Der Senat spricht im “Sachstandsbericht“ von strategischem Dilemma. Baukonzern muss von März an 200.000 Euro Strafe pro Tag zahlen.
Hamburg. Die Konflikte gehen "über das übliche Maß hinaus" und sind von "ungewöhnlicher Intensität". Man baue jetzt den "notwendigen Druck" auf, habe aber wenig Hoffnung, dass die Gegenseite ihr "konfliktäres Verhalten" ändern wird. Was sich wie das Protokoll eines Streitschlichters liest, ist der aktuelle Sachstandsbericht des SPD-Senats zum Bau der Elbphilharmonie. Auf sieben eng bedruckten Seiten schildert das Papier, das dem Abendblatt vorliegt, die Auseinandersetzungen mit dem Baukonzern Hochtief und räumt ein, dass der Senat die Lage als "strategisches Dilemma" sieht. Darum geht es:
Der Anlass: Der CDU-Senat hatte sich 2005 verpflichtet, die Bürgerschaft alle sechs Monate über das Projekt zu informieren. Der letzte Bericht liegt wegen der Neuwahl mehr als ein Jahr zurück. Der aktuelle, Stand 30. September, ist der erste des SPD-Senats.
Die Termine: Der letzte Vertrag zwischen Stadt und Hochtief ("Nachtrag 4") von Ende 2008 sah vor, dass das Konzerthaus im Hafen am 30. November 2011 fertig ist - das wäre in einem Monat! Anfang 2010 teilte Hochtief mit, dass es wohl Ende 2012 wird. Nachdem die Stadt erfolgreich auf Herausgabe eines neuen Terminplans geklagt hatte, wurde zuletzt im Juni der 15. April 2014 genannt - wobei sich dann jeweils noch ein halbes Jahr bis zur Eröffnung anschließt (für Inneneinrichtung, Proben, etc.). Tatsächlich beträgt die Verzögerung derzeit 14 Monate, wovon die Stadt drei Monate auf ihre Kappe nimmt (wegen Planänderungen). Folglich kann sie vom 1. März 2012 an eine Strafzahlung verlangen - 200 000 Euro pro Tag. Wenn Hochtief das Gebäude wirklich zweieinhalb Jahre zu spät abliefert, könnte die Stadt mehr als 180 Millionen Euro zurückfordern. Da auch den Baukonzern das längere Bauen viel Geld kostet, ist entscheidend, wer welche Verzögerung zu verantworten hat. Das klärt derzeit ein Gericht.
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Die Kosten: Wirklich belastbar ist nur eine Zahl: 323 Millionen Euro beträgt der städtische Anteil an dem 500-Millionen-Projekt. Der "kommerzielle Mantel (Hotel, Parkhaus, Wohnungen) wird privat finanziert. Von den 323 Millionen sind 20 Millionen für "Unvorhergesehenes" eingeplant - das wird aber nicht reichen angesichts eines kaum durchschaubaren Wusts an Forderungen. Aktueller Stand: Hochtief hat bereits Mehrkosten in Höhe von 66,3 Millionen Euro angemeldet, die die Stadt aber größtenteils nicht akzeptiert. Darüber hinaus sei "damit zu rechnen", so die Drucksache, dass Hochtief weitere 100 Millionen wegen der Bauverlängerung fordern wird. Auch bei der städtischen Elbphilharmonie Bau KG stehen schon Mehrkosten für Personal, Juristen und Gutachter von zehn Millionen Euro auf der Uhr. Obwohl sie bereits 40 Millionen Euro Strafzahlungen von Hochtief fest eingeplant hat, muss sie ein Defizit in der Bilanz fürchten. Daher gibt die Stadt jetzt eine "Patronatserklärung" über 20 Millionen Euro ab: Sie bürgt also mit einer Art "Rettungsschirm" dafür, dass die Bilanz der Bau KG auch künftig ausgeglichen sein wird.
Betrieb der Elbphilharmonie: Auch Unterhalt und künstlerischer Betrieb des Konzerthauses, bislang mit gut zehn Millionen Euro pro Jahr veranschlagt, dürften teurer werden. Es ist "aus Sicht des Senats wahrscheinlich", dass die bisherigen Kostenansätze "nicht auskömmlich sein werden", heißt es. Gemeint ist der Bereich der Haustechnik wie Wartung, Bewirtschaftung und Reinigung, das "Facility-Management". Möglicherweise sind sogar noch "bauliche Änderungen" nötig, zum Beispiel wegen des erst kürzlich von der Stadt vorgelegten Brandschutzkonzepts. Auch ein "Betriebskonzept" fehlt noch.
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Probleme am Bau: Laut Sachstandsbericht hat Hochtief bisher 9000 Mängel produziert, von denen rund 5700 noch nicht behoben sind. Die Stadt bewertet die Mängel mit 8,3 Millionen Euro und behält jetzt Geld ein, "um den notwendigen Druck aufzubauen".
Probleme gibt es bei der weltweit einmaligen und mehr als 80 Meter langen Rolltreppe, die vom Erdgeschoss mit einer Krümmung zur öffentlichen Plaza in 37 Meter Höhe führt. Hier sind deutliche Risse im Putz aufgetaucht, eine Mängelbeseitigung durch Hochtief "ist bisher nicht erfolgt". Genauso wenig wie bei der Bestandsfassade des alten Kaispeichers, wo die Arbeiten zur Reinigung und Sanierung von Hochtief bisher "verweigert" würden.
Völlig verkorkst ist die Situation bei der Planung der technischen Gebäudeausrüstung (TGA), der gesamten Haustechnik der Elbphilharmonie. Hochtief soll sich mit der Erstellung der Ausführungsplanung TGA "mit bis zu 22 Monaten in Verzug" befinden. Hochtief hält dagegen, dass städtische Planänderungen wie etwa ein neues Brandschutzkonzept eine Ausführungsplanung bisher verhinderten. Die TGA-Entwurfsplanung hat der Generalplaner Herzog & de Meuron gemacht. Mit Schreiben vom 30. September hat Hochtief die TGA-Ausführungsplanung "komplett eingestellt".
Ausblick: Der erste Satz zum Thema "Projektfortgang" sagt alles: "Aus Sicht des Senates besteht aktuell ein strategisches Dilemma." Beide Seiten sind der Auffassung, dass sie die Probleme nicht verschuldet haben, und schalten seit Monaten auf stur. Während die Linkspartei gestern schon Mehrkosten von 35 Millionen Euro ermittelt haben wollte, verwies die regierende SPD auf besagtes Dilemma: "Wir müssen zweigleisig fahren", sagte Metin Hakverdi, SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss zur Elbphilharmonie. "Rechtliche Fragen klären und weiterbauen."
Immerhin: In den vergangenen zwei Jahren wurden 531 000 Euro für die Elbphilharmonie gespendet.