischer Tradition, den die Regierung Kohl 1994 aus wirtschaftlichen Erwägungen geopfert hat, wäre ein passender Termin gewesen, Betroffenheit zu spüren und zu offenbaren. Mehr noch: das Versagen vieler zur Sprache zu bringen, Schuld durch Gleichgültigkeit und Ignoranz zuzugeben und Fehler einzugestehen. Buße tun heißt auch, umzukehren vom falschen Weg und Besserung zu geloben. Ist das zu pastoral, zu christlich-belehrend?
Nein, Demut sind wir diesen Opfern allemal schuldig. Wir, die Bürger dieses Landes, die sonst gerne mit Lichterketten auf vielerlei Unrecht in der Welt reagieren. Worte allein reichen nicht. Die Opfer und ihre Hinterbliebenen in den Familien, im Freundes- und Bekanntenkreis haben es verdient, dass wir der Toten gedenken und ihr Leid teilen. Bundespräsident Christian Wulf (CDU) hat das im richtigen Moment erkannt, als er vom Zentralrat der Juden mit dem Leo-Baeck-Preis geehrt wurde und bei der Gelegenheit ankündigte, er werde die Angehörigen der Opfer der rechtsextremen Mordserie zu sich einladen.
Wir brauchen mehr Gesten dieser Art. Nicht einer traurigen Selbstverpflichtung willen, sondern weil sich diese Gesellschaft nur mit neuen Taten befreien kann. Befreien von der Schuld, die wir angesichts der Opfer spüren müssen. Denn dieses Land, und das sind wir alle, hat schmählich versagt im Kampf gegen den Terror von rechts. Wenn wir in Zukunft Ähnliches verhindern wollen, müssen wir mehr Entschlossenheit zeigen in unserem Willen, die Werte des Rechtsstaates dauerhaft zu bewahren. Die um ihre Opfer Trauernden dürfen wir nicht alleinlassen. Wir müssen sie überzeugen: Wir stehen auf eurer Seite, fühlt euch nicht ohnmächtig und hilflos. Wir stehen euch bei. Gemeinsam können wir Schlimmes verhindern, wenn viele dazu bereit sind.
Integration bedeutet auch, die Sorgen und Ängste der Migranten ernst zu nehmen. Ein Staatsakt für die Opfer, wie ihn der hessische Ausländerbeirat von Bund und Land fordert, ist überfällig. Er wäre ein sichtbares und unmissverständliches Bekenntnis. Die Aufrechten müssen aufstehen. Ein Wegschauen darf es nicht mehr geben.