Wir übertragen eigene Ängste auf die Euro-Rettungsaktion
Unsere Wut auf den griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou ist keine Wut. Es ist Angst. Doch sorgen wir uns nicht so sehr über das Scheitern einer Rettung der Griechen, die nun gefährdet scheint durch die Volksabstimmung über das Hilfspaket. In Griechenlands Bewältigung der Krise spiegelt sich Europas Unbehagen vor dem Verlust der Kontrolle der Politik über die Finanzmärkte, die Schuldenberge und den Bankrott.
Eine Projektion ist das Verfolgen eigener Wünsche in anderen Menschen, so formulierte es einst Sigmund Freud, der Gründer der Psychoanalyse. Griechenland ist die Projektion unserer eigenen Wünsche nach einer Welt, die wieder erklärbaren - wenigstens verstehbaren - Regeln folgt. "Beim Zeus, lasst euch doch retten, ihr Griechen!", rufen wir nun laut in Richtung Akropolis. Denn auch wir ersehnen uns so die verlorene Sicherheit zurück: Sind Reformen, Hilfspakete und Gipfel nur konsequent durchgesetzt, ist die große Krise zu bezwingen. Funktioniert die Rettung Griechenlands, beweisen Merkel und Co., dass sie wieder Herr sind über die übermächtige Finanz- und Schuldenwelt, die aus den Fugen geraten ist.
Doch jetzt das! Die Griechen verlangen Mitbestimmung darüber, ob sie für verunsicherte Europäer die Projektion einer stabilen Herrschaft der Politik über die Krise spielen wollen. Und schon rattert sie los, Europas Angst-Maschine. Börsenkurse rutschen ab, Experten fürchten Flächenbrände in Spanien oder Italien. Investoren schreiben Portugal als Euro-Staat genauso ab wie Griechenland.
Eine Gewissheit kriecht unter dem schützenden Rettungsschirm hervor: Die Politik gewinnt die Kontrolle über die Finanzmärkte nicht in Athen zurück. Im Gegenteil. Sie droht ihre Macht in dieser Debatte zu verlieren: Europas Politiker stimmen ein in den Kanon der Entrüstung der Rating-Agenturen, Banken und Manager. Doch die Politik reißt mit der Empörung ihren wichtigsten Eckpfeiler ein: die demokratische Mitbestimmung des Volkes über sein Schicksal. Griechenlands Premier hat mit der Entscheidung für das Referendum Mut bewiesen. Und er hat sich nicht blenden lassen von den Wünschen anderer.