"Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen", so lautet das Zitat eines unbekannten Wortakrobaten, wenn es um die Trefferquote von Voraussagen geht. So ist Vorsicht geboten, wenn jetzt die Bertelsmann-Stiftung der Hansestadt ein wundersames Wachstum weissagt. Die Bevölkerungszahl soll demnach bis 2030 von 1,79 auf 1,9 Millionen steigen, während Deutschland schrumpft und altert. Das Hauptproblem solcher Prognosen ist, dass sie die Entwicklungen der Vergangenheit meist fortschreiben, die Zukunft sich aber nicht linear entwickelt. Unvergessen ist die Einschätzung des Berlin-Instituts vom August 2008, als die Experten Island als zukunftfähigste Region Europas über den grünen Klee lobten - acht Wochen später war das Land dummerweise fast pleite.

Doch noch aus einem anderen Grund sind Prognosen gefährlich. Wohlklingende Prophezeiungen können satt und selbstzufrieden machen, sie vermitteln das wohlige Gefühl, alles könne so bleiben, wie es ist. Dabei gründet Hamburgs momentaner Erfolg auf dem Mut vergangener Tage. Dass Hamburg heute so wächst, ist zu einem großen Teil der wegweisenden Politik im letzten Jahrzehnt zu verdanken: Die Senate um Bürgermeister Ole von Beust und Finanzsenator Wolfgang Peiner haben die Stadt entfesselt. Das Konzept der Wachsenden Stadt wurde zu einem Erfolgsmodell, das der Stadt einen ungeheuren Schub verlieh. Der Sprung über die Elbe, vor zehn Jahren noch kühne Vision, könnte endlich gelingen. Die Internationale Bauausstellung und die Internationale Gartenschau in Wilhelmsburg machen nicht nur den Süden lebenswerter, sie zeigen die Zukunft der Stadt. Die

HafenCity mag modern sein, in Wilhelmsburg entsteht die Zukunft.

Dies alles gibt der Stadt eine Perspektive, doch der Anschub liegt ein Jahrzehnt zurück; dementsprechend müssen heute die Grundlagen für die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts gelegt werden. Die Handelskammer hatte vor einigen Monaten in einer viel beachteten Studie zehn Punkte für ein zukunftsfähiges Hamburg 2030 vorgelegt. Einige Forderungen, wie die Schuldenbremse oder Ganztagsschulen flächendeckend, dürften bald Wirklichkeit sein, andere Ideen wie die Wasserstoffautobahnen nach Berlin oder Olympische Spiele klingen nach Wolkenkuckucksheim. Am Widerstand der Kammer und der Hafenwirtschaft scheiterte übrigens auch eine der besten Ideen zur Entwicklung der Stadt - der Umzug der Universität auf den Grasbrook als Scharnier zwischen dem nördlichen und südlichen Teil der Stadt. Es war die letzte Idee, die nach großem Wurf aussah.

Vom neuen Senat kommen derzeit eher kleine Dinge, aber keine Visionen. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der stets auf "ordentliches Regierungshandwerk" setzt, bleibt bislang im Vagen. Zunächst einmal liegt darin eine Chance: Wer nur Visionen im Kopf hat, verliert leicht die Umsetzung aus dem Blick. So klug das Konzept der Wachsenden Stadt war, nun muss es darum gehen, auch die notwendigen Wohnungen für dieses Wachstum zu schaffen, junge Familien anzusiedeln und zugleich das soziale Auseinanderdriften der Stadtteile umzukehren.

Doch Abarbeiten allein wird nicht genügen: Hamburg benötigt ein neues Leitbild, das gern auch das alte der Wachsenden Stadt sein darf. Städte erleben derzeit eine Renaissance, die immer mehr Menschen in die Metropolen zieht. Hamburg muss urban und lebenswert, bunt und wirtschaftsstark zugleich sein. Und doch darf man sich dabei nicht verzetteln - ein Science Center hier, ein weiteres Museum dort, ein neues Großevent demnächst und die Olympischen Spiele irgendwann: Das ist keine Strategie für morgen. Hamburg muss vielmehr ein Labor für die Zukunft sein - und hat als Noch-Umwelthauptstadt Europas, mit Bauausstellung und Gartenschau beste Chancen.